Geometrie der Angst: Joseph Loseys "The Damned"

Seite 4: Katakombenstil

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Loseys Entschiedenheit hat mit seiner Biographie zu tun. In den USA hatte er miterlebt, wie schnell Grundrechte und demokratische Freiheiten zur Disposition gestellt werden können, um einer als existenzbedrohend wahrgenommenen Bedrohung zu begegnen. Im Amerika des Kalten Krieges waren es die Angst vor kommunistischer Unterwanderung und einem atomaren Armageddon, die von der Verfassung garantierte Rechte verzichtbar erscheinen ließen, als der Zweck die Mittel heiligte - darunter das Streikrecht, die Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Als sozialkritischer Filmemacher (The Boy with Green Hair, The Prowler) geriet Losey selbst ins Visier der Kommunistenjäger. J. Edgar Hoover, der Chef des FBI, verdächtigte ihn, ein von Moskau bezahlter Subversiver zu sein und ließ ihn mit Billigung des Justizministeriums drei Jahre lang überwachen. Ergebnis: Losey war ein kritischer Geist, kein Agent von Josef Stalin. Das bewahrte ihn nicht vor der schwarzen Liste Hollywoods, die es offiziell nie gab, inoffiziell aber sehr wohl, nachdem die Studiobosse im November 1947 bei einem Treffen im Waldorf-Astoria Hotel in New York vor dem Kongressausschuss für unamerikanische Aktivitäten zu Kreuze gekrochen waren.

Katakombenstil (17 Bilder)

The Criminal

Die nicht ganz einfach zu beantwortende Frage, ob und wenn ja wie lange Losey Mitglied der Kommunistischen Partei war, braucht uns hier nicht zu beschäftigen, weil er damit, falls ja, seine Rechte als Bürger eines freien Landes wahrnahm und nichts Verbotenes tat. 1951 entging er einer Vorladung durch den Kongressausschuss, weil sich das FBI bei einem Zustellversuch in der Adresse irrte. In der dadurch gewonnen Zeit setzte er sich nach Europa ab, bevor man ihm als "unfreundlichem", mit dem Ausschuss nicht kooperierendem Zeugen den Reisepass wegnehmen konnte.

Nach Zwischenstopps in Italien und Frankreich ließ Losey sich im Januar 1953 in London nieder. Er arbeitete wieder als Regisseur, musste aber Decknamen verwenden ("Andrea Forzano" bei Stranger on the Prowl, "Victor Hanbury" bei The Sleeping Tiger), weil der Arm der Hexenjäger bis nach Europa reichte. In England war er von Anfang an bemüht, sich ein Höchstmaß an künstlerischer Freiheit zu sichern, auch wenn er zunächst Kolportagegeschichten verfilmte und zu Kompromissen gezwungen war.

Eine wichtige Rolle kam dabei dem Maler und Kunstlehrer Richard Macdonald zu. Loseys Kooperation mit Macdonald war für englische Verhältnisse revolutionär. Indem sie jede Einstellung vorab skizzierten und Spezialisten wie den Ausstatter oder die Kostümbildnerin erst zuzogen, wenn das künstlerische Gesamtkonzept feststand, unterliefen die beiden die traditionelle Arbeitsteilung bei einer Filmproduktion und behielten die Kontrolle über den visuellen Stil. Von Macdonald sind die von viktorianischen Photographien inspirierten Innenräume des Gefängnisses in The Criminal. Bei Time Without Pity, einem Film gegen die Todesstrafe, orientierte er sich - stets in enger Absprache mit Losey - an Goya-Gemälden.

Die Kinder in The Damned werden in Räumlichkeiten unterrichtet, deren Ausstattung man als futuristischen Katakombenstil bezeichnen könnte (Stanley Kubrick und Ken Adam waren davon beeindruckt, wie man an Dr Strangelove sieht). Wer sich für Nachkriegsdesign interessiert kann da Möbelstücke von Eero Saarinnen, Finn Juhl sowie Charles und Ray Eames entdecken, die heute in renommierten Museen stehen. Macdonald wird sie wohl bei einem der auf modernes Design spezialisierten Möbelhäuser in London gekauft oder geliehen und nach Bray gebracht haben.

