In Neptuns Reich: Godard, Odysseus und die Götter der Filmwelt
- In Neptuns Reich: Godard, Odysseus und die Götter der Filmwelt
- Markt der Lügen
- Im Oldsmobile zu General De Gaulle
- Durch die Bresche oder sterben
- Ende mit Meerblick
- Hinter Gittern
- Tödlicher Verkehr
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Die Nacht der Verachtung, Teil 3
Teil 1: Jean-Luc Godard, Brigitte Bardot und eine Lampe im Lichte der #MeToo-Debatte
Teil 2: Einsam vor Gott: Godard, die Nouvelle Vague und die Verantwortung der Kunst
Wir haben damit aufgehört, dass Fritz Lang in Le mépris als Gegeninstanz der Filmkunst zur Barbarei der Nazis auftritt und aus einem Gedicht von Hölderlin zitiert. Damit holt er die deutsche Literatur von Leuten wie Hanns Johst zurück, der versuchte, Hölderlin neben Heinrich Himmler zu stellen. Zu einem Kollegen von Godard und Lang, der dasselbe mit den Skulpturen der Antike machte, kommen wir gleich. Vorher aber wird das Versprechen aus der letzten Folge eingelöst und erläutert, warum man mit dem Hölderlin-Zitat auch dann etwas anfangen kann, wenn man kein Germanist ist und noch nicht einmal ein Leser von Gedichten.
Wie überall in Le mépris gibt es eine Ebene (oder mehrere), die ohne ein bestimmtes Spezial- oder Allgemeinwissen zugänglich ist. Man muss nur hinhören. Rufen wir uns also den Schluss des Gedichts über den "Dichterberuf" in Erinnerung, aus dem Lang zitiert, nachdem der Produzent Jeremy Prokosch gegangen ist. Auch für alle Geschädigten eines verfehlten Deutschunterrichts verliert das dann gleich seinen Schrecken: "Furchtlos bleibt aber, so er muß, der Mann/Einsam vor Gott, es schützet die Einfalt ihn,/Und keiner Waffen brauchts und keiner/Listen, so lange, bis Gottes Fehl hilft."
Was macht man mit so etwas? Man hält sich an Fritz Lang. Der weiß es nämlich. Hölderlin, sagt Lang, habe mehrere Varianten des letzten Satzes geschrieben: erst "solange der Gott nicht da ist" und hinterher "solange der Gott uns nahe ist". Nach der Endredaktion, also in der finalen Fassung, sei es nicht mehr Gottes Anwesenheit, die dem Menschen Zuversicht gibt, sondern dessen Abwesenheit ("Gottes Fehl"). "Seltsam, aber wahr", meint Lang. Ohne Gott (und andere Herrscherfiguren) ist man besser dran. Das könnte nun der Einstieg in die Gedichtexegese sein. Oder man stellt ganz einfach fest, was festzustellen ist.
Gründet des Menschen Zuversicht darauf, dass Gott da ist oder darauf, dass er weg ist? Zwischen der einen und anderen Version gibt es einen signifikanten Unterschied. Umso wichtiger ist es, wer die Endredaktion hat und die Entscheidung trifft, was am Schluss geschrieben steht. Beim Film ist das nicht anders als in der Literatur. Da geht es um die letzte Schnittfassung, den Final Cut. Natürlich hätte man das einfacher sagen können. Godard will aber keine Spruchweisheiten vorlesen wie Prokosch aus seinem schlauen Buch für Denkfaule, sondern unsere Intelligenz stimulieren - verbunden mit einer Wiederinstandsetzung deutscher (und europäischer) Kultur, die von den Nazis in die Tonne getreten worden war.
Seltsame Vorkommnisse im Silver Cine
Hier darf - kein NS-Vergleich! - ein letztes Mal Quentin Tarantino erwähnt werden, der unter dem Eindruck der #MeToo-Debatte die geschäftlichen Beziehungen zu seinem langjährigen Förderer Harvey Weinstein gekappt hat. Im Getöse um Weinsteins sexuelle Übergriffe ging fast unter, dass der von Weinsteins PR-Maschinerie jahrelang als unabhängiger Filmemacher gepushte Tarantino erklärte, fortan nur noch Verträge unterschreiben zu wollen, die ihm den Final Cut geben. Das Recht auf die letzte Schnittfassung seiner Filme hatte er bis dahin also nicht. Das hatte sein Gönner.
