In Polen ist man über das Scheitern des Klimagipfels nicht unglücklich

94 Prozent des polnischen Stroms wird in Kohlekraftwerken erzeugt - und dies von Unternehmen, bei denen der Staat Großaktionär ist

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Auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel das Ergebnis des Kopenhagener Klimagipfels "nicht schlecht reden" lassen möchte, ist die Enttäuschung über den Minimalkonsens von Kopenhagen nicht unbegründet. Doch nicht alle Staaten der Europäischen Union, die mit einer Reduzierung ihrer Kohlenstoffdioxidemissionen um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einnehmen möchte, ist man vom Ausgang des Kopenhagener Gipfels enttäuscht. Bei den osteuropäischen Mitgliedsstaaten ist man mit dem Kopenhagener Kompromiss durchaus zufrieden, auch wenn man sich nach außen enttäuscht gibt. Bestes Beispiel dafür ist Polen, das .

Belchatow ist nicht unbedingt eine Schönheit unter den polnischen Städten, auch wenn diese mit dem Spruch "Lass dich verführen" für sich wirbt. Die in der Wojewodschaft Lodz gelegene Gemeinde gehört mit ihren fast 62.000 Einwohnern auch nicht gerade zu den größten Städten des Landes. Was jedoch nicht bedeutet, dass Belchatow deswegen eine mickrige, unbedeutende Kleinstadt ist. Ganz im Gegenteil. Für Polens Energiewirtschaft ist Belchatow einer der wichtigsten Standorte, denn hier befindet sich nicht nur das größte Braunkohlerevier des Landes, in dem fast 7.800 Menschen arbeiten, sondern auch das größte Braunkohleheizwerk Europas, das über 4.200 Menschen beschäftigt. Die zwei Betriebe haben mit der Polska Grupa Energetyczna (Polnische Energiegruppe - PGE) denselben Besitzer.

Wie wichtig der Energiesektor für Belchatow ist, zeigt sich im ganz normalen Alltag der Stadt. Der Energiekonzern PGE, der seit November an der Warschauer Börse notiert ist und damit den größten Börsengang Europas in diesem Jahr absolvierte, ist nicht nur wegen der beiden Betriebe der größte Arbeitgeber der Stadt. Dem Konzern gehören in Belchatow auch einige Hotels und Immobilien. Und wie es sich für den größten Hauptarbeitgeber der Stadt gehört, sponsert PGE auch die Belchatower Aushängeschilder im Sport. Sowohl die Profivolleyballer von SKRA Belchatow, als auch die Erstligafußballer von GKS Belchatow tragen das Logo des Energiegiganten auf ihren Trikots. Für 35 Millionen Zloty, ca.8 Millionen Euro, sicherte sich das Unternehmen jetzt gerade auch noch die Namensrechte an dem Danziger Stadion, in dem 2012 Spiele des Fußballeuropameisterschaft ausgetragen werden sollen.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit Belchatows von dem Energiesektor ist jedoch kein Einzelfall östlich der Oder. Wenn es um die Energieerzeugung geht, ist ganz Polen ein riesiges Belchatow. 94 Prozent seines Stroms gewinnt das Land durch Kohlekraftwerke, was Polen den Ruf eingebracht hat, "das China Europas" zu sein.

Wie Zahlen belegen, ist das ein nicht ganz unbegründeter Ruf. Auch wenn die Oberste Kontrollkammer des Landes in einer aktuellen Untersuchung lobt, dass Polen zwischen 2006-2008 seinen Treibhausgasausstoß auf 10 Tonnen Kohlendioxid jährlich pro Einwohner reduziert hat, was ungefähr den deutschen Werten entspricht, und dadurch fünfmal soviel wie das Protokoll von Kioto vorschreibt, gibt es an der Weichsel keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Denn auch wenn Polen seinen Treibhausausstoß tatsächlich um 29 Prozent verringert hat, wie die Oberste Kontrollkammer lobend erwähnt, ist dies vor allem der politischen Wende geschuldet, der seit 1989 viele schwerindustrielle Betriebe zum Opfer gefallen sind. Dass der Ausstoß von Kohlendioxid weiterhin beunruhigend und alles andere als vorbildhaft ist, beweisen andere Zahlen. Während in Deutschland für Tausend Dollar Einkommen 400kg Treibhausgase emittiert werden, sind es in Polen 760. Nur Estland hat mit 820kg noch einen höheren Kohlendioxidausstoß.

Ebenso beunruhigend wie der Ausstoß von Treibhausgasen, ist aber auch Polens Klimaschutzpolitik. Deutlich wurde dies im vergangenen Jahr, als die EU-Staatschefs auf Druck der osteuropäischen Staaten mit Polen an der Spitze (Polen feiert seinen Erfolg auf dem EU-Gipfel), ein wenig konkretes Klimaschutzpaket verabschiedeten. Diese Politik betrieb Polen auch in diesem Jahr. Vor dem Europäischen Gerichtshof setzte Warschau durch, weit mehr Emissionszertifikate an seine Wirtschaft ausgeben zu können, als es der EU-Kommission erforderlich schien. Zudem widersetzte sich Polen auf dem EU-Gipfel im Oktober, den Staaten der Dritten Welt auf dem Kopenhagener Gipfel Investitionen für den Klimaschutz zu versprechen. Als Begründung dafür diente der polnischen Regierung das wirtschaftliche Gefälle zwischen den westlichen und östlichen Staaten innerhalb der Europäischen Union.

