Geometrie der Angst: Joseph Loseys "The Damned"

Seite 7: Beat Girl zwischen Bikern und SS

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Jugendliche Straftäter im Film waren für das BBFC ein rotes Tuch. 1953 wurde László Benedeks The Wild One (mit Marlon Brando als Chef der Motorradgang Black Rebels) die Freigabe kategorisch verweigert. 1955 gestanden die Prüfer Nicholas Rays Rebel Without a Cause und Richard Brooks’ The Blackboard Jungle erst nach umfangreichen Kürzungen das X-Zertifikat zu. 1956 wurde Brooks’ mit Bill Haleys "Rock Around The Clock" beginnender und endender Film in einem Kino in Elephant and Castle gezeigt, einem ziemlich rauen Stadtteil in South London.

Die Teddy Boys im Publikum gerieten außer Rand und Band und demolierten den Vorführsaal. Danach kam es auch in anderen britischen Kinos, in denen der Film lief, zu Ausschreitungen. Eher brav sind die aufbegehrenden (und nun britischen) Leinwand-Teenager in Edmond T. Grévilles Beat Girl (1960), aber das BBFC machte das X auch da von substantiellen Schnitten abhängig, weil im Dialog die Prostitution erwähnt wurde, der inzwischen als Dracula in Frauenhälse beißende Christopher Lee den lüsternen Besitzer eines Striptease-Schuppens spielte und sich die Jugend, als Mutprobe, vor einem heranfahrenden Zug auf die Schienen legte.

Beat Girl zwischen Bikern und SS (1) (22 Bilder)

Beat Girl

Die Gutachter des BBFC waren entsprechend alarmiert, als sie in Barzmans Skript von King und seiner Bande lasen. Ihr Hauptaugenmerk galt daher den Teds. Es dürfte sie auch nicht beruhigt haben, als sie erfuhren, dass Oliver Reed und Shirley Anne Field die Geschwister spielen würden. Reed demonstriert in Beat Girl, wie man als Nebendarsteller im karierten Hemd die Leinwand dominiert, und Field singt das freche, weil sehr suggestive Lied "It’s Legal". Kurz vor Schluss tauchen drei Teddy Boys auf, demolieren das Auto von Teenie-Idol Adam Faith und machen seine Gitarre kaputt.

Hier ein Vorschlag für ein Triple Feature: The Small Back Room, Beat Girl, The Damned. David Farrar, in Back Room der zu tief ins Glas schauende Wissenschaftler, ist in Beat Girl der Vater der schmollenden Jennifer (Gillian Hills). Das Alkoholproblem hat jetzt Tony, einer von Jennifers Freunden. Tony ist der Sohn eines Generals, seine Mutter wurde im Blitzkrieg getötet. Christopher Lee als Kenny King könnte der böse Onkel von King und Joan in The Damned sein, wo der Blitz stets präsent ist, in Form der Skulpturen von Elisabeth Frink.

Alle jungen Leute in The Damned sind seltsam elternlos, ganz so, als seien sie Kriegswaisen, die der Staat sich selbst überlassen hat. Das steht im Gegensatz zu den radioaktiven Kindern, die der Wissenschaftler Bernard mit paternalistischer Fürsorge zwangsbeglückt (als seine in die Forschungseinrichtung gesperrten Versuchskaninchen), nachdem ihre Mütter bei einem Atomunfall gestorben sind. Einmal, bevor sie zurück nach Weymouth fahren, um Touristen mit Messern zu bedrohen, sehen wir die Teds auf Chesil Beach - das ist da, wo David Farrar bei Michael Powell den deutschen Sprengsatz entschärft.

Beat Girl zwischen Bikern und SS (2) (11 Bilder)

The Damned

Die Teddy Boys tollen auf dem Kiesstrand herum und liefern sich dann eine wilde Verfolgungsjagd mit Joan, am Crown Hotel vorbei und weiter zum Einhorn bei der King’s Statue, weil sie selbst noch etwas Kindliches haben. Loseys Sympathien gelten allemal den Teds (nicht der sinnlosen Gewalt, sondern der kindlichen Seite der Biker und dem Aufbegehren gegen eine Gesellschaft, die ihre jungen Leute vergessen hat) und nicht Bernard und seiner Truppe aus dem Edgecliff Establishment, die kommt und einen holt, wenn der Leiter der Forschungseinrichtung es befiehlt.

In The Small Back Room geht es um das Überleben der Demokratie. Beat Girl und The Damned stellen die Frage, was nun aus den Werten wird, für die im Krieg gekämpft wurde und die Britanniens Jugend in die Zukunft tragen müsste. Adam Faith als letztlich doch sehr braver Sänger und Gitarrenspieler sagt den originellen (und unfreiwillig komischen) Satz, dass Gewalt etwas für Spießer sei, aber die mehr durch den Film spazierenden als ihm angehörenden Teddy Boys bleiben das bedrohliche Element, das Beat Girl nicht domestizieren kann.

Losey nimmt das auf, versetzt die Teds nach Weymouth und erzählt dann eine Geschichte, in der gezeigt wird, dass es doch nicht die jungen Leute sind, vor denen man Angst haben muss, sondern die älteren Herren im Anzug eines britischen Gentleman. Bernards Befehle werden von Soldaten in schwarzer Schutzkleidung ausgeführt. Der Zusammenhang zur schwarz uniformierten "Schutzstaffel" (SS) der Nazis, gegen die gekämpft wurde, als man die Werte eines demokratischen Landes verteidigte, ist recht offensichtlich. Der Feind ist jetzt im Inneren. Die Kriegsschiffe im Ärmelkanal schützen nicht vor ihm.

