Despot von Gottes Gnaden
Seite 8: Ende mit Weltfrieden
Tweeds Buch endet mit viel Ironie. Nicht ein edler Freiheitskämpfer stürzt den Diktator vom Sockel, sondern der letzte Gangster. Aus Rache schießt er auf den Präsidenten. Das Attentat misslingt, doch Rinehard stößt sich dabei den Kopf an. Wie beim Autounfall vor vier Jahren erleidet er eine Gehirnerschütterung. Als er zu sich kommt ist er wieder der joviale Parteisoldat und freundliche Zyniker, der er vor dem Unfall war. In seinem Umfeld fragt man sich, ob das Land vier Jahre lang von einem Mann regiert wurde, der durch einen Schlag auf den Kopf den Verstand verlor und durch einen zweiten Schlag wieder normal wurde.
Rinehard will alles rückgängig machen, die einst gefeuerten Parteifreunde zurück ins Kabinett holen, die Verfassung, die zu verteidigen er bei seiner Angelobung geschworen hat, wieder in Kraft setzen und sich in einer vom Radio und vom Fernsehen übertragenen Ansprache beim amerikanischen Volk entschuldigen. "Mein Weg liegt schnurgerade vor mir", sagt er. "Einen anderen kann ich vor Gott nicht nehmen." Sekunden vor der Übertragung hat er einen Herzanfall, der tödlich endet, weil ihm seine Mitarbeiter das lebensnotwendige Medikament verweigern.
Will Hays verbot kategorisch einen solchen Schluss. Auch nur anzudeuten, dass Präsident Hammond ein Mann mit Dachschaden sein könnte, war Blasphemie. Die göttliche Inspiration musste bleiben, weil Hays der Meinung war, dass die Diktatur unter diesen Umständen akzeptabel sei, oder doch zumindest nicht so schlimm, dass mit Verboten durch lokale Behörden zu rechnen war. Damit hatte er wohl recht. Der Film konnte überall im Land gezeigt werden. Keiner von den Moralaposteln, die laut aufheulten, wenn sie im Kino die Sünde witterten, ging auf die Barrikaden.
Hammond stirbt jetzt als Märtyrer wie einst Lincoln, der am Ende des Bürgerkriegs von John Wilkes Booth erschossen wurde. Die Staatschefs der Welt kommen nach Washington, um den Abrüstungsvertrag zu unterschreiben, der den Menschen Frieden und Wohlstand bringen wird. Hammond setzt als letzter seine Unterschrift unter das Vertragswerk. Er tut es mit letzter Kraft, und er unterzeichnet mit derselben Feder, mit der einst Lincoln die Sklaven befreite. Dann verliert er das Bewusstsein. Seine Mitarbeiter bringen ihn in sein Arbeitszimmer. Als er zu sich kommt erkennt er in Pendie die Frau wieder, die früher seine Geliebte war. Sonst aber hat er sich nicht verändert.
"Hallo Pendie, altes Mädchen", sagt er. "Findet der Präsident der Vereinigten Staaten deine Zustimmung?" "Er hat sich als einer der größten Männer erwiesen, die je gelebt haben", antwortet Pendie. Durch den Vorhang streift ein Luftzug wie immer, wenn der Engel das Weiße Haus besucht. Pendie hält die Hand des Präsidenten, der nun - unter einer Washington-Büste - friedlich einschläft. Wieder flattert der Vorhang im Wind. Auf der Tonspur stimmt das Orchester ein letztes Mal die "Battle Hymn of the Republic" an. Der Diktator kommt jetzt sicher in den Himmel.
Leni Riefenstahl konnte daran anknüpfen, als sie Triumph des Willens drehte. Am Anfang kehrt der heilige Diktator zurück zur Erde. Hitler fliegt durch die Wolken und schwebt dann auf Nürnberg herab, um die Huldigungen seines Volkes entgegenzunehmen, das beim Reichsparteitag in Marschformation angetreten ist. Das soll nicht heißen, dass Präsident Hammond Adolf Hitler in Verkleidung ist. Die Denkmuster, die nach dem starken Mann verlangen und dazu führen, dass Diktatoren als Erlöserfiguren verklärt werden, sind aber schon sehr ähnlich.
Pendie For President!
Die neue, gründlich überarbeitete und um eine Viertelstunde gekürzte Version von Gabriel Over the White House erlebte am 31. März 1933 ihre Uraufführung. Beworben wurde der Film mit dem Spruch: "Wenn Sie für Hammond gestimmt hätten - dann hätte es keine Wirtschaftskrise gegeben!" Das bezog sich auf das Jahr 1928, als Herbert Hoover die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte. Die von der Hearst-Presse nach Kräften unterstützte Werbekampagne ließ außer Acht, dass inzwischen Franklin D. Roosevelt sein Amt angetreten hatte.
Mit FDR hatten die Amerikaner einen starken Mann ins Weiße Haus gewählt, der den Ruf nach entschlossenem Handeln überflüssig erscheinen ließ. Roosevelt wusste, wie man trotz Handicap dynamisch wirkt, wie man dem Wahlvolk das Gefühl vermittelt, dass die Probleme endlich angepackt werden und wie man sich die Medien zum Freund macht, um sie zum Kommunizieren politischer Botschaften zu nutzen. Superreichen Populisten wie William Randolph Hearst, die ihre Privatinteressen mit denen des Landes verwechselten, nahm das den Wind aus den Segeln.
