Eine zweite Währung für das Öl

Ein Gespräch mit Peak-Oil-Experten Richard Heinberg

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Ende November 2006 sagte Forscher Dennis Meadows (MIT), Mitautor von Die Grenzen des Wachstums, man würde in 20 Jahren Benzin nur noch auf Bezugsschein bekommen. Ein solches Szenario entwirft der US-Autor Richard Heinberg in seinem neuen Buch The Oil Depletion Protocol: A Plan to Avert Oil Wars, Terrorism and Economic Collapse, in dem er eine Art Kyoto-Protokoll für die kommende Ölknappheit beschreibt (siehe auch: Oil Depletion Protocol). Seit einigen Jahren macht sich Heinberg als einer der prominentsten Peak-oil-Mahner bemerkbar. Craig Morris sprach mit Prof. Heinberg für Telepolis.

Worum geht es in diesem Protokoll?

Richard Heinberg: Es schreibt eine Reduzierung der Ölproduktion und -verbrauch um 2,5 bis 3% jährlich vor. Im Grunde könnte das Protokoll auf allen Ebenen eingeführt werden - von Städten über Gemeinden is hin zu einzelnen Haushalten -, aber es wäre vor allem auf nationaler Ebene wichtig. Die Staaten würden sich damit verpflichten, ihren Verbrauch jährlich um einige Prozentpunkte zu senken.

Warum sollte das funktionieren, wo das große Vorbild - der Kyoto-Protokoll - ein so gemischter Erfolg ist? Manche Länder wie die USA und Australien haben ihn gar nicht erst ratifiziert, andere wie Spanien haben ihn ratifiziert, werden das Ziel aber weit verfehlen.

Es geht um ein anderes Problem, wenn auch um ein verwandtes. Beim Kyoto-Protokoll geht es um den Klimawandel. Beim Oil Depletion Protocol geht es darum, dass die Industrieländer nicht ohne Öl auskommen können, was ein sehr wunder Punkt ist, zumal das Öl immer knapper wird. Wir sind unserer Ölabhängigkeit völlig ausgeliefert und gar nicht auf die kommende Knappheit vorbereitet. Wir haben beispielsweise keine Alternativen entwickelt. Wir müssen also rasch handeln, wenn wir wirtschaftlich überleben wollen. Beiden Protokollen gemeinsam ist der Verzicht auf fossile Energieträger, aber die Motivation und - deshalb die Taktik - ist eine andere.

Wer den Wechsel plant, fährt langfristig besser

Formell sehen aber beide relativ gleich aus. Sie haben beide ein Sekretariat, ähnliche Organisationsformen usw. Und die Befürworter des Kyoto-Protokolls sagen doch auch, dass wir nicht länger warten können, es gehe um das blanke Überleben der Zivilisation. Das Kyoto-Protokoll trat in Kraft, als 55% der Menschheit beigetreten waren. Sie sagen, dass das Oil Depletion Protocol auch Vorteile bringt, wenn nicht alle mitmachen. Hat man nicht auch beim Kyoto-Protokoll gesagt, dass der Wechsel zu CleanTech auch wirtschaftliche Vorteile mit sich brächte, egal ob genug Länder mitmachen?

Richard Heinberg: Im Gegensatz zum Kyoto-Protkoll sagen wir, dass dieser Wechsel weg vom Öl unausweichlich ist. Wir können nur entscheiden, ob wir diesen Wechsel mitgestalten wollen oder nicht. Dieser kann schnell und unangenehm vonstatten gehen oder sanfter und allmählicher. Wenn wir zu lange warten, haben wir zu wenige Optionen, und die Kosten wären zu hoch. Ford, GM, und Chrysler hatten weiterhin geplant, Benzinschlucker herzustellen, weil die Kunden diese Autos lange Zeit bevorzugten. Nun stehen diese Autoformen kurz vor der Pleite. Die Japaner und die Europäer gewinnen einen immer größer werdenden Markanteil mit ihren sparsameren Autos. Das wird sich auf allen Ebenen fortsetzen: Wer den Wechsel plant, fährt langfristig besser.

Wenn man den globalen Verbrauch um 3% senken möchte, braucht man verlässliche Zahlen, aber die gibt es nicht.

Richard Heinberg: Man müsste deshalb eine unabhängige Verifizierung der Zahlen von Dritten verlangen. Alle sind sich einig, dass wir bessere Zahlen brauchen - die Internationale Energieagentur, das US-Energieministerium, usw. Lediglich diejenigen, die uns diese Zahlen vorenthalten, sind dagegen. Aber das Oil Depletion Protocol bietet allen Ländern ein Feigenblatt, denn wir würden nicht verlangen, dass die Differenzen zwischen alten und neuen Zahlen begründet werden müssten. Wir wollen niemanden bestrafen, sondern wir wollen gute Informationen.

