Eklat um Vortrag: "Berechtigte Kritik an der Politik Israels" oder "Propaganda"?
Telepolis dokumentiert: Streit zwischen Verleger und jüdischer Hochschule. Dürfen israelkritische Veranstaltungen mit öffentlichen Geldern finanziert werden? Wo liegen die Grenzen der Meinungsfreiheit?
Ein Vortrag des Verlegers und Nahost-Kenners Georg Stein in Heidelberg mit dem Thema "Eskalation im Nahen Osten" hat Kontroversen ausgelöst. Die Hochschule für Jüdische Studien versuchte zunächst, die Veranstaltung zu verhindern, dann schaltete sich das Innenministerium Baden-Württembergs ein.
Michael Blume, Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus, fordert nun eine Prüfung des Vortrags. Die Hochschule wirft Stein antiisraelische Positionen vor, während dieser die Vorwürfe als unwahr und diffamierend zurückweist.
Die Veranstaltung fand schließlich im Eine-Welt-Zentrum statt, nachdem die Volkshochschule Heidelberg den Raum aus Angst vor Tumulten abgesagt hatte.
Stein betont sein Engagement für den Frieden im Nahen Osten durch den Palmyra-Verlag, Leser der Lokalpresse äußern Empörung über den Versuch politisch motivierter Zensur.
Der Verleger wehrt sich zudem in einem offenen Brief an die Hochschule für jüdische Studien gegen deren Anwürfe.
Die private Bildungseinrichtung hatte einen offenen Brief an den Vorstand des Eine-Welt-Zentrums Heidelberg geschrieben und ihre Besorgnis über die geplante Veranstaltung geäußert.
Die Autoren des Briefes kritisieren Stein für seine ihrer Meinung nach einseitig antiisraelischen Positionen und werfen ihm vor, den Terrorismus der Hamas nicht hinreichend zu thematisieren.
Die Hochschule bezeichnet den Palmyra-Verlag als eine "Propagandaplattform" und fordert, dass "Veranstaltungen dieser Art nicht mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden sollten".
Zudem beklagen die Unterzeichner das Zulassen antisemitischer Positionen bei vorherigen Veranstaltungen des Verlags.
Sie fordern schließlich, die geplante Veranstaltung abzusagen und betonen die Notwendigkeit einer ausgewogenen Debatte zur Situation in Israel/Palästina.
Telepolis dokumentiert in Ergänzung der Berichterstattung, die offenen Briefe beider Seiten, die Schreibweisen wurden jeweils wie im Original belassen.
"Veranstaltungen zum Thema Israel/Palästina nicht mit Diffamierungen verhindern"
Offener Brief von Georg Stein an die Hochschule für jüdische Studien.
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Arnold,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schmitt,
sehr geehrter Herr Lüllemann,
sehr geehrte Frau D'Ambrosio,
ich nehme Bezug auf Ihr Schreiben vom 24.10.2023 an das Heidelberger Eine-Welt-Zentrum (EWZ). Darin verlangten Sie, dass das EWZ eine mit mir für den 26.10. geplante Veranstaltung zum Thema "Eskalation im Nahen Osten" absagen bzw. dafür keine Räumlichkeiten zur Verfügung stellen solle.
Die in diesem Schreiben gegen mich und meinen Verlag gerichteten Anschuldigungen weise ich hiermit mit aller Entschiedenheit zurück. Sie sind unwahr, beleidigend und ehrabschneidend. Strafrechtlich erfüllen sie den Tatbestand der üblen Nachrede und Verleumdung. Einen Beitrag zu der von Ihnen geforderten "sachbezogenen Debatte" leisten die Vorwürfe gegen mich mit Sicherheit nicht.
Meinem Vortrag im Eine-Welt-Zentrum "eine einseitige Ausrichtung" zu unterstellen, ohne dass Sie überhaupt wussten, worüber ich sprechen würde, ist einfach nur unseriös. Genauso wie Ihre Feststellung, die geplante Veranstaltung könne "Israel-Hass" verbreiten. Nichts liegt mir ferner als das!
