JFK und die Dallas Cowboys

Seite 2: Earl Warren

Eine tragische Rolle fiel dem obersten Richter der USA, Earl Warren, zu. Als langjähriger Gouverneur von Kalifornien kannte der Republikaner, der Kennedy sehr geschätzt hatte, die politischen Verhältnisse bestens.

Bei den Präsidentschaftswahlen 1948 und 1952 hatte sich Warren selbst um eine Kandidatur beworben und dann Nixon unterstützt. Eisenhower machte Warren zum Vorsitzenden Richter des Supreme Courts.

Trotz seines Parteibuchs hatte Warren die gesetzliche Rassentrennung in Schulen für verfassungswidrig erklärt und das Verlesen der Rechte für Verhaftete eingeführt, was ihm auch im Lager der Demokraten und Bürgerrechtler Ansehen einbrachte.

Als der nachgerückte Präsident Johnson eine Woche nach dem Attentat Richter Warren um die Leitung einer politischen Untersuchungskommission bat, hatte dieser mehrfach abgelehnt. Eine politische Kommission hinter verschlossenen Türen verdrängte eine gebotene juristische Untersuchung.

Als oberster Richter wäre es Warrens Aufgabe gewesen, ggf. Urteile gegen Oswald-Mörder Jack Ruby zu kontrollieren, nicht aber selbst einem politischen Ausschuss pseudojuristische Autorität und Glaubwürdigkeit zu verleihen, die ihm schon wegen der sonstigen Besetzung nicht zukam.

Sämtliche sechs Kommissionsmitglieder, die Johnson Warren unterjubelte, waren entweder Nixon oder Johnson verpflichtet, oder beiden. Darunter eifernde Rassisten wie Johnsons Förderer Richard Russell Jr., oder John McCloy, der im Zeiten Weltkrieg über 100.000 Japaner internieren ließ und dabei die Bürgerrechte von US-Amerikanern missachtete.

McCloy hatte zuvor deutsche und italienische Faschisten finanziert, dann aber in Nürnberg als Hochkommissar Kriegsverbrecher begnadigt. Als Anwalt der texanischen Ölindustrie und der Wall Street, welche die Regierung Kennedy hart kritisierten, hatte auch McCloy mit den Brüdern gebrochen.

Johnson genoss einen schlechten Ruf. Als Lobbyist für die zur Kartellbildung neigende texanische Öl- und Rüstungsindustrie hatte er korrupte Freunde in Regierungsämter gelotst. Bis zum Attentat liefen gegen den damaligen Vizepräsidenten Johnson pressebekannte Ermittlungen, weil dessen engster Mitarbeiter Bobby Baker in Nachbarschaft zum Senat in einem Hotel versteckt einen diskreten Hostessen-Club für Lobbyisten und Politiker betrieb, der schließlich vom FBI verwanzt wurde.

Die Kreise rechter Milliardäre

In Dallas war Warren ähnlich verhasst wie Kennedy. In den Südstaaten hatte man die Amtsenthebung des obersten Richters der USA gefordert, weil Warren die Rassentrennung in den Schulen, das Verbot gemischter Ehen und Gesetze gegen die Unterdrückung von Kommunisten niedergeschlagen hatte.

Die durchweg rechts eingestellten texanischen Ölbarone sahen bereits im Steuersystem Anflüge von Kommunismus und unterstützten offen rassistische Gruppierungen. Die Milliardäre hatten gegen Kennedy mit Flugblättern, Radiosendungen und Anzeigen gehetzt. Den Mord durch einen angeblichen Kommunisten Oswald nahmen sie zum Anlass, um zum Eintritt in die antikommunistische John Birch Society aufzurufen.

Johnson gewann Warren schließlich mit dem Argument, dass Warren die Verantwortung für einen Nuklearkrieg trage, wenn er nicht verhindere, dass das Attentat mit Kuba oder der Sowjetunion in Verbindung gebracht werde. Solche ließen sich beim angeblichen Attentäter Oswald konstruieren.

