Die Chancen des Internet nutzen

Kommentar zur "Bonner Erklärung"

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Am Dienstag, den 8. Juli, fand die Europäische Ministerkonferenz Globale Informatiosnnetze: Die Chancen nutzen in Bonn statt, die mit einer Erklärung endete. Versammelt hatten sich Minister aus den Mitgliedsstaaten der EU, der Europäischen Freihandelszone, aus mittel- und osteuropäischen Ländern und Zypern, aber auch "hochrangige Gäste" aus den USA, aus Kanada, Rußland und Japan. Und damit die Minister auch wissen, wovon sie handeln, wurde ein Internet Café und eine Ausstellung eingerichtet.

Die kurz nach dem amerikanischen Blueprint von den europäischen Ministern unterschriebene Erklärung scheint bei allen Vorbehalten über schnell getroffene, aber an sich unverbindliche Absichtsbekundungen aber doch eine prinzipielle Einigkeit der Europäer zu finden. Ebenso wie Clinton/Gore sehen die Europäer die Benutzung und den Ausbau der globalen Netzwerke als Möglichkeit, den Standort wirtschaftlich, technisch und wissenschaftlich zu sichern und Arbeitsplätze zu schaffen. Deswegen sollen die Menschen und Unternehmen in die Netze gelockt und ein "Vertrauen" in sie geschaffen werden. Die "digitale Revolution" wird als eine "Chance für alle" und "eine äußerst positive Entwicklung", die "entscheiden und umgehend genutzt" werden solle. gewissermaßen von oben verordnet, auch wenn die Überzeugung herrscht, daß die wesentliche Impulse aus der Wirtschaft kommen sollen. Betont wird, daß gerade für die Entwicklung des World Wide Web die europäische Wissenschaft Pionierarbeit geleistet habe, also die Netze nicht nur amerikanischer Provenienz sind, die jetzt die Europäer nur übernehmen müßten. Da sind wir stolz und fühlen uns aufgerufen, endlich mit Entschlossenheit Europa wieder stark und wettbewerbsfähig zu machen.

Immerhin bekunden die Minister, daß besonders das Internet sich wegen seiner grenzübergreifenden Natur "in nahezu jeder Hinsicht von den herkömmlichen Kommunikationsmitteln unterscheidet." Scharf wird zwischen Informationsanbietern und Vermittlern unterschieden, die nicht "allgemein" für Inhalte verantwortlich sein dürfen. Eine Vorzensur, wie sie hierzulande ja schon mehrfach praktiziert wurde, werde nicht erwartet. Wie in der amerikanischen Erklärung bekundet man, daß dieses neue Kommunikationsmittel nicht nur anders ist, sondern auch alles verändern und beeinflussen wird. Anders als im Blueprint, der sich nahezu vollständig der wirtschaftlichen Liberalisierung und den dazu vermeintlich erforderlichen Rahmenbedingungen widmet, werden in der europäischen Variante zumindest die politischen Möglichkeiten beschworen. Schließlich seien die globalen Netze "demokratiefördernd", weil sie "die Kommunikation zwischen Bürger und Staat" vereinfachen und "dem Bürger zu einer aktiveren Rolle im Staatswesen" verhelfen. Von einer wie auch immer gearteten "elektronischen Demokratie" freilich ist noch wenig zu spüren. Man darf auch durchaus daran zweifeln, daß die Netze wegen ihres Demokratiepotentials gefördert werden, da sie wohl vor allem dazu dienen, die Staatskosten durch Rationalisierungsmaßnahmen zu reduzieren.

Die Minister hoffen auch darauf, daß, ähnlich wie beim Euro, die wirtschaftliche Integration über die Netze auch den "sozialen Zusammenhalt" fördern könnten, wenn europa- und weltweit eine Zweiteilung der Gesellschaft in Informationsarme und -reiche vermieden wird. Genau wie bei der EU soll die Wirtschaft den Motor darstellen, der die vielleicht erwünschten politischen Konsequenzen dann gewissermaßen automatisch, im Sinne der "unsichtbaren Hand", nach sich ziehen wird. Obgleich die globalen Informationsnetze "an sich", wie der Name sagt, global seien, tragen sie zur europäischen Integration bei. Der Zugang zu den Netzen soll einfach und billig sein, wobei öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken ihn für alle ermöglichen sollen. Maßnahmen, die nicht weiter konkretisiert sind, würden gefördert werden, um auch "Benutzer in abgelegenen Regionen und für benachteiligte Gruppen" ans Netz anzubinden. Dazu gehöre auch die Förderung der sprachlichen Vielfalt, die ja auch technische und wirtschaftliche Implikationen hat. Und überhaupt soll die Medienkompetenz von den Grundschulen an verstärkt werden. Ansätze für all das sind in Deutschland noch wenig zu bemerken.

Aber, so lobt man sich selbst, Europa habe trotz aller Sklerose viel zur Entwicklung der Informationsnetze zu bieten - technisch, aber auch inhaltlich. Unser Potential sei eben die "kulturelle und sprachliche Vielfalt", die man wirtschaftlich fördern solle. Das sei das "Herzstück des gemeinsamen europäischen Erbes", das man ausschlachten müsse. Recht viel mehr als Übersetzungsprogramme wird dieses Herzstück aber nicht hergeben, denn europäische Einigung und Globalisierung erzwingen langfristig neben technischen Normen und einer Auflösung nationaler Märkte auch eine globale, grenzübergreifende Kultur, wogegen sich die Europäer politisch bei ihrem Einigungsprozeß noch vehement sträuben.

Die am Ende der Erklärung angekündigten "Folgemaßnahmen" werden vorerst wohl die entscheidenden Konsequenzen bleiben. Man will "die allgemeinheit in ganz Europa sensibilisieren", beispielsweise durch einen "Tag der Informationsgesellschaft". Darauf freuen wir uns schon. Ansonsten sind weitere Sonderkonferenzen geplant - und man erklärt sich sogar bereit, die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet weiter zu verstärken.

Allerdings stößt die Absicht der amerikanischen Regierung, die Erhebung neuer Steuern auf Transkationen im Internet zu verhindern, in den USA auf Widerstand. Städte und Bundesstaaten protestieren gegen diesen Eingriff in ihre Souveränität und fürchten, daß damit große Budgetprobleme geschaffen werden. In Deutschland gab es noch keine Proteste, was ein Indiz für die noch immer weit verbreitete Unkenntnis ist. Schon jetzt ziehen einige Bundesstaaten wie Tennessee durch Erhebung spezifischer Internet-Steuern zusätzliche Gelder ein. Jedenfalls zogen am 17. Juli bereits Vertreter der Bundesstaaten und der Städte zum Capitol Hill, um gegen das allgemeine Verbot von Internet-Steuern zu protestieren.