Despot von Gottes Gnaden
Seite 4: Der Bürger als Soldat
Da wären etwa die Abkehr von Hoovers Politik der Haushaltskonsolidierung; die aktivere Rolle des Staates in der Wirtschaft; große Bauprojekte, ausgeführt von durch den Staat bezahlten Arbeitern; und die Behörde zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Der Film lässt allerdings weg, dass Roosevelts Works Progress Administration nicht ohne einen Ausbau der Bürokratie zu haben war. Das passt nicht zur Ideologie vom starken Mann, der im Alleingang die Krise meistert. Wenn man Hammond reden hört könnte man glauben, dass er persönlich vorbeikommen wird, um den Arbeitern, die den Staudamm bauen, die Löhne auszuzahlen.
Nicht zu verwechseln ist das Ganze mit Donald Trumps Plan, durch die Erneuerung der Infrastruktur ein Jobwunder mit steigenden Löhnen zu generieren. Er will Steuern senken, Staatsknete an die Unternehmen weiterreichen (die dann die Arbeitsplätze schaffen sollen), deregulieren und die Bürokratie abbauen, nicht ausweiten. Ob das so werden wird wie unter Ronald Reagan, der Amerika mit diesem Rezept (und ohne Trumps isolationistische Tendenzen) wieder groß machen wollte und den folgenden Generationen einen riesigen Schuldenberg hinterließ, muss sich erst noch zeigen.
Zurück nach Baltimore. Beschwören kann ich es nicht, aber ich würde vermuten, dass der Präsident sein Reha-Programm zu Füßen von George Washington verkündet. Die Statue, die da in diesem Park steht, scheint mir der Figur auf dem Washington Monument in Baltimore nachempfunden zu sein. Vielleicht ist der Park aber auch ein Überbleibsel aus der früheren Fassung, in der die Arbeitslosen noch in die Hauptstadt marschierten. Dorthin eilt Hammond nun zurück, weil ein Aktivisten-Präsident wie er keine Zeit verliert.
Mit Roosevelt, der in seiner Rede zum Amtsantritt am 4. März zum "direkten, energischen Handeln" unter seiner kraftvollen Führung aufrief, verbindet ihn das genauso wie die Liebe zur militärischen Analogie. Hammond will die Arbeitslosen als "Soldaten" einer disziplinierten, nach militärischen Regeln organisierten "Aufbauarmee" verpflichten. FDR forderte die Nation auf, als "ausgebildete und loyale Armee" gemeinsam zu marschieren und "zugunsten einer gemeinsamen Disziplin" Opfer zu bringen. Das Martialische in seiner Rede brachte ihm den Vorwurf ein, eine Militarisierung des Staates und seiner Bewohner anzustreben.
Wer die direkte Aktion will kann sich nicht mit langwierigen Gesetzgebungsverfahren und einem schwerfälligen politischen Räderwerk abplagen. Roosevelt bat daher darum, ihn mit breit gefächerten Vollmachten auszustatten, damit er "einen Krieg gegen die Notsituation" führen könne, und zwar mit einer Macht, die man ihm auch gewähren würde, "wenn wir tatsächlich mit einem Feind konfrontiert wären, der von außen in unser Land eindringt". Seine Kritiker fanden das faschistisch und sahen schon die Diktatur am Horizont, die Präsident Hammond zügig einführt.
Offenbarung
In der Version, die Ende März 1933 von Hays abgesegnet wurde, kommt die Armee der Arbeitslosen in Form einer Vision nach Washington. Es ist die Nacht vor der Sondersitzung des Kongresses, bei der Hammond um vier Milliarden für sein Rehabilitationsprogramm bitten will. Pendie bringt ihm das Redemanuskript und wird Zeugin, wie ein abwesend wirkender Präsident seinen eigenen Text nicht zu erkennen scheint. Das gibt sich, als in der Ferne die göttlichen Fanfaren erklingen, ein Lichtwechsel das Kommen des Engels ankündigt und ein Windhauch durch den Vorhang streicht.
Pendie ist gegangen, der Präsident hat Lincolns Schreibfeder (die, mit der er die Sklaven befreit hat) zurück in die Halterung gestellt, dann hört er einen Chor von Menschen, die "The Battle Hymn of the Republic" anstimmen. Hammond blickt aus dem Fenster. Am Zaun vor dem Weißen Haus sieht er die Arbeitslosen, die nun bald wieder eine Beschäftigung haben werden. Sie singen "Glory, glory, hallelujah! His truth is marching on.", zur Musik von "John Brown’s Body" (ein dem 1859 hingerichteten Gegner der Sklaverei John Brown gewidmetes Marschlied).