Mein Verlag war nie wie Sie behaupten eine "Propagandaplattform" und vertrat nie "einseitige anti-israelische Positionen". Bücher – vor allem auch von renommierten israelischen Autoren –, die sich kritisch mit der israelischen Politik auseinandersetzen, sind allerdings durchaus in meinem Verlag erschienen. Ich nenne hier nur den Namen Uri Avnery, der sich als vor den Nazis geflüchteter deutscher Jude in Israel sein Leben lang für eine gerechte, gewaltfreie Friedenslösung unter Einbeziehung eines Palästinenserstaats eingesetzt hat.
In Anerkennung für meinen Verlag wurde ich zusammen mit Uri Avnery vor Jahren übrigens vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau zu einem politischen Hintergrundgespräch ins Schloss Bellevue nach Berlin eingeladen.
Das Eintreten für eine für beide Konfliktparteien gerechte Lösung auf der Grundlage von Verhandlungen und Dialog bestimmen das Nahost-Programm des Verlags seit seiner Gründung 1989. Für dieses Anliegen wurde der Verlag vor zwei Jahren für den Stuttgarter Friedenspreis nominiert.
Ich selbst bereise Israel/Palästina seit nunmehr 50 Jahren regelmäßig und war 30 bis 40 Mal in der Region. Der israelisch-palästinensische Konflikt war auch Schwerpunkt meines Studiums der Politischen Wissenschaften an der Universität Heidelberg bei Professor Klaus von Beyme.
Der Palmyra Verlag hat nie behauptet ein "wissenschaftlicher Verlag" zu sein, wie Sie es nennen. Als Vertreter einer wissenschaftlichen Einrichtung sollten Sie eigentlich erkennen können, dass es sich beim Palmyra Verlag – bewusst nicht – um einen Wissenschaftsverlag handelt, sondern um einen Sachbuchverlag, in dem natürlich auch Bücher von Politologen, Historikern, Orient- und Isalmwissenschaftlern erscheinen.
Dass der Palmyra Verlag sehr wohl "fundierte Positionen bezieht", können Sie der Tatsache entnehmen, dass in meinem Verlag u.a. auch Bücher erschienen sind in wissenschaftlicher Kooperation mit der Universität Hamburg, dem Goethe Institut (der amtierende Goethe-Generalsekretär Thomas Ebert ist ein Palmyra-Autor), dem Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ (heute GIZ) und auch dem Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Universität Heidelberg. Palmyra-Autoren wie Rafik Schami, Edward W. Said, Mahmoud Darwisch, Navid Kermani und Michael Lüders stehen sicherlich für "fundierte Positionen".
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Vorworte zu Palmyra-Büchern schrieben u.a. Hans Küng, Nelson Mandela, Butros Butros-Ghali, Lea Rabin, Amos Oz, Joschka Fischer, Rudolf Augstein, Robert Jungk, Jutta Limbach und Erich Fried – Namen, deren Redlichkeit Sie sicher nicht bestreiten wollen.
Ihre Behauptung, Personen, "die antisemitische Positionen vertreten oder Beziehungen zu islamistischen oder anderweitig extremistischen (PFLP) Terrororganisationen unterhalten", würden meinen Verlag als "Propagandaplattform nutzen" ist empörend und geradezu perfide. Diese Personen gibt es nicht! Nennen Sie mir auch nur einen Namen, auf den dieser absurde Vorwurf zutreffen soll.
Vollkommen unberechtigt ist auch Ihr Vorwurf, ich sei bei Palmyra-Veranstaltungen ein "unfairer Gastgeber" gewesen, der "FragestellerInnen mit haltlosen, teils strafrechtlich relevanten Vorwürfen diskreditiert" habe.
Gerade der "reibungslose" Verlauf der Veranstaltung am 26.10. hat sicherlich bewiesen, dass diese Anschuldigungen vollkommen unbegründet sind. Sollte es in der Vergangenheit bei Veranstaltungen zu Äußerungen von Teilnehmern gekommen sein, die "antisemitische Klischees überschritten, ja krude Verschwörungsnarrative beförderten", so wurden diese von mir zurückgewiesen. Auch dies war bei der Veranstaltung am 26.10. der Fall.
Die von Ihnen angegriffene Professorin für Politische Wissenschaften, Helga Baumgarten, zählt im akademischen Bereich zu den sicherlich renommiertesten Nahost-Wissenschaftlerinnen. Sie hat auf der Veranstaltung im Sommer 2022 in keinster Weise die Hamas-Herrschaft im Gazastreifen "stark verharmlost" und schon gar nicht "legitimiert".
