Gefangenenaustausch per Internet?

Kolumbien: "Plan Patriota" und Verhandlungen mit der FARC

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Kolumbiens Präsident schlägt der größten Guerillaorganisation des Landes vor, über den Austausch von Gefangenen per Internet zu verhandeln. Derweil setzt die Regierung ihre Militäroffensive fort. Die Zahl der Flüchtlinge steigt wieder dramatisch an.

"Wir befinden uns im 21. Jahrhundert und haben das Internet, man sollte die Ressourcen nutzen, welche die Technologie bietet", erklärte der Kolumbianer Luis Carlos Restrepo Ende August. Doch der ist nicht für die technologisch Entwicklung des südamerikanischen Landes zuständig. Er ist der höchste Kommissionär der Regierung für die Erreichung des Friedens, in dem seit Jahrzehnten von einem Bürgerkrieg zerrissenen Land. Per Internet will die Regierung nun mit der Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) ein "humanitäres Abkommen" erzielen, um gegenseitig Gefangene auszutauschen.

Die FARC haben Zugang zum Internet, also können wir auf diesem Weg die notwendige Verbindung herstellen. Wenn man das Internet adäquat nutzt, kann man sehr schnell in den Fragen voran kommen, welche den humanitären Austausch betreffen.

Carlos Restrepo

Dies könne aber nur unter den von der Regierung erstellten Kriterien geschehen, fügte er an. Hintergrund des Vorschlags ist die seit Jahren ungelöste Frage von etlichen "Gefangenen", wie sie die FARC nennt, oder "Entführte", wie sie die Regierung sie bezeichnet. Nachdem sich der ultrarechte Präsident Kolumbiens, Alvaro Uribe Vélez, in den zwei Jahren seiner Regierungszeit beharrlich weigerte, einen Gefangenenaustausch vorzunehmen, schwenkte er im August überraschend um. Entsprechende Kontakte gäbe es auch mit der zweitgrößten Guerilla, dem Nationalen Befreiungsheer (ELN).

2000 Menschen in der Gewalt der FARC

Genaue Zahlen gibt es nicht, aber es wird geschätzt, dass allein die FARC, als größte Guerillaorganisation des Landes, knapp 2000 Menschen in ihrer Gewalt hat. Darunter befinden sich Politiker, wie die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt (vgl. Angst gehört hier zur Politik), etliche Militärs und Polizisten. Seit Februar 2003 hat sie auch drei US-Bürger (vgl. "Ein Haufen gesetz- und gottloser Rambos"), Mitarbeiter der er größten Sicherheitsfirmen der USA, Northrop Grumman, in ihrer Gewalt. Einen Teil der Personen hält sie fast seit sieben Jahren in Urwaldverstecken fest.

Die FARC begrüßte in einem Kommunique grundsätzlich die Bereitschaft der Regierung zu einem Gefangenenaustausch, den man seit Jahren fordere. Sie kritisiert aber, der Regierung mangele es an "Realismus und Seriosität". Im Gegensatz zu der habe man längst Unterhändler benannt und eine hochdotierte Gruppe zum Austausch definiert. Neben Betancourt, stehen ein Ex-Gouverneur, ein Ex-Minister, fünf Ex-Kongressabgeordnete, die drei US-Amerikaner sowie Militärs und Polizisten auf einer Liste mit 72 Namen.

Dass die Regierung dafür im Tausch gerade einmal 50 politische Gefangene anbietet, kann von der FARC nicht angenommen werden. Ohnehin handelt sich nur um Personen, die schlicht wegen "Rebellion" inhaftiert sind, eine rein politische Kategorie. Verwicklungen in Aktionen der Guerilla werden ihnen nicht vorgeworfen.

Die FARC hält etwa 3000 Gefangene für austauschbar, darunter einige ihrer Anführer. Die Bedingung der Regierung, dass die ausgetauschten Rebellen zudem Kolumbien verlassen oder sich wieder in die Gesellschaft eingliedern müssen, sei "absurd". Man versuche, "die Guerillas zu zwingen, von den Prinzipien einer revolutionären Transformation der sozialen und politischen Realität des Landes abzuschwören." Auf die Kritik der FARC, man gewähre ihren Unterhändlern keine Sicherheitsgarantien, kam schließlich der Vorschlag der Regierung per Internet zu verhandeln.