Auch die Katakomben entwarf Macdonald und nicht, wie bei einer Hammer-Produktion üblich, Bernard Robinson, der in Bray, dem firmeneigenen, in ein Studio transformierten Landhaus an der Themse, die zur Verfügung stehenden Räume von Film zu Film umbaute, damit man sie stets aufs Neue als Kulisse verwenden konnte. Im Vorspann und in den Stablisten sucht man Macdonalds Namen vergeblich, weil er kein Gewerkschaftsmitglied war und darum nicht offiziell als Filmarchitekt arbeiten durfte.

Bei The Damned (und anderen Losey-Filmen) hatte das zur Folge, dass in den Anfangstiteln kein Produktionsdesigner genannt wurde. Die Autoren einschlägiger Hammer-Bücher setzen gern Bernard Robinson als Verantwortlichen ein, weil das normalerweise so war. Es war aber Macdonald. The Damned ist keine normale Hammer-Produktion. Losey brachte auch seinen eigenen Cutter (Reginald Mills) und Sound Editor (Malcolm Cooke) mit nach Bray, und mit Pamela Davies für die Continuity eine langjährige Weggefährtin, die ihm treu ergeben war. So behielt er möglichst viel Kontrolle über die Postproduktion.

Nach seinen Erfahrungen in den paranoiden USA war Losey gegen staatlich verordnetes Ausspionieren und andere Eingriffe in die Privatsphäre besonders allergisch. In den Katakomben sind Überwachungskameras Teil der Einrichtung. "Wir mögen es nicht, so gesehen zu werden", sagt Victoria. "Wir würden Sie gern so sehen, wie wir uns untereinander sehen." "Anders geht es nicht", sagt Bernard. Wegen der Sicherheit. Auf ihn selbst ist nur eine Kamera gerichtet, und nur, wenn er es will. Er bestimmt, wann sie eingeschaltet ist. Das soll alles anders werden, wenn die Zeit dafür gekommen ist und die Schüler alt genug sind für Demokratie und Transparenz. Jetzt sind sie es noch nicht.

"Wenn wir erwachsen sind", möchte eines von den Mädchen wissen, "sehen wir dann aus wie [die Lehrerin] Miss Lamont?" Diese Frage wird sofort beantwortet, weil die Antwort eine Mitteilung Loseys an uns, das Publikum, enthält. "Ihr werdet aussehen wie jetzt", sagt Bernard. "Natürlich werdet ihr dann größer sein." Aus kleinen Kindern, heißt das, werden große Kinder, wenn sie älter sind. Wird man sie dann wie Erwachsene behandeln? Besser, man stellt die unangenehmen Fragen gleich, statt sich auf später vertrösten zu lassen. Ein Später könnte es nie geben.

Losey und die Patrioten

Loseys erste Regiearbeit für die Hammer, A Man on the Beach (1955), ist ein 29-minütiger Thriller ohne Thrills und mit schrecklichen Dialogen, für den Jimmy Sangster, später Autor von Dracula und The Curse of Frankenstein, sein erstes Drehbuch schrieb. Man muss ihn nicht gesehen haben. Damals war das Unternehmen dabei, mit der Leinwandversion von Nigel Kneales TV-Serie The Quatermass Experiment das lukrative Feld der Science Fiction und des Horrors für sich zu entdecken.

Der Film, in dem Brian Donlevy als Professor Quatermass die Invasion einer außerirdischen Lebensform abwehren muss, war so erfolgreich, dass die Hammer sofort das nächste Science-Fiction-Drama folgen lassen wollte. Also trafen sich Tony Hinds und Michael Carreras, die Söhne der Firmen-Patriarchen Will Hinds (Bühnenname: Will Hammer) und James Carreras, mit dem als Aufnahmeleiter angestellten Sangster zum gemeinsamen Brainstorming. Nachdem das Monster in Quatermass aus dem Weltraum gekommen war, schlug Sangster vor, dass es jetzt aus dem Inneren der Erde kommen könnte.

Da Jimmy noch einige weitere Ideen beisteuerte waren Michael und Tony der Meinung, dass er auch gleich das Drehbuch verfassen sollte. In X the Unknown kämpft Dr. Adam Royston gegen radioaktiven Schleim, der aus einer Erdspalte in Schottland dringt (Royston heißt nicht Quatermass, weil Kneale sich geweigert hatte, den Namen seines Raketenforschers zur Verfügung zu stellen). Dean Jagger wurde als Hauptdarsteller gewonnen, Losey als Regisseur angeheuert. Anfang Januar 1956 war Losey auf der Suche nach Drehorten, als er an einer mysteriösen Lungenentzündung erkrankte.