Zensur und Regenschirm

Normalerweise traf sich der Firmenpatriarch James Carreras bei Zensurproblemen mit John Trevelyan (der später zum großen Fürsprecher Joseph Loseys wurde), um in informeller Atmosphäre gemeinsam eine Lösung zu finden. Trevelyan hatte aber einen längeren Urlaub angetreten. Einen Brief von Carreras (2. Juni), in dem dieser vorschlug, sich zum Lunch zu verabreden, beantwortete an Trevelyans Stelle Frank Cofts. Der frühere Kolonialbeamte wies Carreras noch einmal auf die lange Liste mit Änderungswünschen hin, die man Hinds am 27. April übermittelt habe. Der Streit wegen der Fahrradkette hatte sich inzwischen erledigt, weil Losey King lieber mit einem Regenschirm ausstattete, getragen wie ein Exerzierstock.

Gern würde man wissen, ob Losey Audrey Fields Gutachten gelesen hatte, als er die Einstellungen rund um das King-George-Denkmal drehte. Wenn sich die Teds da herumlümmeln, das Militär parodieren, Passantinnen anpöbeln und Touristen verprügeln, tragen sie alberne Hüte wie beim Kindergeburtstag. Das wirkt, als würde sich Losey über die gestrenge Dame vom BBFC und ihre Vorurteile lustig machen. Die Teds spielen die gewaltbereiten, auf der Entwicklungsstufe kleiner Kinder verharrenden Zuschauer, als die sich Audrey Field das Publikum der X-Filme vorstellte. Das Klischee wird lächerlich, wenn man es auf der Leinwand ausagiert sieht.

Zum Problem wurde nun der Regenschirm. Beim Überfall auf Simon sticht King mit der Spitze des Schirms auf ihn ein. Das BBFC untersagte das kategorisch. Die Fahrradkette im Drehbuch war schlimm gewesen, der Regenschirm in der fertig geschnittenen Szene war offenbar noch schlimmer. Am 21. November fragte Tony Hinds beim aus dem Urlaub zurückgekehrten Trevelyan an, ob er den Film nicht trotzdem mit einem X-Zertifikat freigeben könne, auch wenn King den Amerikaner (im Off) mit dem Schirm bearbeitete. Änderungen seien mit hohen Kosten verbunden - ein Argument, das bei Trevelyan üblicherweise auf offene Ohren stieß.

Zensur und Regenschirm (14 Bilder)

The Damned

Nicht in diesem Fall. Trevelyan blieb hart. "Wollen Sie mich bitte für meine Akten wissen lassen, was Sie hinsichtlich der Regenschirmeinstellung in The Damned entschieden haben?", schrieb er am 11. Dezember an Hinds. Hinds antwortete zwei Tage später, dass das nicht allein von ihm abhänge und er noch warten müsse, bis "jemand" sich entschieden habe. Dieser "Jemand" kann nur Losey gewesen sein, der sich ein Mitspracherecht gesichert hatte. Das Ganze schleppte sich noch ein halbes Jahr hin. Am 21. August 1962 konnte Hinds Trevelyan mitteilen, dass man den Regenschirm wie verlangt entfernen werde.

Ganz verschwunden ist er nicht. Was genau geschnitten wurde, ist nicht dokumentiert. Bemerkenswert ist, dass dieser Schirm das Potential hatte, die Freigabe des Films so lange aufzuhalten. Als bekennende Nicht-Fans von X-Filmen waren die Offiziere und Beamten sowie ihre Alibi-Frau im BBFC, in Umkehrung der dort gepflegten Denkmuster, keine Volltrottel, müssten also in der Lage gewesen sein, Ideen zu erkennen wie die, dass zwischen den Teds und dem Militär ein Zusammenhang besteht. Vielleicht lag es daran, dass sie der Regenschirm (Exerzierstock) so sehr reizte. Man kann sie nicht mehr fragen, nur spekulieren.

Zwei Jahre später, in The Servant, übernahm Dirk Bogarde den Schirm von Oliver Reed, dessen Vorgänger als junger Krimineller er in Sleeping Tiger gewesen war. Dieses Mal ist kein Dolch darin versteckt wie bei King, weil der Kampf des Dieners gegen seinen Herrn mit psychischen Mitteln ausgetragen wird, nicht mit physischen. Symbolisch bewehrt mit einem eingerollten Regenschirm, überquert Barrett (Bogarde) die King’s Road in Chelsea und biegt in die Royal Avenue ein, um bei Tony (James Fox) als Butler anzuheuern. So beginnt ein Film, der das englische Klassensystem auseinander nimmt und zeigt, wie viel zerstörerische Kraft darin steckt, wenn man sich den falschen Prinzipien verschrieben hat.

Wie aber geht es nun mit The Damned weiter? Was hat Weymouth, der Badeort in Dorset, mit einem Après-Ski-Dorf in Tirol zu tun? Warum hilft ein Literaturstudium gegen von Aerosolen übertragene Viren? Welche Rolle spielen Kaninchen auf Portland Bill? Warum mussten 40.000 Hunde sterben? Und wie kommen Heinrich VIII. und Lady Godiva in die Geschichte?

Antworten auf diese und auf andere Fragen gibt der 2. Teil: Unter Friedhofsvögeln

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