Energiekrise in der Ukraine: Von 34 auf 11 Gigawatt geschrumpft
Die Ukraine kämpft mit Stromausfällen. Russische Angriffe haben zwei Drittel der Kapazität zerstört. Nun droht ein eisiger Winter mit Engpässen.
Aufgrund der jüngsten russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur in der Ukraine haben die drei betriebsbereiten Kernkraftwerke des Landes ihre Stromproduktion gedrosselt. Darauf wies Rafael Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), in einer aktuellen Stellungnahme hin.
Laut Grossi ist dies bereits das zweite Mal innerhalb von weniger als zwei Wochen, dass die Kraftwerke Chmelnyzkyj, Riwne und Südukraine ihre Leistung herunterfahren mussten. Insgesamt neun Reaktoren an diesen Standorten haben demnach ihre Stromerzeugung reduziert. Zudem sei ein Reaktor im Kernkraftwerk Riwne vom Netz genommen worden.
Weiterhin beziehen die ukrainischen Kernkraftwerke laut IAEA Strom aus externen Quellen, wobei das Kraftwerk Chmelnyzkyj die Verbindung zu zwei Stromleitungen verloren hat. "Die Energieinfrastruktur der Ukraine ist extrem fragil und gefährdet, was die nukleare Sicherheit stark beeinträchtigt", warnte der IAEA-Chef. Er forderte erneut maximale militärische Zurückhaltung in Gebieten mit bedeutenden Kernenergieeinrichtungen.
Hintergrund: Großangelegte russische Angriffe
In der Nacht vom 27. auf den 28. November hatte Russland einen großangelegten kombinierten Raketen- und Drohnenangriff auf die ukrainische Energieinfrastruktur durchgeführt. Die ukrainische Luftabwehr konnte nach eigenen Angaben 76 Marschflugkörper, drei Luft-Boden-Raketen und 35 Drohnen von insgesamt 188 gestarteten Flugkörpern abschießen.
Am Morgen des 28. November wurden in allen ukrainischen Oblasten Notabschaltungen eingeführt, um die Stabilität des Stromnetzes nach dem jüngsten großflächigen Beschuss aufrechtzuerhalten.
EU: Massive Verluste bei Stromproduktion
Laut einer Analyse des EU-Rates verfügte die Ukraine bis Januar 2022 über eine Gesamtstromerzeugungskapazität von 34 Gigawatt (GW), darunter acht GW aus erneuerbaren Energiequellen, sechs GW aus Wasserkraftwerken, sechs GW aus thermischen Kraftwerken und 14 GW aus Kernkraft.
Seit Beginn des Krieges im Februar 2022 habe die Ukraine jedoch mehr als 22 GW ihrer Erzeugungskapazität verloren, davon allein 9,2 GW in diesem Jahr, heißt es in dem Papier, das Telepolis vorliegt. Besonders schwerwiegend sei der Verlust der Saporischschja, der sechs GW oder 42 Prozent der gesamten nuklearen Erzeugungskapazität des Landes entspricht.
Die Analyse des EU-Rates zeichnet ein verheerendes Bild: So seien mehr als 1.000 Angriffe auf zivile Energieinfrastruktur und seit dem Frühjahr 2024 zehn Wellen koordinierter Großangriffe auf das ukrainische Stromnetz verzeichnet worden. Ein Drittel der Wasserkraftkapazität wurde zerstört, 90 Prozent der thermischen Erzeugungskapazität liegen in Trümmern und kein Wasserkraftwerk blieb unversehrt.
Mehr als 800 Heizungsanlagen wurden zerstört oder beschädigt, hinzu kommen Verluste in den Verteilungssystemen. Nur etwa 11,4 GW der Erzeugungskapazität sind theoretisch verblieben, während der Energiebedarf im letzten Winter 18 GW betrug.
Nukleare Katastrophe als Damoklesschwert
Schlimmer noch: Die Gefahr einer nuklearen Katastrophe ist nach Ansicht der EU akut. Russland verfüge nicht über eigenes lizenziertes Personal, um das Kernkraftwerk Saporischschja wieder in Betrieb zu nehmen. Ausfälle, erhöhte Brandgefahr und systematische Verstöße gegen nukleare und Strahlenschutzvorschriften seien berichtet worden, ebenso wie acht vollständige und teilweise Stromausfälle.
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Die IAEA-Mission erhalte keinen Zugang zu einigen für die nukleare Sicherheit wichtigen Bereichen und könne nicht offen mit allem relevanten Personal in Saporischschja sprechen. Zudem wurden in den vergangenen Wochen offenbar mehr als hundert russische Angriffsdrohnen und Raketen in der Nähe ukrainischer Kernkraftwerke gesichtet.
Vorbereitungen auf den Winter
Die ukrainische Regierung hat den EU-Experten zufolge mehrere Maßnahmen ergriffen, um die Energieversorgung zu stabilisieren. Dazu gehören schnelle Reparaturen und Wiederherstellung von Produktions- und Verteilungsanlagen, die Dezentralisierung des Energiesystems, die Stärkung der Luftverteidigung und der Schutz von Energieanlagen.
Die Kapazität für Stromimporte aus der EU wurde ab dem 1. Dezember von 1,7 auf 2,1 GW erhöht, zudem gibt es Notlieferungen aus Nachbarländern von etwa 250 MW.
Internationale Unterstützung
Die EU hat nach eigenen Berechnungen bislang mindestens zwei Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung und Sachspenden für die Energieversorgung der Ukraine geleistet. Die Hilfe wird u.a. durch den EU-Zivilschutzmechanismus und die Energiegemeinschaft bereitgestellt, einschließlich Mitteln aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten.
Der von der Energiegemeinschaft verwaltete Ukraine Energy Support Fund verfügt über mehr als 768 Millionen US-Dollar an überwiesenen Beiträgen, während die insgesamt zugesagten Mittel über 822 Millionen US-Dollar betragen.
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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihrerseits einen Hilfsplan für den Winter mit dem Titel "Repair, Connect, Stabilize" ins Leben gerufen. Und auf europäischer Ebene wird über Hilfen diskutiert, die unter anderem den Betrieb von zwei schwimmenden Kraftwerken in Odessa ermöglichen sollen.
"Schwierige Lage auf dem Schlachtfeld"
Sowohl der Europäische Auswärtige Dienst als auch die EU-Kommission verweisen in internen Lageeinschätzungen auf eine, wie es heißt, "sehr schwierigen Lage auf dem Schlachtfeld". Dazu tragen auch die russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur des Landes bei.
Die gesamte militärische und wirtschaftliche EU-Unterstützung für die Ukraine beläuft sich schon jetzt auf 124 Milliarden Euro – und der Widerstand gegen weitere Zahlungen wächst. Dennoch hatte die ukrainische Regierung bei der jüngsten Reise des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell nach Kiew um eine Erhöhung der EU-Mittel gebeten, vor allem für Luftverteidigung, Munition, Ausrüstung und Training.
In der EU ist man sich bewusst, dass die Hilfe nicht grenzenlos gesteigert werden kann. Bei internen Beratungen wies der Europäische Auswärtige Dienst darauf hin, dass man bemüht sei, auf der internationalen Ebene für weitere Ukraine-Hilfen zu werben. So hätten zuletzt einige weitere Drittstaaten Unterstützung angekündigt.
Das klingt alles vage. Klar ist nur eines: Wenn der designierte Präsident Donald Trump in den USA ab Januar die Hilfen für die Ukraine zurückfährt, dürfte der Finanzdruck weiter steigen.