Erzwungene Corona-Wahlen in Katalonien

Wahlplakat mit Carles Puigdemont und Laura Borràs in Barcelona. Foto: Ralf Streck

Mitten in der dritten Welle muss gewählt werden, obwohl sich die große Mehrheit der Parteien auf eine Verschiebung geeinigt hatte

Auch wenn versichert wird, dass die gerichtlich erzwungen Parlamentswahlen am Sonntag in Katalonien sicher sein werden, haben doch viele Menschen große Angst, sich bei der Ausübung ihres Wahlrechts mit dem Coronavirus zu infizieren.

Deshalb hatten sich fast alle Parteien, die im aufgelösten Parlament vertreten waren, auf eine Verschiebung auf den 30. Mai geeinigt, damit sich die Lage auch über die Impfkampagne verbessern kann. Allein die spanischen Sozialdemokraten, die ihren bisherigen Gesundheitsminister Salvador Illa ins Rennen schicken, hatten sich gegen die Verlegung gestemmt.

Zwei Zahlen machen die Ansteckungsangst unmissverständlich in einer Region deutlich, in der sich die aggressivere britische Virus-Variante stark verbreitet. Etwa 20 % aller Infektionen werden ihr schon zugerechnet. Dass auch Infizierte den Hausarrest verlassen dürfen, um wählen zu können, vergrößert die Unsicherheit.

Ein Antrag des renommierten Infektiologen Oriol Mitjà, der verhindern wollte, dass auch festgestellte Infizierte die Wahllokale aufsuchen dürfen, wurde vom Wahlrat abgelehnt. Es wurde anders als bei den Präsidentschaftswahlen in Portugal nicht dafür gesorgt, dass Infizierte zuhause ihrem Wahlrecht nachkommen können.

Verunsicherung

Zwei Zahlen machen die Verunsicherung sehr deutlich. Fast 300.000 Menschen haben eine Briefwahl beantragt. Das sind drei Mal so viele wie beim bisherigen Rekord im Jahr 2015. Besondere Angst haben Wahlhelfer, die sich den gesamten Tag in Wahllokalen aufhalten müssen.

Und: Fast 28.000, gut ein Drittel aller bestellten Helfer, haben einen Antrag auf Befreiung gestellt.

Erwartet wird, dass wahrscheinlich nicht alle Wahllokale geöffnet werden können. Die geschäftsführende Regierung war zwischenzeitlich auch besorgt darüber, ob man schon am Sonntag das Ergebnis verkünden könne. Davon geht sie nun aber wieder aus, da das Personal für 99 Prozent der Wahllokale gesichert sei.

Man rechnet damit, dass die Wahlbeteiligung sehr deutlich unter der Rekordbeteiligung von 79% bei den letzten Wahlen im Dezember 2017 liegen wird. Das lässt auch am Argument zweifeln, mit dem der Oberste Gerichtshof entschieden hatte, das Dekret zur Verlegung der Wahlen zu kippen. Nach Meinung der Richter sei es nämlich von "allgemeinem Interesse", jetzt zu wählen, um das "Wahlrecht" als "Grundrecht" zu sichern und nicht in eine unsichere Lage zu kommen.

Diese Entscheidung fiel erst am 29. Januar, so blieb auch kaum Zeit, um zum Beispiel die Ausübung des Wahlrechts der im Ausland lebenden Katalanen zu garantieren. Nur 6% der 255.000 im zuständigen Register eingeschriebenen Personen haben es geschafft, die Wahlunterlagen zu bekommen, die zudem fristegerecht ankommen müssen.

Das schadet vor allem der Unabhängigkeitsbewegung, denn die überwiegende Zahl der Katalanen im Ausland wählt die drei Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten. Es gibt sogar sehr skurrile Fälle. Dem Autor ist der Fall eines in Deutschland lebendenden Katalanen bekannt, der als Wahlhelfer bestellt wurde, aber wegen fehlender Wahlunterlagen nicht wählen darf.

Es sind besondere Wahlen

Die Wahlen finden kurz nach dem Höhepunkt der dritten "Corona-Welle" statt. Die Lage verbessert sich gerade, sie bleibt mit einer 14-Tage-Inzidenz von 458 pro 100.000 Einwohner jedoch bedenklich. In einigen Regionen liegt sie sogar über 1.000 wie im Vall d’Aran (1.169).

Dass am Donnerstag weitere 114 Coronavirus-Tote in 24 Stunden registriert wurden, trägt nicht zur Beruhigung bei. Die Zahl liegt über dem Durchschnitt im Januar, als für den ganzen Monat mehr als 2.100 Tote verzeichnet wurden. Auch der Druck auf den Hospitälern ist weiter hoch und die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen mit 668 nur knapp unter dem Höchststand der dritten Welle.

Auch politisch sind es besondere Wahlen, da wichtige Protagonisten nicht zur Wahl stehen. So kann der Chef der Republikanischen Linken (ERC) nicht erneut kandidieren, da Oriol Junqueras im Gefängnis sitzt, obwohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt hat, dass er als Europaparlamentarier Immunität genießt. Statt Junqueras schickt die Partei ihren bisherigen Vize Pere Aragonès ins Rennen.

Dessen Republikanische Linke Kataloniens (ERC) geht von einem Wahlsieg aus, um erstmals nach dem Ende der Franco-Diktatur stärkste Kraft im katalanischen Parlament zu werden. Das erklärte das ebenfalls inhaftierte ERC-Führungsmitglied, der zu 12 Jahren Haft verurteilte politische Gefangene Raül Romeva gegenüber Telepolis: "Wir arbeiten seit langem daran, stärkste Kraft zu werden. Wir erwarten, dass das auch eintritt."

Angesichts des Richtungsstreits in der Unabhängigkeitsbewegung hält es der ehemalige katalanische Außenminister für "wichtig, dass die Menschen entscheiden können, auf welcher politischen Linie es hier weitergehen soll".

Raül Romeva. Foto: Marc Puig Perez/ERC

Denn anders als Gemeinsam für Katalonien (JxCat) von Exilpräsident Carles Puigdemont unterstützt die ERC die sozialdemokratische spanische Regierung in Madrid und hofft weiter darauf, dass darüber Verhandlungen zur Konfliktlösung in Gang kommen. Puigdemonts JxCat setzt dagegen weiter auf einseitige Schritte, um die Republik durchzusetzen, die im Oktober 2017 nach dem Unabhängigkeitsreferendum ausgerufen wurde.

Puigdemont zieht weiter die Strippen aus seinem Exil in Belgien. Für die ehemalige offene Liste, die er in eine Partei umgewandelt hat, kandidiert, wie an dieser Stelle schon geahnt, die unabhängige Kandidatin Laura Borràs (siehe ihr Interview mit Telepolis: "Inzwischen ist das Vorgehen Spaniens schon Vorbild für die Türkei in Repressionsfragen"). Auch sie kann sich nach Umfragen Hoffnungen auf einen Sieg machen.

Die Kandidatin der antikapitalistischen CUP darf auf einen Achtungserfolg hoffen. Allgemein wird erwartet, dass die Unabhängigkeitsparteien erstmals mehr als 50 % der Stimmen erhalten werden.