Seltsame Vorkommnisse im Silver Cine (Le mépris) (9 Bilder)
Bei Jackie Brown soll Harvey, in der Klatschpresse (und leider nicht nur da) jahrelang als "König von Hollywood" gefeiert, eine halbe Stunde herausgeschnitten haben, was diverse Anschlussfehler erklären könnte, aber man ist auf Gerüchte angewiesen, weil das Schweigekartell noch immer gut funktioniert. Der Begriff "Independent" ist weniger eine Zustandsbeschreibung als ein Marketing-Instrument, wenn am Ende der Produzent kommt und darüber bestimmt, in welcher Form ein Film die Kinos erreicht. "König von Hollywood" sein bedeutet nicht ausschließlich, sich mit schönen Frauen zu umgeben und diese zu bespringen.
In Le mépris gibt es eine Szene über die Macht der Produzenten, die so aberwitzig ist, dass man zunächst kaum versteht, was da vor sich geht. "Seltsam, aber wahr", sagt Lang nach dem Hölderlin-Zitat und will dann von Francesca wissen, was das italienische Wort für "seltsam" sei. "Strano", antwortet sie. Strano ist das Motto für das, was folgt. Wenn wir Lang wiedersehen sitzt er in einem Kino, dem Silver Cine. Camille und Paul Javal kommen etwas später. Sie betreten den Saal unter einem Plakat zu Rome Adventure, einem jener Schmachtfetzen, mit denen Delmer Daves die Kassen klingeln ließ, als er aus gesundheitlichen Gründen keine Western mehr drehen konnte.
Suzanne Pleshette spielt in Rome Adventure eine junge Bibliothekarin, die nach Rom reist, um die wahre Liebe zu finden und am Schluss Troy Donahue heiraten darf, damals der Schwarm aller Teenies und der Traum aller Schwiegermütter (ein paar Elemente ihrer Frisur scheinen in die Anna-Karina-Perücke eingegangen zu sein, die Brigitte Bardot im Silver Cine auf dem Kopf hat). Am Anfang nimmt uns Rosanno Brazzi als gealterter Latin Lover auf eine Stadtrundfahrt mit, die uns ganz flott von den Caesaren zum Balkon von Mussolini bringt. In einem Kellerlokal singt Emilio Pericoli eine Coverversion von "Al di là", dem italienischen Beitrag zum (heutigen) Eurovision Song Contest von 1961.
Seltsame Vorkommnisse im Silver Cine (Rome Adventure) (9 Bilder)
Das Lied stürmte die Hitparaden. Prokosch will sich da anhängen. Auf der Bühne vor der Leinwand gehen Statisten paarweise auf und ab. Eine junge Frau tänzelt herum und macht den Mund auf und zu, mehr oder weniger synchron zu dem italienischen Schlager, der aus den Lautsprechern dröhnt. Prokosch erläutert, dass er noch einmal in der Odyssee geblättert und dabei gefunden habe, was sowohl für einen Film wie für das echte Leben unverzichtbar sei: Poesie. Aber was hat die Darbietung auf der Bühne mit Homer zu tun? Ganz einfach. Die junge Frau hat sich um die Rolle der Nausikaa beworben.
Nausikaa ist die schöne Königstochter, die Odysseus auf der Insel der Phäaken am Strand trifft und die er beinahe heiraten würde, statt nach Ithaka und zu seiner Frau Penelope zurückzukehren. Soviel Romantik schreit geradezu nach einem Schlager, den man - wir sind im Jahr 1963 - auf Schallplatte verkaufen kann, um das Merchandising-Geschäft anzukurbeln. Vor der Kunst muss niemand ehrfürchtig erstarren, auch nicht vor der des Jean-Luc Godard. Oft reicht ein wenig Phantasie, schon sind seine Filme furchtbar komisch.
Die junge Frau, nennen wir sie "Nausikaa", kann wahrscheinlich gar nicht singen. Egal. Odysseus hatte einen Sohn, der einer Überlieferung nach zu der Insel segelte, um Nausikaa in Vertretung seines Vaters zu ehelichen. Stellen wir uns also Emilio Pericoli als Telemach vor, wie er bei den Phäaken um die schöne Königstochter wirbt und "Quando, quando, quando" zum Vortrag bringt, umrahmt vom Fernsehballett. Prokosch wäre begeistert. Am Ende des "Vorsprechens" lässt er die Dame auf der Bühne fragen, ob sie bereit ist, sich vor der Kamera auszuziehen. Dann ist sie engagiert.
