Despot von Gottes Gnaden
Seite 7: Ausländer raus
Am Ende einer Rundfunkansprache teilt der Präsident dem Volk mit, dass seine nächste Aufgabe "die Rückkehr zu Recht und Gesetz" sei. Da könnte man sich denken, dass er die Demokratie wiederherstellen will, weil die Diktatur in der amerikanischen Verfassung eigentlich nicht vorgesehen ist. Falsch. Hammond will sich der "als 18. Zusatzartikel bekannten Jauchegrube" widmen, die eine "Kraft des Bösen befördert hat, den größten Feind von Recht und Gesetz, mit dem Amerika je konfrontiert war, […] ein bösartiges Krebsgeschwür, das die spirituelle Gesundheit des amerikanischen Volkes auffrisst".
An einem der Radiogeräte sitzt Nick Diamond. Er ist das Krebsgeschwür, das gemeint ist. Wie eine Jauchegrube ein Krebsgeschwür hervorbringen soll weiß ich nicht genau. Jedenfalls wurde mit dem 18. Zusatzartikel das Alkoholverbot in die amerikanische Verfassung geschrieben (1920 ratifiziert, wurde das 18th Amendment 1933, in den letzten Tagen der Amtszeit von Herbert Hoover, rückgängig gemacht). Hammond ist nicht allein mit seiner Meinung, dass die Prohibition den Anstieg der organisierten Kriminalität begünstigte und es Gangsterbossen wie Al Capone ermöglichte, ein finanziell bestens ausgestattetes Imperium aufzubauen, weil sie ein umsatzstarkes, in die Illegalität abgedrängtes Marktsegment besetzen und dort die Preise diktieren konnten.
In Hearsts Skandalblättern hatte auch der Kampf gegen das Verbrechen eine xenophobe Note. Die Regierung von Herbert Hoover wurde beständig angegriffen, weil sie zu zögerlich sei und schöne Worte mache, statt hart durchzugreifen und kriminelle Einwanderer in ihre Herkunftsländer abzuschieben. In Tweeds Roman macht der Präsident die Grenzen dicht, und weil Ellis Island als zentrales Sammellager für Immigranten nicht mehr gebraucht wird, kann man die Insel gleich neben der Freiheitsstatue in ein Konzentrationslager für kriminelle Ausländer umwandeln. Wer sich der Verhaftung mit der Waffe widersetzt hat wird hingerichtet.
Der Präsident im Film ist wie sein Pendant im Roman an schnellen und kostengünstigen Lösungen interessiert. Also lässt er Nick Diamond ins Weiße Haus kommen und empfiehlt ihm, freiwillig zurück in das Land zu gehen, aus dem er einst eingewandert ist. Von wo der Mann stammt, der vor der Namensänderung Antone Brilawski hieß, ist letztlich nicht so wichtig. Den ganzen Film über wird man das ungute Gefühl nicht los, dass es vom "Ausländer" bis zum Verbrecher generell nur noch ein kleiner Schritt ist. Zumindest ist das aus der Sicht des Präsidenten so, des Repräsentanten des gesunden Volksempfindens.
Ausländische Diplomaten werden beständig mit Gangstern assoziiert, und umgekehrt. So studiert Hammond beispielsweise zwischen der Kriegserklärung an das Krebsgeschwür Nick Diamond und dem Treffen mit ihm die Unterlagen zu den Kriegsschulden der Europäer. Die Ausländer, Gangster wie Diplomaten, wollen den Amerikanern nur an ihr Geld, weshalb der amerikanische Steuerzahler Hunger leiden muss, während die Schmarotzer in Saus und Braus leben. Statt auszureisen will Diamond denn auch weiter das amerikanische Volk ausbluten, ihm das Geld aus der Tasche ziehen und - wie vom Präsidenten im Radio angeprangert - sogar mit der Babymilch Geld verdienen.
Bandenkrieg
Das ist eine Anspielung auf Al Capone, der nach neuen Geschäftsfeldern Ausschau hielt, als sich das Ende der Prohibitionszeit abzeichnete. Einer seiner Verwandten trank verdorbene Milch und wurde krank. Capone brachte das auf eine Idee. Er kaufte eine große Molkerei und wirkte auf den Stadtrat von Chicago ein, bis dieser eine Verordnung erließ, die Milcherzeuger zwang, ein Verfallsdatum auf die Packung zu drucken. Das war gut für den Verbraucher und gut für Al Capone. Er war auch der Mann, der die Maschinen zum Aufdrucken des Verfallsdatums besaß. Der Konkurrenz gegenüber verschaffte ihm das den Vorsprung, den er brauchte, um bald den Markt für Milchprodukte zu beherrschen (und wie beim Alkohol die Preise zu diktieren).