Den Text der "Battle Hymn of the Republic" schrieb die Abolitionistin Julia Ward Howe im November 1861, im ersten Jahr des amerikanischen Bürgerkriegs. In dem Lied wird die Auseinandersetzung religiös überhöht und in einer Sphäre angesiedelt, wo das Gute gegen das Böse kämpft. Lincoln war kein Freund solcher manichäischen Konstruktionen mit christlicher Verbrämung. In seiner zweiten Rede zum Amtsantritt als Präsident, nach seiner Wiederwahl im Jahr 1864, wundert er sich darüber, wie es sein kann, dass zwei Gruppen gegeneinander Krieg führen und sich dabei auf ein und dieselbe Bibel berufen.
Das nützte ihm nicht viel. Die Nachwelt machte mit ihm und seiner Präsidentschaft im Bürgerkrieg, was sie wollte, sehr gern auch mit Bibelverweisen und in einem christlichen Kontext, weil man mit einem religiös aufgeladenen Patriotismus mehr Leute erreicht als mit der Religion oder mit dem Patriotismus allein. Präsident Hammond sieht die Arbeitslosen vor seinem Fenster wieder verschwinden, hört aber weiter das "Glory, glory, hallelujah!", während er im Oval Office das Licht ausmacht und schlafen geht. Zurück bleibt die Lincoln-Büste. Die Kamera fährt auf sie zu, bis sie die Einstellung ausfüllt.
Unterdessen spricht Pendie nebenan mit Beek über das, was sie soeben erlebt hat, in einer vom Roman übernommenen Szene. Die beiden denken seit einiger Zeit, dass der Präsident nicht eine Person ist, sondern deren zwei. Jetzt glaubt Pendie, gerade die Anwesenheit eines dritten, unsichtbaren Wesens gespürt zu haben. "Ich bin kein sehr religiöser Mensch, Beek", sagt sie "und doch: Ist es zu phantastisch, wenn man glaubt, dass Gott den Engel Gabriel geschickt haben könnte, um für Jud Hammond zu tun, was er für Daniel getan hat?" (Für weniger Bibelfeste: Der Erzengel Gabriel deutet für Daniel die Vision vom Widder und vom Ziegenbock und erklärt ihm den Sinn der Offenbarung.)
"Gabriel?", fragt Beek. "Ich dachte, er sei ein Bote des Zorns." "Nicht immer", antwortet Pendie. "Für manche war er der Engel der Offenbarung, den ihnen Gott als Bote geschickt hatte." "Hmh", meint Beek, weil es nach 45 Minuten höchste Zeit wird, den Sinn des Filmtitels zu erklären. "Gabriel über dem Weißen Haus." LaCava taucht die Szene in ein verklärendes Licht und lässt Franchot Tone als Beek den Blick - halb spöttisch und halb von der Heiligkeit des Moments ergriffen - nach oben richten, in die Ferne, als wolle er fragen, was das jetzt wieder soll.
Zuletzt hat er gen Himmel geschaut, als er auf dem Großen Siegel der USA die Haarnadel von Pendie fand, die damals noch die Geliebte des Präsidenten und nicht spirituell erleuchtet war. Es sind kleine ironische Schlenker wie dieser, durch die LaCava die religiös durchwirkte Diktatorenbegeisterung ein wenig auf Distanz hält. Im Roman erfährt man noch etwas über die Bedeutung, die der Erzengel Gabriel für Perser und Muslime hat. In einem Film, der nach den Maßstäben des von reaktionären Katholiken verfassten Production Code beurteilt und vom sehr protestantischen Oberzensor Will Hays geprüft wurde ist Gabriel exklusiv ein Engel der Christen.
Gabriel und kein anderer Engel muss es sein, weil er auch der Jungfrau Maria verkündet hat, dass sie Gottes Sohn gebären werde. Dieser Film ist so faszinierend, weil er mitunter alle Bremsen löst und sich extravaganten Phantasien hingibt, ohne dabei so weit abzuheben, dass er sich aus der amerikanischen Geistesgeschichte lösen und in die Unverständlichkeit entschweben würde. Eigentlich ist die Sache furchtbar einfach (und eventuell furchtbar absurd und irreal, was sehr tröstlich wäre).
Die Erlöserfigur, die sich durch göttliche Intervention vom Totenbett erhebt, ist die Wiedergeburt von Jesus Christus. Die Wiedergeburt von Abraham Lincoln ist sie auch. Was dabei herauskommt ist ein Diktator. Falls das jemand zu verrückt findet: Es gibt noch eine andere Lesart. Dem wiedergeborenen Präsidenten werden durch den Erzengel Gabriel die Ratschläge Gottes übermittelt. Die Ratschläge von Abraham Lincoln (der im Bürgerkrieg mit großer Machtfülle regierte) erhält er ebenfalls. Gott/Lincoln sagen ihm, dass er Diktator werden muss, um die Probleme des Landes zu lösen. Man wähle selbst.