Entfremdung und Verfremdung
Wie immer verzahnt Godard die Parodie auf das Filmgewerbe mit den anderen großen Themen von Le mépris, der Prostitution und der Käuflichkeit, dem Zerfall einer Ehe und der Frage, wie man - nach der Indienstnahme des Mediums durch die Propaganda von Nazis, Faschisten und Kollaborateuren - auf die Manipulierbarkeit des Publikums durch das Kino reagieren soll. Im Silver Cine nehmen Paul und Camille rechts und links vom Mittelgang Platz: Paul neben Prokosch, Camille neben Lang. Der Gang symbolisiert die Distanz zwischen den beiden. Hinter Camille sitzt Francesca und schaut sich die Bilder in einem Klatschblatt an.
Die Distanz zwischen dem Paar wird umso größer, je mehr sich der Drehbuchautor dem Produzenten annähert und dadurch vom Regisseur entfernt. Lang will eine möglichst werkgetreue Verfilmung der Odyssee, inhaltlich wie formal. Prokosch will eine moderne Liebesgeschichte mit Monstern, nackten Frauen und Popsongs. Paul erwärmt sich dafür, weil das Honorar stimmt und er inzwischen Parallelen zwischen der Odyssee und seiner Ehe sieht. Odysseus, meint er, sei in den Trojanischen Krieg gezogen und habe sich dann jahrelang auf den Meeren herumgetrieben, weil er die Nase voll hatte von Penelope und nicht zu ihr zurück wollte. Lang fragt Camille, ob er das von Homer habe oder von Prokosch.
Entfremdung und Verfremdung (10 Bilder)
Ein Photograph schießt Bilder von "Nausikaa", die auf der Bühne zeigt, wie sie mit den Hüften wackeln und die Brüste springen lassen kann. Die ideale Ergänzung zu Le mépris ist Jacques Roziers kurzer Dokumentarfilm Paparazzi, mit Jagd- und Kampfszenen aus dem Leben eines Sexsymbols, der von den neueren DVDs und Blu-rays mit Die Verachtung leider verschwunden ist. Bei den Dreharbeiten auf Capri wurde Brigitte Bardot auf Schritt und Tritt von Schnappschussjägern verfolgt, die auf Aufnahmen von BB im Bikini lauerten, oder, besser, ohne Bikini. Diese Nachstellungen waren ein Grund dafür, warum Bardot einen Suizidversuch hinter sich hatte.
In Le mépris wird das reflektiert. Prokosch lässt Bilder von begehrenswerten Frauen machen, um das Publikum ins Kino zu locken. Das verdiente Geld gibt ihm die Macht, die es ihm ermöglicht, sich an ihnen zu vergehen (sie zu kaufen, wie Louise Brooks sagt, siehe Teil 1). Auch Francesca wird von ihm missbraucht. Jetzt sitzt sie im Kino und blättert in einem der bunten Blätter, in denen später die von Prokosch in Auftrag gegebenen Photos erscheinen werden, um Werbung für den Film zu machen. Durch den Kauf finanziert Francesca das System mit, durch das sie zum Opfer wird. Ein Teufelskreis.
Raoul Coutard hat im Silver Cine wieder seine Schienen verlegt, um eine der auffallenden Kamerafahrten vorzubereiten, mit denen Godard zentrale Momente des Films markiert. Die Kamera fährt also hin und her und macht so auf sich aufmerksam, während die Protagonisten auf den Kinositzen ihr Gespräch führen. Ein Zuschauer, der sich der Anwesenheit der Kamera bewusst ist, so die Hoffnung, wird sich nicht so leicht manipulieren lassen wie einer, der sich ganz der Kinoillusion hingibt und vergisst, dass er für ihn inszenierte Bilder sieht.
Während Coutard von links nach rechts und von rechts nach links fährt und der Saal mit Schlagermusik beschallt wird zeigt Godard, wie man die Tonspur verfremden kann. Gutes Handwerk im Sinne des kommerziellen Erzählkinos wäre es, die Musik so zu dämpfen, dass die Dialoge problemlos zu verstehen sind und das Publikum nicht mitkriegt, dass die Musik leiser geworden ist. Godard blendet das Geträllere komplett aus, wenn einer der Charaktere etwas sagt und in Gesprächspausen wieder ein. Das eine ist so wenig naturalistisch wie das andere. Verwirrend und die Illusion zerstörend ist nur das An und Aus der Musik, nicht das Dämpfen, weil es gegen die Hörgewohnheiten verstößt, die man uns antrainiert hat.
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