German Naivität 2

Seite 7: Der Freund der Muslimbrüder

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Dass solche Beiträge völlig selbstverständlich ausgestrahlt werden, muss nicht verwundern, wenn wir uns den gefährlich naiven Umgang mit den fundamental-islamischen Organisationen und deren Protagonisten ansehen.

Seit Mai 2017 sitzt mit Selçuk Doğruer ein Vertreter der "Türkisch-islamischen Anstalt für Religion" (Ditib) im hessischen Rundfunkrat. Ein Mann mit einem eigentümlichen Verständnis von Religionsfreiheit, wie wir sehen werden, bei dem durchaus berechtigt wäre zu prüfen, inwiefern es mit der Verfassung, insbesondere dem Grundsatz der Gleichheit von Frau und Mann vereinbar ist. Geschlechtertrennung ist nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar und somit verfassungsfeindlich.

Ditib wird vom staatlichen "Präsidium für religiöse Angelegenheiten der Türkei" (Diyanet) kontrolliert, das wiederum direkt der türkischen Regierung untersteht. Diyanet bereitet die Materialien für den Koran-Unterricht und die Freitagspredigten vor, die auch an die Imame im Ausland ausgegeben werden - so auch an die Ditib-Gemeinden in Deutschland. Immer mehr werden diese beeinflusst von der Ideenwelt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.

Doğruer bekleidet beim hessischen Ditib-Landesverband das Amt des Dialogbeauftragten, er ist also sozusagen deren Außenminister. Als solcher musste er im Dezember 2015 tätig werden, nachdem auf der Internetseite der muslimischen Gemeinde Melsungen ein antisemitischer Text erschienen war, dessen Inhalt ich an dieser Stelle nicht wiedergeben möchte.

Die Gemeinde ist Mitglied im Ditib-Landesverband Hessen, weshalb sich Doğruer aufgrund einer Beschwerde der Jüdischen Gemeinde Kassel mit dem Vorfall befassen musste. Angeblich, so ist die Jüdische Allgemeine zu interpretieren, handelte es sich dem Dialogbeauftragten zufolge mehr oder weniger um eine Verkettung unglücklicher Umstände: Die muslimische Gemeinde Melsungen betreibe ihre Webseite in Eigenregie, die Person, die für diesen Eintrag verantwortlich sei, kannte nicht den gesamten Inhalt des Textes und nahm darüber hinaus die Veröffentlichung eigenmächtig vor.

Die Person sei dann von seinem Vorstandsposten zurückgetreten und fungiere auch nicht mehr als Webmaster. Doğruer entschuldigte sich und verabredete mit der Jüdischen Gemeinde gegenseitige Besuche in Moschee und Synagoge. Das Problem, "zu wenig voneinander zu wissen" soll damit aktiv angegangen werden, berichtete die Jüdische Allgemeine.

Eigentümlichkeiten

So weit so gut, wenn da nicht diese weiteren Eigentümlichkeiten wären, die u.a. die islamkritische Bloggerin Sigrid Herrmann-Marschall aufdeckte und auf die ich in einem Beitrag des ZDF Heute Journals vom 13.4.2016 gestoßen bin. In ihrem Blog "Vorwärts und nicht vergessen" schreibt Herrmann-Marschall, dass Doğruer im Dezember 2016 "freundliche Grußworte" beim "Rat der Imame und Gelehrten" (RIG) hielt.

Eigenen Angaben zufolge ist der RIG assoziiertes Mitglied im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). Auch in einer Dokumentation des Deutschen Bundestags wird die RIG als assoziiertes Mitglied des ZMD aufgeführt (Stand 2013).

Der ZMD stellt dies allerdings in einer Mail vom 21.01.2018 an die Telepolis-Redaktion in Abrede. Dessen Mitglieder-Liste ist auf der Webseite leider nicht einsehbar.

Im März 2013 veranstaltete der RIG laut Angaben des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz eine "wissenschaftliche Konferenz", bei der "die ägyptischen Gelehrten Salah Soltan und Omar Abdelkafy" auftraten.

Soltan hatte sich in der Vergangenheit antisemitisch geäußert und zum Beispiel junge Menschen dazu aufgerufen, Sport zu treiben, um sich auf den Dschihad zur Befreiung der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem vorzubereiten. In der Vergangenheit hatte sich Abdelkafy im Rahmen der 25. IGD-Jahreskonferenz (Islamische Gemeinde Deutschlands, Anm. d. Verf.) für die Islamisierung der gesamten Welt ausgesprochen.

Landesamt für Verfassungsschutz, Hessen

Da klingt das dann alles schon nicht mehr nach unglücklichen Umständen, Jedenfalls nicht, was die Verbreitung antisemitischer Inhalte betrifft. Unglücklich war höchstens, dass die Jüdische Gemeinde das öffentlich thematisiert hat. Ob dieser die Verbindungen der Ditib, aber auch namentlich Doğruers, zur Muslimbruderschaft bekannt waren, darf bezweifelt werden.

Ebenso darf bezweifelt werden, dass die Jüdische Gemeinde Kassel Kenntnis darüber hat, dass der Ditib-Dialogbeauftrage die Aufstachelung zum Hass gegen "Ungläubige" mit einem "sehr langen ideengeschichtlichen Erbe" des Islams legitimiert, wie wir noch sehen werden.

Dieser Vorfall ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie fundamental-islamische Organisationen und deren Protagonisten die Arglosigkeit und Gutgläubigkeit der zivilgesellschaftlichen, religiösen und politischen Verbände und Institutionen ausnutzen: Wenn sie es zu bunt treiben, tun sie öffentlich Buße und biedern sich als Best Buddy an.