Doch einen Internet-Kontakt lehnt die bewaffnete Organisation aus nachvollziehbaren Gründen ab, obwohl sie das Netz sonst zur Verbreitung ihrer Nachrichten und zum Kontakt mit Journalisten nutzt. Warum Uribe nur ein Internet-Deal vorschwebt, ist ebenso nachvollziehbar. Für ihn ist derzeit nahezu unmöglich, direkt mit der FARC zu verhandeln, wie die es von ihm fordert. Damit würde er das Scheitern seiner Politik einräumen, die seit mehr als zwei Jahren auf eine Zerschlagung der linken Rebellen setzt. Zudem würde er sich in Widerspruch zu seiner Schutzmacht USA begeben. Die lehnt ohnehin jeden Dialog mit den Rebellen ab. Seinen Vorgänger Andrés Pastrana hatte Uribe heftig für dessen Friedensverhandlungen angegriffen.

Doch FARC ist aus zwei wesentlichen Gründen gegen den Internet-Dialog: Erstens will sie durch direkte Gespräche ihr politisches Gewicht erhöhen. Zweitens kann sie nicht hinter den faschistoiden paramilitärischen Gruppen zurückstehen (vgl. Kolumbianische Paramilitärs wollen Straffreiheit aushandeln). Schließlich hatte Uribe die rechtsextremen AUC-Todesschwadronen den Status von politischen Akteuren eingeräumt (vgl. Krieg und Krise). Ihnen hat er zudem eine etwa 380 Quadratkilometer großen Zone im nordkolumbianischen Departement Córdoba überlassen, wo seit Juli direkte Gespräche über deren Demobilisierung stattfinden.

"Forcierte Vertreibung"

Ob die Initiative von Uribe Ernst gemeint ist, oder nur dem innenpolitischen Druck geschuldet ist, ist noch unklar. Sowohl die katholische Kirche, Unternehmer und Angehörigenorganisationen drängen Uribe zu einem Dialog über einen humanitären Austausch. Aber das Manöver könnte sich als Wahlkampftrubel entpuppen, wie etliche politische Beobachter in Kolumbien vermuten. Denn Uribe strebt 2006 seine Wiederwahl an. Doch beim Referendum im vergangenen Oktober fiel die dafür notwendige Verfassungsänderung durch. Die Mehrheit der Parlamentarier hat der Präsident auch noch nicht von seinem Projekt überzeugen können. Im Kongress zeichnet sich sogar eine gegenteilige Entwicklung ab.

Die FARC hat wenig Gründe dem Hardliner entgegen zu kommen. Denn ohnehin setzt Uribe faktisch weiter auf seinen Kriegskurs. 15.000 Soldaten, mit Unterstützung der USA, gehen derzeit in der größten militärischen Offensive unter dem Namen "Plan Patriota" gegen die FARC im Süden des Landes vor. Damit, so die Guerilla, setzt er auch das Leben vieler Gefangenen auf Spiel.

Die Offensive habe nun dazu geführt, dass die Zahl der Vertriebenen im Land wieder anschwillt. Im ersten Halbjahr 2004 seien erneut 132.000 Menschen geflüchtet, auch wenn die Regierung nur von 70.000 spreche. Das seien neun Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum erklärte Jorge Rojas, Direktor der Menschenrechtsorganisation CODHES, am vergangenen Donnerstag.

Die Organisation warnt vor einer humanitären Katastrophe vergleichbar mit der im Sudan. Die "forcierte Vertreibung" sei ein Symptom des Scheiterns der Sicherheitspolitik der Regierung", erklärte Rojas. Insgesamt seien in den letzten 20 Jahren 3,2 Millionen Menschen geflüchtet, wobei sich die Zahl 2003 halbiert habe. Doch wegen der Offensive gegen die FARC habe sich die "Tendenz in vier Gebieten des Landes umgedreht". Hier sei auch eine steigende Zahl paramilitärischer Einheiten zu beobachten, die angeblich eine Waffenruhe einhalten.