Für einen nuklearen Erstschlag hatten Generäle wie Air Force-Chef Curtis LeMay seit 1947 offen plädiert und nach Vorwänden hierzu gesucht. Als casus belli hatten die Generäle die Kubakrise gesehen, woraufhin zwischen den Kennedys und dem Pentagon ein Kleinkrieg eskalierte. Warrens Ansehen sollte helfen, ein unerwünschtes Ergebnis zu vermeiden.

Zweifellos war Warren klar gewesen, dass das erwünschte Spektrum seiner Ergebnisse nicht nur außen-, sondern auch innenpolitisch begrenzt war. Ermittlungen in der Stadt Dallas, die politisch von ultrarechten Superreichen kontrolliert wurde, die zudem auch Richard Nixon, Lyndon B. Johnson und dessen Gegenkandidaten Barry Goldwater finanzierten, waren eine Farce.

Was von ihm erwartet wurde, hatte Warren drei Jahrzehnte zuvor bei den Anschuldigungen des populären Sechs-Sterne-Generals Smedley Butler beobachten können. Butler hatte 1933 das FBI vor einem rechtsgerichteten Staatsstreich gewarnt.

Ultrarechte Wall Street-Milliardäre, die in Präsident Franklin D. Roosevelt einen Kommunisten sahen, hätten Butler als Gallionsfigur für einen Militärputsch angefragt, um in den USA ein faschistisches System zu errichten.

Die Männer wollten die Anfang der 1930er Jahre von unzufriedenen Veteranen und ihren Verwandten gebildete "Bonus Army", die damals vor Washington D.C. lagerte, mit Butler als starkem Mann zum Marsch auf das Weiße Haus hetzen.

Wäre die Regierung den Anschuldigung des sogenannten Business Plots konsequent nachgegangen, so hätte man große Teile des US-Establishments verfolgen müssen, darunter J. P Morgan, Irenee Du Pont, Robert Sterling Clark, Grayson M.P. Murphy und vor allem den gut vernetzten Investmentbanker Prescott Sheldon Bush.

Nachdem die eigentliche Gefahr gebannt war, ließ ein Ausschuss die Sache im Sande verlaufen, die Presse, die mit den Industriellen verstrickt war, tat den Vorwurf als "Schwindel" ab.

Auch Warren vermied es, den ihm gut vertrauten Kreisen rechter Milliardäre zu nahe zu kommen. Diese saßen damals weniger in der Wall Street als in Texas. Den auffälligen Spuren, die zur von Ölbaronen bespendeten rechtsextremen John Birch Society führten, ging er nicht ernsthaft nach.

Der ehemalige Staatsanwalt Warren dürfte sich über die Zuverlässigkeit der Polizeiberichte von Dallas keine Illusionen gemacht haben. Trotz zweitägiger Haft lagen weder Vernehmungsprotokolle von Oswald vor noch war ihm der Beistand eines Anwalts gestattet worden.

Spuren nicht brauchbar gesichert

In Dallas waren Spuren nicht brauchbar gesichert worden, die Beweiskette wies Lücken und befremdliche Widersprüche auf. Selbst die Tatwaffe war bei ihrem Fund noch eine Mauser gewesen, hatte sich dann jedoch in eine Mannlicher Carcano verwandelt.

Mit Verspätung von 12 Minuten wurden offen auf dem Boden liegende Patronenhülsen gefunden, deren Anzahl in Berichten von zwei auf drei anstieg. Der Secret Service verhinderte eigenmächtig unter Androhung von Waffengewalt in Dallas die vorgeschriebene Obduktion an Kennedys Leichnam und entführte diesen stattdessen nach Maryland, wo das in keiner Weise zuständige oder qualifizierte Militär eine eigenmächtige Leichenschau durchführte.

Im Widerspruch zur Einschätzung der behandelnden Ärzte in Dallas wollten sie nur an der Rückseite Eintrittswunden erkennen. Der Hauptverdächtigte Oswald war in Polizeigewahrsam ermordet worden.

