Die Auflösung der Nato fordern? Jetzt? Darf man das?
Seite 2: Warum wir zu einem Nato-kritischen Artikel stehen
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Mitten im Krieg Russlands gegen die Ukraine die Auflösung der Nato fordern – darf man das? Ein entsprechender Kommentar der britischen Aktivistin Kate Hudson hat Ende Dezember bei Telepolis für einige Leserzuschriften gesorgt. Eine "schlecht fundierte Meinung" sah ein Leser etwa; er attestierte Frau Hudson, "katastrophal falsch" zu liegen und AfD-nahe Positionen einzunehmen.
Wir haben diese Reaktionen mit Interesse wahrgenommen. Sie sind allerdings nicht neu. Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine haben es friedenspolitische Positionen schwer. Zugleich kommt die Kritik an westlichen Akteuren, die zur Eskalation beigetragen haben, keinesfalls nur von illusionären Kleingruppen, sondern von etablierten Diplomaten und Sicherheitspolitikern. Sie können sich oft aber erst aus der Deckung wagen, wenn sie emeritiert oder außer Dienst sind. Hier ein Beispiel, diese Woche folgt auf Telepolis ein weiterer Beitrag des ehemaligen deutschen OSZE-Diplomaten Michael von der Schulenburg.
Hudson jedenfalls verwies auf die Genese des Konfliktes und trat der weit verbreiteten Meinung entgegen, die Nato biete so etwas wie ein Gegengewicht zu Russland und anderen Bösewichten. Sie erklärte, wie das Konzept der "Out-of-area"-Einsätze am 1999 dazu beigetragen hat. Sie führte aus, wie die Nato als atomare Militärallianz eben nicht zur nuklearen Abrüstung, sondern zur Aufrüstung beigetragen hat, globale Konflikte ohne Not anzuheizen. Die Autorin legte dar, wie der Nordatlantikpakt die nächsten Konflikte mit China schürt.
Zwei Beobachtungen scheinen an dieser Stelle wichtig. Zum einen ist der Verweis auf "AfD-Positionen" typisch deutsch. Was sollten Hudson und US-Vertreter etwa mit den deutschen Rechtsoppositionellen zu tun haben? Der Vergleich lässt eher einen beschränkten deutschen Erfahrungs-, Verständnis- und Interpretationshorizont erkennen. Ein pauschales Abwerten unter bewusster Ausblendung jedweder Argumente. In Corona-Zeiten hieß das gerne "Geschwurbel". Hauptsache, nicht mit Argumenten befassen.
Zum anderen läuft die mediale und politische Debatte über den Ukraine-Krieg im angloamerikanischen Raum weit offener und pluralistischer als in Deutschland. Hudsons Positionen werden auch im politischen Mainstream in den USA breit geteilt, merkte Telepolis-Redakteur David Goeßmann an, der den Text geprüft hat.
Die Einschätzung werde etwa von führenden Diplomaten und Außenpolitikern geteilt. Der ehemalige US-Gesandte in der Sowjetunion Jack F. Matlock Jr. und der ehemalige Außenminister Henry Kissinger warnten vor der Nato-Erweiterung und der Inklusion der Ukraine.
George Kennans Reaktion (er war einflussreicher US-Diplomat, sein Name ist u.a. verbunden mit Marshallplan und Containment-Politik) auf die Ratifizierung der Nato-Osterweiterung durch den US-Senat im Jahr 1998, die bis an die Grenzen Russlands heranreichte, lautete: "Ich glaube, das ist der Beginn eines neuen Kalten Krieges (...) Ich denke, die Russen werden allmählich ziemlich ablehnend reagieren (...) Ich denke, es ist ein tragischer Fehler. Es gab keinen Grund für die Erweiterung (...). Natürlich wird es eine schädliche Reaktion aus Russland geben, und dann werden [die Nato-Erweiterer] sagen, wir haben euch immer gesagt, dass die Russen so sind – aber das ist einfach falsch."
David Goeßmann zur Debatte
Viele namhafte Analysten in den USA hätten Washington immer wieder eindringlich davor gewarnt, dass es leichtsinnig und unnötig provokativ sei, die von Russland geäußerten Sicherheitsbedenken zu ignorieren, darunter der derzeitige CIA-Direktor William Burns und sein Vorgänger Stansfield Turner, sogar Falken wie Paul Nitze, eigentlich fast das gesamte diplomatische Korps in den Vereinigten Staaten, das sich mit Russland auskennt.
Journalistisch war der Text, der zuerst in unserem Partnermagazin "Welttrends" erschienen ist, auf Basis üblicher Fragen geprüft: Argumentiert die Autorin sauber? Ja, offensichtlich. Ist ihre Position relevant? Ja, denn Hudson ist Generalsekretärin der Kampagne für Nukleare Abrüstung (UK) und Vorstandsmitglied des Internationalen Friedensbüros. Rechtfertigt sie den russischen Krieg? Nein, sie schreibt unmissverständlich, Russland habe den Krieg vom Zaun gebrochen.
Klar, Hudsons Position ist kontrovers. Man könnte auch regierungsfinanzierten Lobbyisten wie dem ehemaligen Grünen-Politiker Ralf Fücks Platz für eine De-facto-Kolumne bieten, ohne seine Interessenkonflikte offenzulegen, wie dies ein großes deutschen Nachrichtenmagazin macht. Das wäre weniger kontrovers. Aber eben auch weniger journalistisch.
Artikel zum Thema:
Kate Hudson: Wann, wenn nicht jetzt: Warum die Nato aufgelöst werden sollte
Bernhard Gulka: Zeitenwende für Russland
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