Die Globalisierung der immateriellen Produktion und ihre lokalen Konsequenzen

Seite 5: Dezentralisierung als Ausweg aus der dualen Stadt

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Wenn die Politik dieser Entwicklung begegnen will, dann muß sie neben Ausgrenzung (dem "Rassismus" des ökonomischen Erfolges) und Deregulierung (der Verpflichtung der Individuen auf ihre - nicht vorhandenen - Mittel) eine dritte Option in Betracht ziehen, der ein starker Zug zur Dezentralisierung innewohnt. Dezentralisierung in diesem Sinn bedeutet Nutzung (halb)aufgegebener Lebensräume und ihrer natürlichen Ressourcen mittels der ökonomischen und demographischen Potenz der Metropolen. Es ist nicht auszuschließen, daß gerade unter der Voraussetzung globaler Weltmarktkonkurrenz die (anfängliche) Subventionierung von solchen "Subsistenzökonomien" und demonetarisierten lokalen Versorgungskreisläufen, also eine bewußte sektoriale bzw. regionale Abkopplung vom Zwang zur Konkurrenzfähigkeit, auch ökonomisch mehr Sinn macht als die Kapitulation vor der anschwellenden und zugleich funktionslosen industriellen Reservearmee.

Ein solches Konzept ist vielleicht nur auf Grund der rasanten Entwicklung der Telekommunikationstechnologie denkbar geworden. Die Umkehrung der Migrationsströme wird nur dann gelingen, wenn Lebensstandard und Lebenschancen, die sich die Migranten in den Zentren erwarten, in den peripheren Regionen wieder - beziehungsweise neu - entstehen können. Wenn durch die zunehmend sinkende Wirtschaftskraft der Peripherien dieser Lebensstandard nicht mehr über Exporte aus materieller Produktion zu bezahlen ist, muß ein neuartiges Modell von auf Subsistenz abzielenden Wissens- und Technologietransfers (Knowledge bridges) an die Stelle der Kreditierung von längst bankrotten Wachstumshoffnungen treten.

Die Motivation für die Metropolen, sich in derlei Aktivitäten zu engagieren, erschöpft sich keineswegs in einer Abwehrstrategie gegen Migration; Subsistenzlebensräume mit funktionierenden lokalen Kreislaufökonomien sind auch langfristig Abnehmer von spezifischen Technologien und Dienstleistungen und werden so zur Erweiterung des städtischen Aktions- und Lebensraums. Der Dualisierungsprozeß der globalen Ökonomie könnte dem "Prosumer"-Product-Sektor, weitere Bedeutung verschaffen.

Während in diesem Szenario die Sphären für klassische Konsum- und Investitionsgüter schrumpfen, ist sogar ein Boom für Subsistenztechnologie von Solaranlagen bis zu lokalen Netzwerken denkbar. Städte könnten ihr Wissen und ihre Kompetenz in Sachen stofflicher Reproduktion quasi "franchisen" und auf diese Art und Weise eine neue Ökonomisierung ihrer Services einleiten. Nicht mehr die (auf dem Mehrwert aus industrieller Kapitalakkumulation beruhenden) Nationalstaaten, sondern die stofflich-technisch zu "globalen Subsistenzökonomien" und telekommunikativ zu vielerlei "virtuellen Gemeinschaften" verbundenen Stadtnetze könnten die entscheidenden ökonomischen und "politischen" Akteure des 21. Jahrhunderts werden.