Die polnische Argumentation wird in den meisten Staaten der Welt nicht mehr nachvollzogen. "Heute gehört Polen zu den 50 reichsten Staaten der Welt, was nicht immer so war. Einst zeigten sich viele Staaten mit Polen solidarisch. Heute sollte Polen anderen Staaten helfen", mahnte der Friedensnobelpreisträger von 1984, Desmond Tutu, im Oktober und appellierte an Polens Premierminister Tusk, nicht nur polnische Interessen zu verfolgen.

Die Forderung stellt nicht nur Desmond Tutu. In einem am 2. November in der liberalen Gazeta Wyborcza veröffentlichten Artikel, bezeichneten Zbigniew M. Karaczun und Andrzej Kassenberg, Polens bekannteste Klimaschützer, die Klima- und Entwicklungspolitik des Landes als "schändlich":

Unser Land ist das einzige innerhalb der EU, das keine geregelte Entwicklungspolitik hat. Und für diese Politik geben wir noch weniger aus als die festgeschriebenen 0.17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Seit vielen Jahren hat Polen, wenn das Thema Klimaschutz angesprochen wird, nur eine einzige Antwort – wir sind abhängig von Kohle. Und das ist die Wahrheit. 94 Prozent unseres Stroms erzeugen wir in Kohlekraftwerken. Aber seit 20 Jahren haben wir praktisch nichts getan, um dies zu verändern. Die polnische Wirtschaft verbraucht durchschnittlich 2,5 Mal mehr Energie als die in den anderen Staaten der EU. Wir lernen nicht von Deutschland, Dänemark oder Großbritannien, dass eine Verbesserung der Energieeffizienz und die Entwicklung erneuerbarer Energien, die besten Grundlagen für eine höhere Energiesicherheit, neue Arbeitsplätze und eine innovative Wirtschaft sind. Würden wir unsere Energieeffizienz erhöhen, würde der Energieverbrauch bis zum Jahr 2030 nicht nur um 30-40 Prozent fallen, es würden auch 300.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Aus erneuerbaren Energien könnten 20-30 unseres Stroms gewonnen werden.

Karaczun und Kassenberg

Die Lobbyisten der Energieunternehmen sitzen in Polen mit am Regierungstisch

Bekräftigt wurden die beiden Klimaforscher durch eine Analyse, die ausgerechnet die polnische Regierung im Vorfeld des Kopenhagener Gipfels bei dem Unternehmensberater McKinsey & Company in Auftrag gegeben hat. Laut diesem Bericht könnte Polen bis 2030 seinen Treibhausausstoß um ein Drittel verringern, wenn es seine Energiewirtschaft erneuern würde. Mit einem ökonomisch nicht unerheblichen Nebeneffekt: die polnische Wirtschaft könnte nach Meinung der McKinsey-Analysten 113 Milliarden Euro einsparen. Um dies jedoch zu erreichen, wären Investitionen in Höhe von 90 Milliarden Euro notwendig. Mehr als die Hälfte des polnischen Staatsbudgets.

Und diese Investitionen scheinen die polnischen Stromlieferenten sowie die Regierung aus einem simplen Grund abzuschrecken: Die Lobbyisten der Energieunternehmen sitzen in Polen mit am Regierungstisch. Denn egal ob die Energiekonzerne Polska Grupa Energetyczna oder Tauron, Stromlieferanten wie Energa oder die in Oberschlesien existierenden Steinkohlebergwerke, in allen Unternehmen ist der polnische Staat der Hauptaktionär. Daran dürfte sich in absehbarer Zukunft nichts ändern, auch wenn neuerdings mehr Aktien von den Energiekonzernen an der Börse erworben werden können. Denn mit diesen Börsengängen will der Staat als Mehrheitseigner lediglich Geld für neue Investitionen gewinnen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Investitionen eine umweltfreundliche Energiepolitik einläuten sollen. Auch wenn östlich der Oder, wo auch die Bevölkerung kein besonders ausgeprägtes Umweltbewusstsein hat, die Gefahren der Klimaerwärmung mehr als bekannt sind, ist die Angst vor einer noch größeren Abhängigkeit vom russischen Gas und Öl größer, als die vor einer Klimakatastrophe. Und das Kapital aus den Aktienverkäufen soll vor allem diese Abhängigkeit aufbrechen. Die dazu benötigten Investitionen hat die polnische Regierung schon beschlossen. Spätestens im Jahr 2020 soll der Energiekonzern PGE das erste polnische Atomkraftwerk in Betrieb nehmen. Bereits nächsten Jahr wird die Regierung eine Pro-Atom-Kampagne starten, um die Bedenken der Bevölkerung zu zerstreuen.