Katalonien bringt neue Regierungsbildung auf den Weg
Zur erneuten Bestätigung der Unabhängigkeitserklärung kam es nicht, wie dies die linksradikale CUP zunächst forderte
Nun ist der zweite Versuch zur Regierungsbildung in Katalonien auf der ersten ordentlichen Sitzung des katalanischen Parlaments am Donnerstag auf den Weg gebracht worden. Zuvor hatten sich Gemeinsam für Katalonien (JxCat) und Republikanische Linke (ERC) auf eine Lösungsweg geeinigt, um die praktische Blockade des spanischen Verfassungsgerichts zu überwinden, mit der dieses die erneute Amtseinführung von Carles Puigdemont bisher verhindert.
Es war ein längeres Hick-Hack mit starken Spannungen im Unabhängigkeitslager. Zentral ging es darum, ob man einigermaßen pragmatisch versucht, mit der Situation umzugehen, wie es die ERC vertrat, oder unter allen Umständen an Puigdemonts Regierungseinführung festhält, wie es JxCat zunächst wollte, die darin von der linksradikalen CUP unterstützt wurde. Nun hat man sich auf einen Mittelweg geeinigt, der Puigdemont weiter Chancen und Einfluss garantiert.
Die Lage ist vertrackt, da das politisierte Verfassungsgericht in einem einzigartigen Vorgang im Januar auf Basis einer präventiven Verfassungsbeschwerde der spanischen Regierung "vorläufige Maßnahmen" verhängt hat, die von der Regierung nicht einmal gefordert worden waren. Das hatten hochrangige Juristen als "sehr merkwürdig" beurteilt. Auch Verfassungsrechtler kritisierten, dass das höchste Gericht noch immer nicht entschieden hat, ob die Beschwerde überhaupt angenommen wird. Bei einer Ablehnung der Beschwerde würden auch die vorläufigen Maßnahmen wieder fallen - weshalb das eher unwahrscheinlich ist - und Puigdemont könnte seine Amtseinführung doch delegieren oder per Videoschaltung eingeführt werden.
Eigentlich, so meinen Verfassungsrechtler, dürfte die Beschwerde aber nicht angenommen werden, da es sich bei einem präventiven Vorgehen um "Rechtsumgehung" handele. Das Gericht kann eigentlich nur gegen geschaffene Fakten vorgehen, wenn Puigdemont verfassungswidrig ins Amt eingeführt worden wäre. Mit dem Trick, die Entscheidung über die Annahme der Beschwerde zu verzögern, aber unerfüllbare Auflagen zu machen, verhindert das Verfassungsgericht praktisch die Investitur Puigdemonts, die die spanische Regierung "mit allen Mitteln" verhindern will.
Klar ist aber auch, dass das Vorgehen immer mehr Juristen zu bunt wird. Mehr als 650 Juristen aus ganz Spanien haben sich derweil in einem Schreiben an den Europarat gewandt, um die "Judikalisierung" der spanischen Politik und "schwerwiegende Verstöße gegen Rechte und Freiheiten" anzuzeigen, zu denen die Aussetzung der Autonomie und die Zwangsverwaltung aus Madrid genauso gehören, wie das brutale Vorgehen von spanischen Sicherheitskräften gegen Teilnehmer am Unabhängigkeitsreferendum.
Unabhängigkeitsparteien verfolgen eine Doppelstrategie
Die Unabhängigkeitsparteien behalten nun bei ihrem weiteren Vorgehen stets das Verfassungsgericht im Auge, um eine neuen Madrider Blockade darüber so schwer wie möglich zu machen. Das erhöht wiederum die Chancen, um vor internationalen Gerichten wie dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg Verurteilungen gegen Spanien zu erwirken. Deshalb sieht das Abkommen zur Regierungsbildung, die offiziell für die nächste Woche geplant ist, nun nicht mehr die Investitur von Carles Puigdemont vor. Erwartet wird nun, nach den Beschlüssen heute im Parlament, dass Puigdemont offiziell einen "Schritt zur Seite" verkündet und den Listenzweiten als offiziellen Präsidentschaftskandidaten benennt.