Es geht auch nicht darum, dass alle Länder ihre Reserven veröffentlichen, sondern um Produktion und Verbrauch.

Richard Heinberg: Ja, um die Reserven geht es vorrangig nicht, auch wenn diese wichtig sind.

Rationierung des Öls

Wie würde das am Beispiel der USA funktionieren, wenn das Land seinen Verbrauch um 3% senken sollte?

Richard Heinberg: Die inländische Produktion sinkt ohnehin, es müssten also die Importe gedrosselt werden. Man müsste einfach eine Obergrenze setzen: Mit einer Quotenregelung würde man die Anteile versteigern.

Dann schießen die Preise in die Höhe. Wie wollen Sie das verkaufen?

Richard Heinberg: Man kann zu starken Preissteigerungen wohl nur vorbeugen, indem man einen Teil des Öls rationiert. Darauf gehe ich auch in meinem Buch ein. David Fleming hat das Konzept der handelbaren Energiezertifikate entwickelt, was mir als die fairste Art der Verteilung erscheint. Man würde pro Nase Anteile verteilen, und alle würden wissen, dass sie jedes Jahr 3% weniger bekommen. Der Anreiz zum Sparen wäre da, denn man könnte seine Anteile verkaufen, wenn man sie nicht braucht. Das Resultat wäre eine Umverteilung des Geldes von den Energiefressern zugunsten der Energiesparer. Dieser Marktmechanismus würde auch dafür sorgen, dass die Preise nicht zu steil ansteigen.

Sie schaffen also eine zweite Währung fürs Öl.

Richard Heinberg: Ja, die Idee gibt es schon seit einigen Jahren, beispielweise bei der emissions-backed currency unit (Ebcu). Die Preise würden dabei steigen, aber nicht zu schnell. Die Volatilität ist das eigentliche Problem, und das wäre hiermit vermieden. Jeder Verbraucher würde dann eine Art Kreditkarte bekommen, und man könnte damit zur Tankstelle gehen und tanken oder seine Anteile an die landesweite Auktion verkaufen.

Kompakte Städte mit Elektrobahnen, Züge statt Autobahnen und Fahrradwege

Was passiert, wenn die OPEC die Produktion nicht drosselt? Dann ist das Benzin für alle Länder, die nicht mitmachen, billiger, weil die USA weniger importieren und deshalb mehr Öl auf dem Weltmarkt verfügbar ist.

Ich kann mir vorstellen, dass so was passieren könnte. Dabei werden die produzierenden Länder vermutlich auch ohne Protokoll ihre Produktion bald senken müssen, weil so viel Öl nicht mehr zu fördern ist. Beim Protokoll geht es also nur um eine leichte Steuerung dieses Vorgangs. Und je mehr man seine Ölinfrastruktur ausbaut, desto anfälliger ist man, wenn der große Krach kommt. Man könnte sich sogar - an Anlehnung an das Konzept von Contraction and Convergence vorstellen, dass das Pro-Kopf-Prinzip global anwendet, d.h. allmählich würde man die Zertifikate global verteilen. Dann würde die Reduzierung vorerst nur in den Industrieländern stattfinden, wo der Pro-Kopf-Verbrauch am höchsten ist.

Welche Alternativen hat man denn zum Öl?

Richard Heinberg: Die meisten erneuerbaren Energien erzeugen Strom: Solarenergie, Windenergie, Geothermie und Meereskraft. Leider ist unser Transportsektor auf Öl angewiesen, nicht Strom. Wir haben kaum Elektroautos, und die meisten Straßenbahnen in den USA wurden durch Busse ersetzt.

Wir müssten deshalb unsere Städte, die wir jahrzehntelang für Autos gebaut haben, wieder für Menschen bauen?

Richard Heinberg: Genau, wir brauchen kompakte Städte mit Elektrobahnen, Züge statt Autobahnen und Fahrradwege - und dieser Umstieg kann nicht schnell genug passieren. In allen Umfragen geben die Amerikaner an, dass die Energiesicherheit ganz oben auf der Agenda steht, aber die Politiker wissen anscheinend nicht, was sie damit anfangen sollen. Der globale Krieg gegen den Terror ist nur ein Stellvertreter. Als Dick Cheney ins Amt kam, wusste er bestens Bescheid: Wenn die USA weiterhin globale Ölressourcen kontrollieren sollten, bräuchten sie mehr Militärpräsenz weltweit. Das hat er geschafft, aber die Rechnung ging nicht auf.

Und laut manchen Berechnungen machen die Militärausgaben der USA das Benzin für die Steuerzahler in den USA schon viel teurer als in Europa.

Richard Heinberg: Würden wir diese Militärausgaben einem Energiewechsel umwidmen, gäben wir insgesamt weniger für Energie aus, und wir müssten uns nicht so viele Gedanken über den Terrorismus machen.