Sie tat nichts anderes, als die historischen Entstehungszusammenhänge der Hamas zu kontextualisieren und darauf hinzuweisen, dass diese im Januar 2006 – zum Missfallen des Westens – demokratisch gewählt wurde.
In meinem Vortrag am 26.10. ging ich auch auf meine siebenwöchige Israel/Palästina-Reise im letzten Jahr ein, die mich auch in den Gazastreifen führte. Im Rahmen von etwa 50 Begegnungen vor Ort (u.a auch in Yad Vashem, bei der Organisation für Holocaust-Überlebende AMCHA, dem Museum der Kämpfer des Warschauer Gettos und der Zeitung "Haaretz") traf ich auch die angesehene Biologieprofessorin Sumaya Farhat-Naser und die langjährige palästinensische Botschafterin in Deutschland, Khouloud Daibes. Die Art und Weise, wie diese beiden Frauen, die sich immer nur für eine friedliche Konfliktlösung eingesetzt und schon lange das Existenzrecht Israels anerkannt haben, in Ihrem Schreiben wegen angeblich "hochproblematischen Ansichten" diffamiert werden, ist einer akademischen Einrichtung wie der Ihrigen geradezu unwürdig.
Die haltlosen Einwendungen Ihres Schreibens machen deutlich, dass es der Hochschule für Jüdische Studien um nichts anderes geht, als die berechtigte Kritik an der Politik Israels – und die zeigt sich im aktuellen Gazakrieg auf dramatische Weise – zum Schweigen zu bringen, oder "mundtot zu machen", wie es in einem RNZ-Leserbrief vom 6.11.2023 formuliert wurde.
Es geht nicht an, dass Sie sich anmaßen, zu entscheiden, wer sich zum Thema Israel/Palästina äußern darf und wer nicht und ob für entsprechende Veranstaltungen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden oder nicht. Noch leben wir in einem Staat mit grundgesetzlich garantierter Meinungsfreiheit.
Im Zusammenhang mit dem Gazakrieg möchte ich hier noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich das verabscheuungswürdige Massaker der Hamas vom 7. Oktober auf das Schärfste verurteile und mein tiefes Mitgefühl den israelischen Opfern und Geiseln gilt.
Ebenfalls wichtig ist mir die Feststellung, dass die Kritik an der Politik Israels kein Antisemitismus ist. Dass es in diesem Land leider aber immer noch einen weit verbreiteten Antisemitismus gibt, ist eine Tatsache, der es in aller Entschiedenheit entgegenzutreten gilt.
Ich weise an dieser Stelle auch noch einmal darauf hin, dass die Hochschule für Jüdische Studien im Mai dieses Jahres mit den fast gleichen haltlosen Argumenten schon einmal versucht hat, eine Veranstaltung meines Verlags zu verhindern.
Es handelte sich dabei um eine Filmreihe im Karlstorkino zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Filme, fast alle von israelischen Regisseuren, wurden ebenfalls als "propagandistisch" diffamiert, obwohl sicherlich niemand von der Hochschule für Jüdische Studien die Filme gesehen hatte.
Im Interesse einer offenen Gesellschaft und zum Schutz der Meinungsfreiheit stünde es der Hochschule für Jüdische Studien sicherlich gut an, künftig Veranstaltungen zum Thema Israel/Palästina nicht mit Diffamierungen und Falschbehauptungen verhindern zu wollen. Sollte dies aber ein weiteres Mal der Fall sein, werde ich rechtlich dagegen vorgehen. Aus Respekt vor der Lehr- und Forschungstätigkeit der Hochschule für Jüdische Studien zur Geschichte, Religion und Kultur des Judentums würde mir das sicher nicht leichtfallen.