Für die Mehrheit nur das Beste
Noch in der Nacht vor der entscheidenden (und letzten) Sitzung des Kongresses entlässt der Präsident sein Kabinett. Die Stimmung im Kapitol ist aufgeheizt. Senator Langham, der für beide Kammern des Kongresses spricht, erhält tosenden Applaus für seine Forderung, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Hammond einzuleiten, weil dieser seine Partei verraten habe. Langham haben wir zuletzt bei der Feier zu Hammonds Amtseinführung gesehen. Damals beklagte er sich darüber, dass es nur Punsch und keine harten alkoholischen Getränke gab.
Henry Kolker, spezialisiert auf mitunter hohle Patriarchen, spielt den Senator als laut tönenden Popanz. In seiner Aufgeblasenheit ist er die Kontrastfigur zu Hammond, der durch den Vergleich seriöser und staatsmännischer wirkt. Der Präsident betritt jetzt den Saal, kommt gleich zur Sache und hat dabei das Sternenbanner im Hintergrund. "Als Repräsentant des amerikanischen Volkes" fordert er vier Milliarden Dollar, um die Kaufkraft und den Wohlstand wiederherzustellen. Der Kongress lehnt das ab. In einer erregten Debatte erklärt Hammond das Kriegsrecht (auch der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit - siehe Roosevelt - ist wie ein Krieg), sich selbst zum Diktator und den Kongress für aufgelöst.
Dabei beruft er sich auf George Washington, auf Abraham Lincoln und auf Thomas Jeffersons Definition der Demokratie: "A government for the greatest good of the greatest number." In Zwischenschnitten sehen wir ein paar Honoratioren, die so alt sind, dass sie Lincoln fast noch persönlich erlebt haben könnten, als sie Kinder waren (bei der Einweihung des Lincoln Memorial im Jahr 1922 war Lincolns Sohn dabei). Die würdigen Senioren sind quasi die Zeitzeugen, die durch ihre Anwesenheit für die Authentizität dessen bürgen, was Hammond da von sich gibt, während Senator Langham in seinem altmodischen Anzug als antiquierter, der neuen Zeit nicht gewachsener Politiker erscheint.
Ich bin zum Glück noch kein Fossil und will hier auch nicht behaupten, alles gelesen zu haben, was Jefferson je geschrieben hat. Trotzdem würde ich sagen, dass das mit dem Regieren zum Wohle der Mehrheit von Jeremy Bentham ist, dem Begründer des Utilitarismus, in dessen Philosophie die Wenigeren schon mal unter die Räder kommen konnten, wenn es den Mehreren nützte. In der Vulgärform des Utilitarismus, auf die sich gewisse Politiker gern berufen, heißt das: Eine Handlung ist moralisch richtig, wenn das Gute das Schlechte überwiegt.
Was wir unter dem Guten und dem Schlechten zu verstehen haben ist aber genauso eine Frage der Definition wie die Einigung darauf, wer die Mehreren sind und wer die Wenigeren. Die Demokratie, der Präsident Hammond da zum Sieg verhelfen will (indem er sie abschafft), ist keine, deren Qualität sich daran bemisst, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht. Dieser Eindruck bleibt, auch wenn die Szene im Kongress darunter leidet, dass sie ziemlich zusammengestückelt wirkt. Das liegt daran, dass der Co-Autor William Randolph Hearst seiner Verachtung gegenüber dieser Institution, die er für einen unnützen Debattierklub hielt, freien Lauf ließ, als er Hammonds Dialoge schrieb.
Wanger musste das hinterher ändern und die Generalabrechnung abmildern, so gut es eben ging. Was blieb ist Stückwerk, was für einen Politiker noch kein Schaden sein muss (man höre sich die mitunter arg unzusammenhängenden Reden von Donald Trump an, der trotzdem ins Weiße Haus gewählt wurde, weil er mit seinen aneinander gereihten Ressentiments die Emotionen ansprach und nicht den Verstand). Hearst lastete Louis B. Mayer an, dass Hammonds großer Auftritt verstümmelt wurde und teilte ihm das brieflich mit (25. März).
In dem Brief wirft er Mayer vor, der Regierung und dem Hays Office gegenüber willfähriger gewesen zu sein als nötig und entweder ein Feigling oder ein Heuchler zu sein. Einerseits lobe er ihn, Hearst, immer für die Dinge, die er täglich in seinen Zeitungen sage. Andererseits lasse er sie durch den Präsidenten nicht wiederholen, weil er entweder doch nicht zustimme oder aber, weil ihm die Courage fehle. Es sei immer noch ein guter Film, so Hearst, aber er hätte wirksamer werden können, wenn Hammond ungefiltert sein Sprachrohr hätte sein dürfen.
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