Geheimdienst nennt Gefahren für Deutschland – und ein lagerübergreifendes Feindbild

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht erhöhte Gefahren. Foto: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Verfassungsschutzbericht zeichnet düsteres Bild. Rechtsextremismus laut Ministerin größte Gefahr – doch ein Hassobjekt teilt er auch mit politischen Gegnern.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang zeigten sich wenig optimistisch, als sie an diesem Dienstag in Berlin den offiziellen Bericht des Inlandsgeheimdienstes für das vergangene Jahr vorstellten.

Russland als größte Gefahr von außen markiert

Einen Schwerpunkt bildeten Bedrohungen durch ausländische Geheimdienste, hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe und Spionage vor allem durch Russland, China und den Iran.

"Propaganda und Desinformation – vor allem durch das russische Regime – haben noch einmal deutlich an Intensität gewonnen", hieß es. Die Rede war auch von fortschreitender Radikalisierung über soziale Medien wie Telegram und TikTok. Haldenwang sprach hier von "Negativtrends", die sich fortgesetzt hätten.

Zu den genannten äußeren Bedrohungen kamen die inländischen "Phänomenbereiche": Da der Verfassungsschutzbericht hier neben "Rechtsextremismus", "Linksextremismus" und "Islamismus" auch "Reichsbürger und Selbstverwalter" sowie "auslandsbezogenen Extremismus", ist es auf den ersten Blick schwer, den Überblick zu behalten.

Überschneidung zwischen Rechtsextremen und Reichsbürgern

"Ein Teil der ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ ist eindeutig auch dem Rechtsextremismus zuzurechnen", heißt es im Verfassungsschutzbericht 2023. "Ideologische Überschneidungen finden sich im Bereich des Gebiets- und Geschichtsrevisionismus, bei völkischem und teilweise nationalsozialistischem Gedankengut sowie bei antisemitischen Denkmustern." Allerdings soll die Überschneidung nur bei knapp über fünf Prozent liegen.

Der "Reichsbürger"- und "Selbstverwalter"-Szene gehörten demnach bundesweit rund 25.000 Personen an. Davon seien rund 1.350 zugleich dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen.

AfD erwartungsgemäß als Verdachtsfall genannt

Rechtsextremismus nennt Faeser weiterhin als "größte Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie und die Menschen, die in ihr leben". Das Personenpotenzial dieses Phänomenbereichs schätzt der Verfassungsschutz auf 40.600. Davon gelten rund 14.500 Personen als gewaltorientiert. Das Potenzial ist demnach um 4,6 Prozent gestiegen, die Anzahl der Gewalttaten um 13 Prozent. 1.016 Körperverletzungsdelikte wurden in diesem Bereich gezählt, davon vier versuchte Tötungen.

Im "Bereich der rechtsextremistischen Parteien und diesbezüglicher Verdachtsfälle" wird erwartungsgemäß auch die AfD nach erfolgloser Klage als Verdachtsfall genannt. Sie nimmt demnach "unter anderem hinsichtlich Umfragewerten, Mitgliederzahlen, medialer Aufmerksamkeit und gesamtgesellschaftlicher Bedeutung eine hervorgehobene Stellung ein".

Weniger Islamisten, aber radikaler?

Islamisten werden hier allerdings nicht mitgezählt, sondern bilden eine eigene Kategorie mit einem Personenpotenzial von rund 27.200. Gewachsen ist dieses nach Kenntnis der Behörden im Vergleich zum Vorjahr nicht, sondern sogar leicht gesunken – allerdings wird von einer erhöhten Gefahr ausgegangen:

Die Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland sowie für deutsche Interessen und Einrichtungen weltweit hat sich seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel weiter erhöht. Sowohl der IS als auch "al-Qaida" haben die Ereignisse im Nahen Osten zum Anlass genommen, zum "Jihad" aufzurufen.

Zwei Messerattacken, die bereits vorher stattgefunden hatten, wurden als "gesichert islamistisch" eingestuft: Der Täter hatte am 9. und am 18. April 2023 in Duisburg mehrere Personen angegriffen und für sich reklamiert, im Auftrag des "Islamischen Staates" (IS) gehandelt zu haben. Dabei war eine Person getötet und vier weitere Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt worden.

Antisemitische Feindbilder und deutlich mehr Straftaten

Erstmals enthält der Verfassungsschutzbericht auch ein phänomenübergreifendes Sonderkapitel über Auswirkungen des Nahostkonflikts und Antisemitismus in Deutschland. Judenhass und antisemitische Ressentiments nehmen demnach in verschiedenen Phänomenbereichen zu, wobei es einen deutlichen Unterschied zwischen "Rechts- und Linksextremisten" gibt.

Die Zahl der antisemitisch motivierten Straftaten ist demnach seit den Massakern der Hamas im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober 2023 und im Zuge des Israel-Gaza-Krieges sprunghaft angestiegen. Von 208 im Oktober 2022 auf 1.342 im Oktober 2023. Davon wurden 406 dem Bereich "Rechtsextremismus", 18 dem Bereich "Linksextremismus" und 266 dem Bereich "Religiöse Ideologie" zugeordnet. 55 rangierten unter "Sonstige Zuordnung".

Weiterhin gibt es auch in diesem Jahresbericht die Kategorie "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates", die im Zuge der Corona-Proteste eingeführt wurde und Überschneidungen zu "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" aufweist.

Klimabewegung im Visier des Inlandsgeheimdienstes

Aber auch die Proteste der Klimabewegung nahm der Verfassungsschutz 2023 verschärft in den Blick: Im Bereich "Linksextremismus" wurde in diesem Verfassungsschutzbericht die Klima-Initiative "Ende Gelände" als extremistischer Verdachtsfall eingestuft.

Demnach versuchen "auch Linksextremisten gezielt, demokratische Diskurse in ihrem Sinne zu verschieben" und "die Klimaprotestbewegung zu beeinflussen – mit dem Ziel, deren Protest- und Aktionsformen zu radikalisieren – hin zur Sabotage von Infrastruktur".