Kurze Wege

In Dallas waren die Wege bemerkenswert kurz:

Sowohl Nixon als auch Johnson kannten den Oswald-Mörder Jack Ruby persönlich. Johnsons Leute verkehrten häufig in Rubys Nachtclub; Ruby kolportiere 1947 als FBI-Informant an Nixons Komitee gegen unamerikanische Umtriebe. Zudem waren Oswald und Ruby mehrfach gemeinsam sowie auch noch ausgerechnet in Gesellschaft des ebenfalls ermordeten Polizisten J. D. Tippit gesehen worden.

Tippit verkehrte mit Funktionären der rechtsextremen John Birch-Society. Ruby war im Zeitraum des Attentats an der Daeley Plaza gesehen worden und durfte sich unbehelligt im Polizeirevier bewegen, wo er Oswald problemlos erschoss.

Nixons Förderer Prescott Bush hatte Verbindungen zu Oswald: Sohn George H. W. Bush war mit dem Ölindustriellen George de Mohrenschildt befreundet, der Oswald in Dallas unter seine Fittiche nahm und ihm zum Wohnen die Vermieterin Ruth Paine vermittelte. Paine hatte Oswald auch kurzfristig den Job im Schulbuchlager besorgt. Paines Schwiegermutter war eng befreundet mit der langjährigen Gespielin von CIA-Chef und Öllobbyist Allen Dulles.

Derselbe Dulles saß auch im Beirat des patriotischen Verlags, dessen Schulbuchlager in Dallas seit Kurzem in den fünften Stock des Sexton Buildings umgezogen war. Gebäudeeigentümer war der mit de Mohrenschildt befreundete Ölindustrielle Byrd, der auch die patriotische Civil Air Patrol gegründet hatte, in der ausgerechnet Oswald paramilitärisch ausgebildet wurde. Zu Byrds engen Freunden gehörte der Bürgermeister von Dallas, Earle Cabell, Bruder des von Kennedy entlassenen CIA-Vizedirektors Charles Cabell.

Der für die Sicherheit des Präsidenten zuständige Secret Service unterstand Finanzminister Clarence Dillon, einem engen Freund der Gebrüder Dulles. Die PR-Agentur, die sofort nach dem Attentat in den Medien Oswalds Auftreten als Kuba-Aktivist lancierte, war eine Tarnfirma der CIA.

Auch die Staatsanwaltschaft von Texas hatte ungewöhnliches Personal. So hatte der zuständige Ermittler im Kriegsgeheimdienst bei den Nürnberger Prozessen unter Hochkommissar John McCloy mitgewirkt.

Während Richter Warren nur widerwillig zu Werke ging, glänzte ein Mitglied der Kommission mit Übereifer, das man in jeder seriösen Untersuchung als Hauptverdächtigen behandelt hätte: Allen Welsh Dulles, seit Jahrzehnten Anwalt der Rüstungs- und Ölindustrie, Schatzmeister der Republikaner und von Kennedy entlassener Direktor der Central Intelligence Agency (CIA).

Am Auslandsgeheimdienst, der seine Aktivitäten professionell geheim hielt, waren bereits Eisenhowers Untersuchungskommissionen gescheitert. Warren versuchte es gar nicht erst.

Mit Oswald als verwirrtem Einzeltäter konnten alle Parteien leben. Warren spielte die ihm zugedachte Rolle und nahm damit inkauf, dass sein Name auf ewig mit einer Untersuchung in Verbindung gebracht werden würde, die nicht nur wegen selektiver sondern sogar falscher Wiedergabe von Zeugenaussagen als politisches Staatstheater in Erinnerung bleiben sollte. Trotz Ernennung auf Lebenszeit ging er bereits 1968 in Ruhestand.

Während die meisten US-Medien wie schon bei Smedley Butlers Business Plot staatstragend berichteten, hatte die damals in den USA populärste Journalistin Dorothy Kilgallen die Ermittlungen scharf kommentiert, setzte FBI-Chef Hoover mit einer geleakten Aussage von Jack Ruby unter Druck und bezeichnete den Warren Report als "lächerlich".