Hammond nimmt sich daran ein Beispiel. Um Nick Diamond die Geschäftsgrundlage zu entziehen drängt der Staat auf den Markt für Alkohol und macht eigene Spirituosenläden auf. Der erste dieser Läden wird von den Gangstern prompt in die Luft gesprengt. "Wiped out with the most dastardly demonstration of gangster defiance in the history of this country", sagt der Präsident, der auch bei einem von Hearsts Revolverblättern arbeiten könnte. Und weiter: "Nick Diamond hat den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt." Leidtragende ist Pendie, inzwischen die Verlobte von Sekretär Beekman. Nick Diamond schickt ein Killerkommando beim Weißen Haus vorbei. Pendie wird getroffen.
Schwer verletzt liegt sie am Rande des Großen Siegels, in dessen Zentrum sie so frech und selbstbewusst trat, als "Privatsekretärin" noch ein Synonym für "Geliebte" war. Wer mag, kann darin eine Buße für vergangene Sünden sehen. Den Moralaposteln müsste das eigentlich gefallen haben. Erst büßt Pendie ihr früheres Fehlverhalten ab, dann darf sie, wieder genesen, Beek heiraten und der Moral zu einem schönen Sieg verhelfen. Für den Präsidenten ist der Anschlag ein willkommener Anlass, mit der Härte gegen Nick Diamond vorzugehen, die Hearst in seinen Leitartikeln seit Jahren forderte. Zur Ausmerzung des Gangstertums gründet er eine mobile Spezialeinheit der Armee, die er Federal Police nennt.
Hammond ernennt Beekman an Pendies Krankenbett zum Chef der neuen Bundespolizei und begründet es wie folgt: Er braucht einen Mann, den der Schmerz wegen der Verwundung der geliebten Frau zur Weißglut treibt und der die Aufgabe deshalb mit einem Höchstmaß an Effizienz und Energie in Angriff nimmt. Man kennt das aus unzähligen Krimis. Ein Polizist sollte wegen persönlicher Betroffenheit nicht selbst ermitteln, macht es aber trotzdem. In Hammonds Amerika gehört die Wut des Beamten zur Jobbeschreibung. Recht und Rache gehen Hand in Hand. Er brauche, sagt der Präsident, einen Chef der Einheit, der skrupellos und gnadenlos sei. Darum sei Beek sein Mann.
First Principles
Franchot Tone kennt man eher als effeminierten Playboy und von starken Frauen dominierten Liebhaber, und sogar als Psychopath in Robert Siodmaks Phantom Lady hat er etwas Schwächliches, weil er unter Migräneanfällen leidet. Als gnadenloser Rächer ist er eine glatte Fehlbesetzung, aber das nimmt man hin, weil er als Chef der Federal Police eine schmucke Uniform erhält (als Offizier war er immer gut, siehe Five Graves to Cairo) und jetzt der Surrealismus-Teil beginnt, oder wie man das sonst nennen soll.
Nehmen wir an, dass Gregory LaCava doch mulmig dabei wurde, als er die Apotheose des Polizeistaats inszenieren sollte und er sich deshalb mit dem Produktionsdesigner Cedric Gibbons verbündete, um Ereignisse, die man in der Wirklichkeit lieber nicht sehen will, wenn man kein Anhänger von faschistischen Diktatoren ist, in eine irreale Atmosphäre zu tauchen. Dann können wir uns daran erfreuen, wenn sechs gepanzerte Kanonenwagen wie Spielzeugautos bei einem Warenlager vorfahren, das aussieht wie eine Ritterburg. Mir persönlich fehlt die Zugbrücke, was doch irgendwie recht schade ist.
Im Amalgamated Warehouse No. 1 hat sich Nick Diamond verschanzt (amalgamated heißt soviel wie vereinigt oder zusammengeschmolzen und könnte auch ein Kommentar zum Stil der Apotheose sein). Beekman hat in seinem Wagen einen Lautsprecher und fordert den Gangster im Namen der Vereinigten Staaten auf, sich zu ergeben. Franchot Tone macht das, als wäre er der Mann von der Bahnhofsdurchsage, der die Ankunft des Zuges ankündigt. Der Böse amüsiert sich prächtig, weil er zu dem Zeitpunkt noch denkt, dass ihn sein Anwalt sowieso innerhalb von zehn Minuten wieder aus dem Knast holen wird.