"Hochproblematische Veranstaltung" und "hochproblematische Ansichten"
Offener Brief der Hochschule für jüdische Studien an das Eine-Welt-Zentrum Heidelberg
Sehr geehrte Vorstandssprecher:innen des Eine-Welt-Zentrums Heidelberg,
am 7. Oktober lancierte die terroristische Hamas die größte Terrorwelle gegen Israel seit Gründung des Staates. "Der Staat Israel sieht sich seit den Morgenstunden des 7. Oktober 2023 einer noch nie dagewesenen Welle terroristischer Angriffe ausgesetzt. Nie zuvor in seiner 75-jährigen Geschichte war der Staat Israel einer solchen terroristischen Gewalt und Brutalität ausgesetzt.
Die Angriffe auf Israel müssen umgehend beendet und alle Entführten müssen umgehend freigelassen werden.
Willkürliche Hinrichtungen und die Verschleppung unschuldiger Menschen ist durch nichts zu rechtfertigen." (12.10.23, Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)
Noch heute hält die Hamas mehr als 200 Menschen als Geiseln gefangen, darunter auch Deutsche. Weiterhin versucht Israel Raketen aus Gaza abzuwehren, vom Norden wird das Land von der terroristischen Hizbollah beschossen, weswegen Kirjat Schmonah mit seinen 22.000 Einwohnern komplett evakuiert werden soll.
In Deutschland selbst wurden Häuser mit Davidsternen markiert und Synagogen mit Molotov-Cocktails beworfen – die Lage könnte jederzeit weiter eskalieren.
Mit großer Verwunderung nehmen wir daher zur Kenntnis, dass Sie am Mittwoch, dem 26.10., eine Veranstaltung mit Herrn Georg Stein im Welthaus/Eine-Welt-Zentrum stattfinden lassen wollen.
Herr Stein ist regional bekannt für seine einseitigen anti-israelischen Positionen; die Ankündigung der Veranstaltung erwähnt mit keinem Wort den menschenverachtenden Terroranschlag der Hamas, erhebt aber scharfe Vorwürfe gegen den Staat Israel.
Unsere Studierendenvertretung möchte zudem betonen, das der Palmyra-Verlag keineswegs ein wissenschaftlicher Verlag ist, der fundierte Positionen bezieht, sondern eine Propagandaplattform, die nicht nur, aber eben auch von Personen genutzt wird, die erwiesenermaßen antisemitische Positionen vertreten oder in jüngerer Zeit vertreten haben, die Beziehungen zu islamistischen oder anderweitig extremistischen (PFLP) Terrororganisationen unterhalten.
Die Räumlichkeiten für deren Veranstaltungen sollten nicht mit öffentlichen oder steuerlich subventionierten Mitteln gefördert werden.
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Einige aus der Studierendenvertretung und aus der Studierendenschaft unseres Hauses haben in der Vergangenheit an Veranstaltungen des Palmyra-Verlags teilgenommen.
Dort erlebten sie Herrn Stein als unfairen Gastgeber, der kritische Fragen teils nicht einmal zulassen wollte, teils FragestellerInnen mit haltlosen, teils strafrechtlich relevanten Vorwürfen diskreditiert hat. Umgekehrt konnten Positionen geäußert werden, die klar antiisraelisch waren und die Grenze zu antisemitischen Klischees überschritten, ja krudeste Verschwörungsnarrative beförderten.
Auch bei einer hochproblematischen Veranstaltung im Sommer 2022 (Vortrag Helga Baumgarten) wurden Hamas-Herrschaft und Terrorismus stark verharmlost und legitimiert.
Die Einladung von Herrn Stein beinhaltet den Bericht über Unterredungen mit Personen, die hochproblematische Ansichten vertreten.
"And I would like to say that Hamas is very pragmatic and is different from the Taliban or the very fanatics." Sumaya Farhat-Naser
"Hamas is part of our society and must be integrated into the political process. That was the main goal of our consensus government. " Khouloud Daibes
Wir freuen uns über jede sachbezogene Debatte zur schwierigen Situation in Israel/Palästina und unterstützen Sie gerne bei der Suche nach kompetenten und ausgewogenen Referent:innen. Angesichts der aufgeheizten Stimmung in Deutschland und Heidelberg sehen wir das Eine-Welt- Zentrum allerdings in der Pflicht, die geplante Veranstaltung wegen ihrer einseitigen Ausrichtung ersatzlos abzusagen – einerseits um die Verbreitung von Israel-Hass zu verhindern und andererseits um möglichen Schaden am guten Ruf des Eine-Welt-Zentrum abzuwenden.
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