Nach außen die guten Vorzeigedemokraten, während sie sich hinter den Kulissen vernetzen, um die fundamental-islamischen Kräfte zu bündeln und deren Einfluss zu stärken. Genau das ist die Strategie, die von der Muslimbruderschaft zur Verbreitung des fundamentalen Islams in Europa (und der Welt) propagiert wird.

Das Land Hessen ging eine Kooperation mit dem Ditib-Landesverband und der Ahmadiyya Muslim Jamaat ein und bietet, als erstes Bundesland, seit dem Schuljahr 2013/14 "bekenntnisorientierten islamischen Schulunterricht". Der Frankfurter Neuen Presse (FNP) zufolge "nehmen laut Kultusministerium derzeit 3.000 Kinder in 56 Grundschulen am islamischen Religionsunterricht teil. Im kommenden Jahr (Schuljahr 2016/17, Anm. d. Verf.) werden auch fünfte Klassen hinzukommen".

Forciert wurde das vom ehemaligen Vorsitzenden des DITIB-Landesverbandes, Fuat Kurt. Dieser "war 1978 von der türkischen Schwarzmeerküste nach Deutschland gekommen, wo sein Vater schon als 'Gastarbeiter' lebte. Nach dem Bauingenieur-Studium an der TU Darmstadt gründete er in der Stadt ein Planungsbüro", schreibt das in Darmstadt beheimatete ECHO.de.

"Ich glaube, dass wir eine sehr, sehr gesunde Gesellschaft haben", so Kurt 2010 im Gespräch mit ECHO. Die Integration der türkischen Zuwanderer sei auf einem guten Weg. Er lobte die "Lebenskultur" in Deutschland: "Es ist wirklich schön hier zu leben."

ECHO

Diese positive Einstellung war die Grundlage für Kurts Bemühungen um den schulischen Islam-Unterricht und auch dafür, dass die zuständigen hessischen Behörden sich darauf einließen. Sehr bald nachdem der Islam-Unterricht an den hessischen Schulen startete, begann etwas, das Kurt eine "systematische Diffamierungs- und Desinformationskampagne" nannte.

Die Kampagne

"Mit allen Mitteln wurden meine Person, meine Arbeit und der Landesvorstand beschädigt. Die unerträglichen Verleumdungen gefährdeten meine Privatsphäre und verletzten meine Persönlichkeitsrechte massiv", zitiert ihn ECHO.de.

Namentlich beschuldigte Kurt den hessischen Ditib-Landeskoordinator Selcuk Doğruer sowie den Religionsattaché des türkischen Generalkonsulats in Frankfurt, hinter der Kampagne zu stecken und die wahlberechtigten Ditib-Mitglieder unter Druck zu setzen. Innerhalb der Ditib seien Papiere in Umlauf gebracht worden, die persönliche und politische Anschuldigungen gegen Kurt enthielten, kritisiert auch der SPD-Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel. Wegen seiner guten Zusammenarbeit mit der Landespolitik sei der Darmstädter des 'Verrats an islamischen Werten' bezichtigt worden.

ECHO.de

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtete, die Landesregierung beobachte diese Entwicklung "mit Sorge":

Die Skepsis der Landesregierung nährt sich aus Schilderungen der Begleitumstände der Wahl. So soll der im türkischen Generalkonsulat in Frankfurt angesiedelte Religionsattaché eine deutliche Wahlempfehlung gegen Kurt gegeben haben. Axel Wintermeyer, der Chef der Staatskanzlei, und Kultusminister Alexander Lorz (beide CDU) sahen sich dazu veranlasst, mit Generalkonsul Ufuk Ekici Kontakt aufzunehmen, auch mit Blick auf den islamischen Religionsunterricht. Stellung nehmen will der Generalkonsul dazu jedoch nicht. Außerdem ist Kurt vor der Wahl aus den eigenen Reihen massiv beschimpft worden, zum Beispiel als "militanter Linker".

Auch sein Einsatz für den islamischen Religionsunterricht wurde diskreditiert - von Sachkenntnis weitgehend ungetrübt. Schließlich zog Kurt, der wesentlich an der Einführung jenes Schulfachs in Hessen beteiligt war, seine Bewerbung kurz vor der Wahl zurück. "Ich habe keinen Sinn mehr darin gesehen, zu kandidieren". Mehr will er nicht sagen.

Nun macht das Wort vom "Putsch" gegen Kurt die Runde. Der SPD-Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel sieht konservativ-orthodoxe, der türkischen AKP nahestehende Kräfte am Werk, die Kurt loswerden wollten.FAZ

Nachdem Kurt auf seine Kandidatur verzichtete, wurde 2015 Salih Özkan zum Vorsitzenden des DITIB-Landesverbandes Hessen gewählt. Dieser hält sich jedoch dezent im Hintergrund und überlässt Doğruer die öffentliche Bühne.

Und hier bestätigt sich, was bei vielen Fällen im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit mit den Islam-Verbänden durchscheint: Die Vertreterinnen und Vertreter der Behörden, politischen, religiösen und zivilgesellschaftlichen Institutionen und Organisationen, die mit den Verbänden und deren Protagonisten zu tun haben, wollen offensichtlich nicht hinter deren Kulissen schauen.

Dieses geschickte Taktieren auf der einen und nicht so genau Hinsehen (wollen) auf der anderen Seite ist auch das Problem bei dem hier thematisierten KiKa-Beitrag.