Die AfD und die Tragik politisch-korrekter Tabus

Seite 2: Die "Neue Linke" aus Sicht eines toten Terroristen

Theodore John "Ted" Kaczynski galt lange Zeit als der meistgesuchte Terrorist in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Im Januar 1998 bekannte der "University and Airline Bomber" (FBI) sich schuldig, zwischen 1978 und 1995 mit Briefbombenanschlägen drei Menschen ermordet und 23 weitere zum Teil schwer verletzt zu haben.

Kaczynski verbüßte seine Strafe (achtmal lebenslänglich) in einem Hochsicherheitsgefängnis in North Carolina, bis er Mitte Juni dieses Jahres, nach einer Verlegung, in Colorado Selbstmord begangen haben soll.

Der Mathematik-Wunderknabe Kaczynski war während seiner Studienzeit in Harvard Teilnehmer eines Experiments des Psychologen Henry Murray, der für den US-Geheimdienst an Methoden zur Gedankenkontrolle geforscht hat, die später in Zusammenhang mit dem MKUltra-Projekt der CIA gebracht wurden.

1995 erscheint das Manifest "Industrial Society and Its Future", in dem Kaczynski eine radikale Abkehr vom technologischen Fortschritt fordert. Seine Ansichten werden im Silicon Valley sowie in der Populärkultur vielfach aufgegriffen und bis heute an Universitäten und Hochschulen diskutiert.

In seinem Anti-Technologie-Pamphlet entwirft der "Unabomber" auch eine kluge Analyse der "Neuen Linken", wie er sie nennt. Kaczynski grenzt jene Neue Linke der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der "sozialistischen" Linken des späten 19 und frühen 20. Jahrhunderts ab:

"Wenn wir in diesem Artikel von Linken sprechen, denken wir vor allem an Sozialisten, Kollektivisten, "politisch korrekte"(!) Typen, Feministen, Schwulen- und Behindertenaktivisten, Tierschützer und dergleichen.

Aber nicht jeder, der mit einer dieser Bewegungen verbunden ist, ist ein Linker (im klassischen Sinn). Bei der Diskussion über die Linke geht es weniger um eine Bewegung oder eine Ideologie als um einen psychologischen Typus, (...).

Der Linke ist antiindividualistisch und prokollektivistisch. Er will, dass die Gesellschaft die Bedürfnisse aller für ihn löst.

Ted Kaczynski: Indutrial Society and Its Future

Vom Ideologischen zum Identitären

Der Typus des Neuen Linken unterhält für Kaczynski ein schizophrenes Verhältnis gegenüber der Gesellschaft: Einerseits ordnet er sich gesellschaftlichen Zwängen unter, andererseits begehrt er gegen das bestehende System auf – allerdings nur, um das System noch funktionsfähiger zu machen:

Im Allgemeinen stehen die Ziele der heutigen Linken NICHT im Konflikt mit der akzeptierten Moral. Im Gegenteil, die Linke nimmt einen akzeptierten moralischen Grundsatz, macht ihn sich zu eigen und beschuldigt dann die Mehrheitsgesellschaft, dieses Prinzip zu verletzen.

Beispiele: Rassengleichheit, Gleichberechtigung der Geschlechter, Hilfe für arme Menschen, Frieden im Gegensatz zu Krieg, Gewaltlosigkeit im Allgemeinen, Meinungsfreiheit, Tierschutz. (Oder,) Noch grundsätzlicher: die Pflicht des Individuums, der Gesellschaft zu dienen, und die Pflicht der Gesellschaft, sich um das Individuum zu kümmern.

Ted Kaszynski: Industrial Society and Its Future, (Großschreibung im Original)

Was Kaczynski hier beschreibt, ist die Folge einer Politik, die gewissermaßen das Ideologische zum Teil der Identität, zum Identitären erhoben hat – verdinglicht hat. Die Idee materialisiert sich gleichsam bis zu dem Punkt, an dem sogar der Körper selbst zum Politikum wird. Und eine Position ist erst recht nicht mehr verhandelbar, wenn sie Teil der eigenen Existenz ist.

Diese Perspektive ist wesentliches Erbe der 68er-Generation und ihres Wahlspruchs "Das Persönliche ist politisch" (auch: "Das Private …"). Nicht ganz unschuldig daran ist auch die postmoderne Philosophie Michel Foucaults und sein Konzept der "Biopolitik", auf das Telepolis an anderer Stelle eingegangen ist.

Diese Bewegung der 1960er-Jahre gipfelt nun in einer Absage.

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