Die Einspielergebnisse von Gabriel Over the White House waren enttäuschend. Die Reaktion, die sich der in seinem Kitschpalast San Simeon residierende Hearst erhofft hatte, blieb aus. Der Marsch wütender und durch den Film agitierter Amerikaner nach Washington fand so wenig statt wie der Sturm auf die Kinokassen. Die Europäer hatten weniger Glück. In Italien herrschte Mussolini. In Deutschland trug der starke Mann - wie Roosevelt ein Filmfan - zur Uniform ein Charlie-Chaplin-Bärtchen und instrumentalisierte die Medien, um auf einem Fundament aus Lügen eine Diktatur zu errichten.
Gabriel Over the White House ist, wenn man es so formulieren will, das Ergebnis einer kollektiven Anstrengung. Ausgehend von Thomas F. Tweeds Roman mischten mit: Der Regisseur Gregory LaCava; der Produzent Walter Wanger, dessen Name sich auf danger reimte; der Zeitungszar und verhinderte US-Präsident William Randolph Hearst; Will Hays, der Präsident der Produzentenvereinigung; Dr. James Wingate, Hays’ Statthalter in Hollywood; Franklin D. Roosevelt, der frisch gewählte US-Präsident; und, nicht zu vergessen, der Jesuitenpater Daniel A. Lord und seine reaktionären Mitstreiter aus dem katholischen Milieu, die ihm dabei halfen, den Production Code zu schreiben.
Ob das Endresultat der Donald J. Trump sein wird, den wir bisher kennengelernt haben, also ein US-Präsident, der die von Filmemachern erschaffene Leinwandwelt auf eine Weise kopiert, wie man es vor ihm nicht für möglich gehalten hätte, wird sich weisen. Vieles deutet darauf hin, dass der Mann, der versprochen hat, den Sumpf in Washington trockenzulegen, eine Regierung anführen wird, in der sich der Lobbyismus mit dem Nepotismus paart und die Politik nicht vom Geschäft zu trennen ist.
Kürzlich wurde in Washington das Trump International Hotel eröffnet, dessen Webseite mit dem schönen Slogan "Own Washington" aufmacht. Das Weiße Haus erreicht man von dort bequem zu Fuß. Bald werden nationale und internationale Delegationen, die einen Termin beim Präsidenten haben, in dem Hotel absteigen, auf dem in goldenen Lettern der Name TRUMP prangt. Dem Präsidenten können sie dann sagen, wie toll sein Prunkbau ist. Früher einmal, als Will Hays noch Postminister im Kabinett von Warren G. Harding war, gehörte das Gebäude zu seinem Verantwortungsbereich.
Das heutige Trump International Hotel ist das ehemalige Hauptpostamt von Washington. Im Jahr 1973, das mit dem Prozess gegen die Watergate-Einbrecher begann, wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Trump hat einen Pachtvertrag mit der nach dem Zweiten Weltkrieg auf Empfehlung von Ex-Präsident Herbert Hoover gegründeten General Services Administration (GSA), einer der Regierung unterstehenden Agentur, die immer mal wieder durch Korruptionsskandale von sich reden macht. Die Regierung ist Trump jetzt selbst.
Ein Problem oder gar einen Interessenkonflikt scheint er nicht darin zu sehen, dass er als US-Präsident sein eigener Pächter ist. Als die korrupteste Regierung in der Geschichte der Vereinigten Staaten gilt bislang die von Warren G. Harding. Sollte Donald J. Trump das Ziel verfolgen, Harding zu entthronen, ist der Anfang sehr vielversprechend. Mag sein, dass die Trump-Administration bald auf eine Weise in der Wirklichkeit ankommen wird, die sich seine Anhänger nicht träumen ließen, als sie ihn gewählt haben.
Für die Zeit danach hätte ich einen Vorschlag. Er ergibt sich aus einem Blick auf die Titelkarte im Vorspann von Gabriel Over the White House. Der Engel, der da über dem Weißen Haus schwebt, sieht nicht sehr männlich aus. Könnte das Pendie sein, die Geliebte des Präsidenten? Das lässt hoffen. Auch wenn Will Hays es gern so haben wollte: Wer braucht schon die göttlichen Botschaften, wenn eine Diktatur dabei herauskommt? Die Engelin (oder Engeline?) ist der Gegenentwurf zur männlich geprägten Ideologie des religiösen Fundamentalismus und zur von den Populisten betriebenen Entwirklichung der Wirklichkeit.
Erschöpft von den vielen Beanstandungen, die ihnen der Film abnötigte, haben Will Hays und seine Leute beim Vorspann wahrscheinlich nicht mehr genau hingeschaut. Ich glaube eher nicht, dass Hays sich der Kunstgeschichte beugte. Die Kunst weiß schon lange, wie es gemacht wird. Sie stellt den Erzengel Gabriel gern mit weiblichen Zügen dar. Im Kino ist er mal männlich (Christopher Walken in The Prophecy) und mal weiblich (Tilda Swinton in Constantine). Das echte Leben ist nicht schwarzweiß, sondern bunt, voller Widersprüche und nicht frei von Sünde. So sollte es auch bleiben. Auf dem Großen Siegel im Weißen Haus ist noch ein Platz frei. Pendie Molloy For President!
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