Frankreich: "Lieber ein Votum, das stinkt, als ein Votum, das tötet"

Seite 3: Die Weichenstellungen

So hatte Emmanuel Macron in seinem relativ dünnen Wahlprogramm für dieses Jahr die Ankündigung in den Mittelpunkt gerückt, das gesetzliche Renteneinstiegsalter von derzeit 62 auf 65 anzuheben. Bei der aufgegebenen Reform im Winter 2019/20, gegen die sich massive Streiks richteten, wäre es noch um 64 gegangen.

Allerdings betrifft dieser gesetzliche Richtwert auch nur Personen, die über die vollständige Zahl an erforderlichen Beitragsjahren aufbringen, derzeit 42,5 Jahre, bei dem Reformvorhaben vor zwei Jahren waren 44 vorgesehen – sonst gibt es Abzüge.

Das reale Eintrittsalter liegt also in der Regel über dem gesetzlichen. Marine Le Pen verspricht, die gesetzliche Schwelle auf 60 bzw. 62, je nach Berufseintrittsalter, abzusenken. Allerdings liegt auch hier der Teufel im Detail, nämlich bei den Beitragsjahren und drohenden finanziellen Abzügen, sofern welche davon fehlen. Nur für jene, die vor dem Alter von zwanzig zu arbeiten begonnen hatten, würde Le Pens Vorschlag einiges ändern, für alle anderen Lohnabhängigen dagegen in der Praxis wohl wenig bis gar nichts.

Am Montag verkündete Macron, wolkig, über die Zahl 65 lasse sich reden, ohne irgendein konkretes Zugeständnis anzukündigen. Hörte man genauer hin, stellte sich heraus, dass er plant, in jedem Falle pro Jahr das Eintrittsalter um drei bis vier Monate anzuheben, aber den Horizont dafür nur bis 2028 und nicht bis 2030 abzustecken – wird er wiedergewählt, muss er ohnehin 2027 aus dem Amt treten. Durch solche Leerankündigungen fühlen sich viele verschaukelt.

Mélenchon verwies die Frage des Stimmverhaltens in der Stichwahlrunde an eine Urabstimmung unter den 320.000 Bürgerinnen und Bürger, die seine Kandidaturankündigung ursprünglich mit ihrer Unterschrift unterstützt hatten. Am Sonntagmittag kam das Ergebnis heraus : 33 Prozent unter ihnen favorisieren ein Votum für Macron, 37 Prozent die Abgabe einer ungültigen Stimme, 28 Prozent ein Fernbleiben von der Wahlkabine.

Die Stimmabgabe für Marine Le Pen war nicht als Option im Angebot enthalten. Doch folgt die weiter gefasste Wählerschaft – 7,7 Millionen hatten Mélenchon in der ersten Runde ihre Stimme gegebenen – diesen Aufrufen, dann könnte es für Macron doch noch relativ eng werden.

Am Ostersamstag in Marseille hatte Macron bei einer Kundgebung, zu der jedoch nur 2.000 Menschen (laut Angaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders France 5 ebenso wie jenen des Privatsenders BFM TV am Abend) kamen – die Veranstalter hatten das Doppelte angekündigt – mehrere Vokabeln Mélenchons direkt übernommen.

So sprach der Wirtschaftsliberale Emmanuel Macron dort von "ökologischer Planung" in der Wirtschaftspolitik, bis dahin ein Schlüsselbegriff in Mélenchons Programmatik – und für diese solle künftig sein Premierminister direkt, nicht etwa ein/e Fachminister/in, zuständig sein.

Foto: Bernard Schmid

Ein ansprechender Wink – oder aber ein zu "plumper Anbaggerversuch", wie französische Zeitungen zuvor warnend vor ihm abrieten? Die nächste Zukunft dürfte es aufzeigen.

Wobei eine Sache stimmt: Bei Marine Le Pen, die unter anderem sämtliche Windkraftanlagen im Land schlicht abbauen und in Sachen Erneuerung der Energiepolitik ausschließlich auf Atomkraft setzen möchte, werden ökologische Anliegen noch wesentlich schlechter aufgehoben sein (vgl. Le Pen: "Nicht für Fehler bezahlen, die Deutschland gemacht hat").

Auch wenn ihr Berater Sébastien Chenu am Ostersonntag zur Mittagszeit auf BFM TV diesem Eindruck energisch gegenzusteuern versuchte; die einzige Ursache für CO2-Emissionen liegt ihm zufolge im weltweiten Freihandel und den dadurch verursachten Containertransporten, und dank dem durch Le Pen angestrebten nationalen (und/oder europäischen) Protektionismus werde sich das Problem auflösen.

Wie alle Allheilmittel dürfte auch dieses wohl kaum funktionieren.