Die Gangster haben Maschinenpistolen und schießen erst mal ein Magazin leer, um zu zeigen, dass sie nicht so leicht zu kriegen sind. Beekman hat Kanonen und schießt die Lagerhausburg kaputt wie einst die Mexikaner Fort Alamo. Diamond vergeht das Lachen, weil er jetzt vor ein Sondergericht gestellt wird. Der Einfachheit halber ist der Polizeichef auch der Richter. In einem stilisierten Saal spricht Beekman das Urteil. Diamond und der Rest der Bande sind des vielfachen Mordes schuldig und müssen sterben, weil das Gericht nicht bestechlich ist wie früher die Justiz.
Bei der Gestaltung des Gerichtssaals recycelte Gibbons den zur Folterkammer umfunktionierten Operationssaal, den er ein paar Monate davor für Fu Manchu entworfen hatte. Mit der Cosmopolitan-Produktion The Mask of Fu Manchu wollte Hearst vor asiatischen Horden warnen, die sich anschicken, unter der Führung von Boris Karloff den Westen zu überrennen und weiße Jungfrauen wie Karen Morley zu vergewaltigen. Die chinesische Regierung ärgerte das so sehr, dass ihr Botschafter in Washington eine Protestnote übergab.
In Gabriel Over the White House verliert Morley ihr Jungfernhäutchen ganz ohne das Zutun monströser Schlitzaugen, weil sie - zumindest am Anfang - die Geliebte des US-Präsidenten ist. Ob das für Hays ein Grund zur Beruhigung war weiß ich nicht genau. Wie dem auch sei: Das Recyceln der Folterkammer sparte Geld. Außerdem ist es kein schlechter Kommentar zur Handlung. Sollte Nick Diamond verschärften Verhörmethoden unterzogen werden wie die Opfer von Fu Manchu, ist davon nichts zu sehen. Unsichtbar ist auch der Anwalt, den Beekman ihm versprochen hat.
Anwälte sind überflüssig, weil diese Rechtsverdreher mit ihren Spitzfindigkeiten und Formfehlern nichts mehr ausrichten können. Seiner gerechten Strafe entgeht jetzt keiner mehr, sagt Beekman, denn: "Im Weißen Haus haben wir einen Mann, der uns in die Lage versetzt hat, die alten Zöpfe eines mit bürokratischen Formalitäten beschwerten Gerichtsverfahrens abzuschneiden und zu den Grundprinzipien zurückzukehren." Bei den First Principles, von denen Beekman spricht, denkt man normalerweise an die Unabhängigkeitserklärung, das Gründungsdokument der Vereinigten Staaten und eines der wichtigsten, für andere Länder wegweisenden Dokumente der demokratischen Gesinnung.
Nicht nur hier hat die Amalgamierung auch den Dialog erfasst. Die First Principles, an denen sich das durch den Präsidenten eingesetzte Sondergericht orientiert, lauten: "Ein Auge für ein Auge, ein Zahn für einen Zahn, ein Leben für ein Leben." Von der Verkündung des Todesurteils bis zur Hinrichtung dauert es eine Überblendung. Beekman ist Rächer, Polizist, Richter und Henker in Personalunion und befehligt darum auch das Erschießungskommando. Der Pulverdampf korrespondiert mit der schwarzen Rauchfahne eines in See stechenden Dampfschiffes. Daneben sieht man die Freiheitsstatue. Dann wird es dunkel auf der Leinwand.
Vielleicht fährt da gerade das Schiff nach Europa, das Nick Diamond doch besser genommen hätte. Der Präsident hat ihn gewarnt. Hammond ist es ernst, todernst mit der Verteidigung des Amerikanischen Traumes und der Freiheit - und sei es durch die Errichtung eines Polizeistaats. Wenn man den Roman gelesen hat fällt einem beim Blick über die Mauer der Hinrichtungsstätte unwillkürlich das Konzentrationslager für kriminelle Ausländer ein, das Präsident Rinehard auf Ellis Island errichten lässt, in Sichtweite der Freiheitsfackel.
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