EU-Korruptionsfall Eva Kaili: Wie aus "Katargate" ein "Marokkogate" wird

Seite 3: Cembrero: Der marokkanische Geheimdienst und die EU

Der Journalist, der für die großen Tageszeitungen in Spanien tätig war, sieht in Atmoun nur einen Befehlsempfänger. Cembrero steht, weil er immer wieder dunkle Vorgänge des Königreichs ans Licht gezogen hat, im Fadenkreuz des autoritären Landes und seiner Ermittler.

Immer wieder, erneut im kommenden Januar, wird er von Marokko vor Gericht gezerrt.

Bisher hat er alle Verfahren gewonnen. Beim nächsten Verfahren geht es um den Pegasus-Abhörskandal, denn es ist längst für alle klar, dass auch Marokko die israelische Spionagesoftware eingesetzt hat. Unter anderem soll auch der französische Präsident Emmanuel Macron ausspioniert worden sein.

Dass der spanische Regierungschef Pedro Sánchez und weitere Mitglieder der sozialdemokratischen Regierung massiv ausgespäht wurden, hat die Regierung sogar zugegeben. Intern geht man auch von Marokko als Täter aus, Aufklärung verhindert die spanische Regierung aber.

Immer mehr Menschen fragen sich angesichts der neuen Enthüllungen, warum das der Fall ist. Für Cembrero ist klar, dass zumindest DGDE-Chef Yassine Mansouri hinter den Vorgängen steckt, wenn sie nicht noch deutlich weiter hinauf bis in den Königssessel reichen. Er sieht hinter dem Skandal vor allem Marokko, das "hyperaktiv" seit Jahren gegenüber der EU in Brüssel tätig sei.

Intern gehen die belgischen Ermittler davon aus, dass der DGDE-Agent Belharace Mohamed der Führer von Panzeri, Cozzolino und Giorgi war. Sogar Yassine Mansouri, der Generaldirektor der DGED, hat sich mit Mitgliedern des Trios getroffen.

Es sind verschiedene Treffen mit Cozzolino allein im Jahr 2019 dokumentiert, der in diesem auch mindestens einmal in Marokko war. Nach Angaben des belgischen Geheimdienstes soll auch Panzeri nach Marokko geflogen sein, um den Geheimdienstchef Mansouri im Juni 2021 zu treffen.

Nach Angaben von La Repubblica soll die belgische Justiz inzwischen auch einen internationalen Haftbefehl gegen Mansouri ausgestellt haben.

Das italienische Blatt ist sich ihrer Informationen sehr sicher, sonst würde sie das nicht über den Geheimdienstchef eines Landes berichten, dass wegen verschiedener Enthüllungen auch die Süddeutsche Zeitung, Le Monde und andere große Medien wegen der Pegasus-Enthüllungen vor Gericht zu ziehen versucht.

Ziel: Souveränität über die illegal besetze Westsahara

Für den Experten Cembrero, der vermutlich auch von Marokko über Pegasus ausgespitzelt wurde, ist klar, dass man ihn zum Schweigen zu bringen versucht, weil er nicht aufhört, über das zentrale Anliegen von Marokko zu schreiben: Die Souveränität über die illegal besetze Westsahara zu erreichen.

Für den marokkanischen Geheimdienst steht die Frage der Westsahara ganz oben auf seiner Prioritätenliste.

Ignacio Cembrero

Deshalb ist der Journalist überzeugt, dass man es mit einem "Marokkogate" zu tun hat. Auch mit der Hyperaktivität, Bestechung und Lobbyarbeit in Brüssel wolle Marokko den internationalen Druck verringern, der seit Jahren auf das Land wegen der Annexion der Westsahara ausgeübt wurde.

Deshalb setze man in Rabat alles daran, verschiedene Parlamente, allen voran das spanische und das französische Parlament und das Europäische Parlament, und andere europäische Institutionen massiv zu beeinflussen.