Wahrscheinlich war die Erkrankung taktischer Natur. Jagger, ein amerikanischer Superpatriot, hatte entdeckt, wer sich hinter Loseys Pseudonym "Joseph Walton" (seine beiden Vornamen) verbarg. Sangster zufolge weigerte er sich, einen Kommunisten und Vaterlandsverräter wie ihn als Regisseur zu akzeptieren. Für eine Firma wie die Hammer, die mit einem Auge auf den US-Markt schielte, war es mutig, jemanden wie Losey zu beschäftigen. Der Mut hatte allerdings Grenzen, und Jagger wollte man ungern verlieren, weil er das Prestige eines Oscar-Gewinns mitbrachte (bester Nebendarsteller, im Kriegsfilm Twelve O’Clock High). Losey wurde ausgebootet.

Michael Carreras wollte es dabei nicht bewenden lassen. Er war bemüht, die Produktpalette zu erweitern und talentierte Leute an das Unternehmen zu binden. Michael war mit dem von ihm produzierten und von Val Guest inszenierten Polizeifilm Hell Is a City mehr als nur ein Achtungserfolg gelungen (Stanley Baker als hartgesottener Polizist macht Jagd auf einen Schwerverbrecher). Daran wollte er anknüpfen und zugleich die Perspektive wechseln. Er schickte Losey, mit dem ihn die Liebe zum Jazz verband, ein Drehbuch seines Freundes Jimmy für einen Gangsterfilm.

Losey fand Sangsters - aus amerikanischen Gefängnisfilmen zusammengeklautes - Skript fürchterlich. Aus der Grundidee aber ließ sich etwas machen, weil man am Beispiel des Strafsystems gesellschaftliche Institutionen kritisch hinterfragen konnte. The Criminal, schließlich von einem anderen Studio und mit einem anderen Drehbuch produziert (mit Stanley Baker als Berufsverbrecher), wird heute als Klassiker gewürdigt. Schon damals von französischen Kritikern als Meisterwerk gefeiert, missfiel der Film den Geldgebern; er wurde schlecht verliehen und hatte es schwer, ein Publikum zu finden. Dann holte Losey wieder einmal die Vergangenheit ein.

Blind Date, vor The Criminal entstanden, hatte mit Ben Barzman und Millard Lampell zwei auf der schwarzen Liste stehende Drehbuchautoren. In den USA, wo die Kommunisten doch keinen Staatsstreich angezettelt hatten, galt das inzwischen als relativ unproblematisch, solange es nicht thematisiert wurde und die Namen nicht allzu prominent waren - bis Otto Preminger sich entschloss, dem Spuk ein Ende zu machen und mit der für ihn typischen Angriffslust kundzutun, dass Dalton Trumbo, der bekannteste Autor auf der Liste, das Drehbuch für Exodus geschrieben hatte. Das animierte die American Legion zu verschärfter Wachsamkeit.

Blind Date

Die Rechtsaußen-Organisation drohte mit einem Boykott, als sie erfuhr, dass die Paramount Blind Date in amerikanische Kinos bringen wollte. Die Paramount ruderte eilig zurück, sagte eine Werbetour mit dem Hauptdarsteller Hardy Krüger ab und einigte sich mit der Legion darauf, den Film kurz in New York zu zeigen, ohne ihn danach weiter auszuwerten. Für Losey, der eine Gewinnbeteiligung ausgehandelt hatte, war das doppelt bitter. Seit einiger Zeit liefen Verhandlungen darüber, was er tun musste, um seine Karriere in Hollywood fortsetzen zu können.

Bei seinem Weggang hatte man von ihm verlangt, Kollegen zu denunzieren, um sich selbst reinzuwaschen. Ende der 1950er sah es so aus, als würde ein informeller Brief genügen, in dem er versicherte, kein Kommunist zu sein. Diese Chance war jetzt dahin. "Mutmaßliche ROTE, in Partnerschaft mit Ex-NAZI, verkaufen BLIND DATE an die Paramount", titelte willfährig das Branchenblatt Variety. Der "Ex-Nazi" war Hardy Krüger, der als Kind im NS-Propagandafilm Junge Adler mitgespielt hatte. Losey stand mit am Pranger. In dieser Situation war er offen für das Angebot von Michael Carreras, Children of Light zu verfilmen, einen Roman von H. L. Lawrence. Andere Angebote gab es nicht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.