Schaut man sich die Erfolge an, so reichen sie bekanntlich bis in die deutsche Regierung, worüber Telepolis in den letzten Jahren ausführlich berichtet hat. Denn die neoliberale Wende in der deutschen Außenpolitik lässt sich am Beispiel Marokko und der besetzten Westsahara besonders deutlich zeigen.

An den Erfolgen wird auch deutlich, dass wir es eher mit einem "Marokkogate" zu tun haben, Katar dürfte das Netzwerk nur in den letzten Jahren ebenfalls genutzt haben. So streicht Cembrero heraus, dass es Marokko gelungen ist, in Brüssel nur noch mit Samthandschuhen angefasst zu werden.

In 25 Jahren gab es nur eine einzige Entschließung, die sich gegen Rabat richtete, als Marokko am 10. Juni 2021 die Einwanderung zur Erpressung Spaniens und der EU in Ceuta genutzt hat.

Dass die marokkanischen Dienste seit langem in Brüssel aktiv sind, macht er unter anderem am Beispiel der mutmaßlichen Agentin Kaoutar Fal deutlich. Die sei seit 2017 aktiv gewesen, wurde 2018 von belgischen Diensten enttarnt und 2018 ausgewiesen.

Die Erfolge der Marokkaner zeigten sich auch, als der Europäische Gerichtshof die EU für ihre neokoloniale Politik vor einem Jahr abgestraft. Das Gericht hatte ein bilaterales Abkommen zwischen der EU und Marokko annulliert, weil darüber die besetzte Westsahara ausgeplündert würde.

Josep Borrel

Doch statt sich an höchstrichterliche Anordnungen zu halten, setzte der umstrittene EU-Außenbeauftragte Josep Borrell offen alles daran, das Urteil auszuhebeln. Borrell hatte nichts Besseres zu tun, als gemeinsam mit Marokko zu erklären, dass sichergestellt werde, dass das rechtliche Rahmenwerk erhalten bleibt.

Auch Borrell ist ein Sozialdemokrat, die sich in der Affäre, wie aufgezeigt, besonders hervortun. Ist also der krasse Schwenk, den der sozialdemokratische spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez zur Westsahara-Frage vollzogen hat, als er praktisch die Souveränität Marokkos über das illegal besetzte Gebiet anerkannt hat, noch überraschend? Keine einzige Partei in Spanien unterstützt den einseitigen Kurs der Sozialdemokraten dabei.

Vielleicht ist es auch kein Zufall, jedenfalls sollten die Ermittler in Belgien sich das genau anschauen, wenn der Anwalt der angeschuldigten Kaili erklärt, dass sie nur Anweisungen ausgeführt habe.

Michalis Dimitrakopoulos erklärte in einem Interview mit dem griechischen Fernsehsender Mega TV, dass sie auf Anweisung der Parlamentspräsidentin Roberta Metsola agiert habe. Die habe auch den EU‑Beamten Roberto Bendini mitgeschickt, um deren Treffen in Katar "zu beobachten", würden Dokumente belegen.

Frau Kaili habe gesagt, dass sie nur einen Plan ausgeführt habe, der 2019 begonnen hat. "Der Hohe Vertreter Josep Borrell und Ylva Johansson [Kommissarin für Inneres] hatten auf Kommissionsebene beschlossen, mit Katar, Kuwait und Oman zusammenzuarbeiten", fügte ihr Anwalt an.

Es kann sein, dass das nur eine Verteidigungsstrategie ist. Es kann auch sein, dass Kailis Lebensgefährte Giorgi mit seinen Aussagen nur sie zu entlasten versucht, wie Wassilis Aswestopoulos auf Telepolis vermutet. Das alles muss ermittelt werden. Es ist einiges faul in Brüssel und der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf her.

Klar ist, da hat Aswestopoulos sicher Recht, bisher haben wir es nur mit der "Spitze eines Eisbergs"zu tun. Deshalb wird es sicher hier auch weitere Kapitel in der Agenten- und Korruptionsgeschichte geben.