Das ist Jordi Sànchez und sein Name steht auch schon in dem Abkommen. Mit seiner Wahl wird eine Doppelstrategie verfolgt. Einerseits soll die spanische Justiz in eine massive Zwickmühle gebracht werden. Andererseits sollen die Chancen auf die Präsidentschaft von Puigdemont oder dessen Einfluss im Hintergrund auf die Regierungsgeschäfte gewahrt oder vergrößert werden. Denn Sànchez, Ex- Präsident der großen zivilgesellschaftlichen Organisation "Katalanischer Nationalkongress" (ANC), sitzt wie der ERC-Chef Oriol Junqueras, der Ex-Innenminister Joaquin Forn und der Präsident von Òmnium Cultural Jordi Cuixart wegen "grotesker" Anschuldigungen wie Rebellion und Aufruhr im Knast. Pablo Llarena hätte ihnen nach Ansicht vieler Juristen, wie anderen Ex-Ministern, eigentlich längst Haftverschonung gewähren müssen. Wenigstens müsste der Oberste Gerichtshof die gewählten Parlamentarier nach gängiger Rechtslage aber ins Parlament lassen, da sie in Untersuchungshaft weiter über alle zivilen und politischen Rechte verfügen.
Das Präjudiz ist klar. In der Vergangenheit wurde auch mutmaßlichen Mitgliedern der baskischen Untergrundorganisation ETA Sitzungsteilnahme und Kandidatur zum baskischen Präsidenten erlaubt. Bisher verweigert Llarena das aber den friedlichen Katalanen beharrlich. Er ließ bisher aber zu, dass sie ihre Stimmen delegieren können. Ließe er nun als Konsequenz seiner bisherigen Rechtsauslegung zu, dass Sànchez auch seine Amtseinführung delegiert, verstieße das wiederum gegen die Maßnahmen, die das Verfassungsgericht Puigdemont aufgezwungen hat.
Verweigert er nun das Delegieren der Stimme oder die Teilnahme von Sànchez an der Investitur, greift er noch tiefer in dessen Rechte und Parlamentsautonomie ein. Denn allein das Parlament bestimmt, wer der Präsidentschaftskandidat ist. Und diese Situation kann nicht mehr wie im Fall Puigdemonts gelöst werden, dass Gerichte ihm grundsätzlich bestätigen, Kandidat sein zu können, um dies über Auflagen faktisch zu verhindern und ihm den Schwarzen Peter zuzuschieben. Nun ist es allein die spanische Justiz, die es zu verantworten hat, ob ein Parlament arbeiten und eine Regierung gebildet werden kann.
Man darf auf neue juristische Winkelzüge gespannt sein, die politischen Vorgaben aus Madrid entsprechen. Denn dort sinniert man schon darüber nach, den Gummiparagraph 155 zu verlängern, sollte Sànchez gewählt werden. Doch damit würde man sich ebenfalls weiter ins juristische Abseits begeben. Schon jetzt zweifelt sogar das Verfassungsgericht, ob die Anwendung des 155 verfassungsgemäß ist. Es hat zwei Klagen angenommen, aber dafür keine vorläufigen Maßnahmen getroffen, um weiteren Schaden abzuwenden.
Exilregierung in Brüssel?
Bestätigt hat das Parlament am Donnerstag schließlich auch mit den Stimmen der linksradikalen CUP die "Legitimität" von Puigdemont als eigentlicher Präsident. Dafür verfüge er "weiter über eine ausreichende Mehrheit". Für ihn sieht das getroffene Abkommen zwischen JxCat und ERC vor, einen "Espai Lliure" (Freiraum) in Brüssel zu schaffen.
Dort sollen Strukturen einer Art Exilregierung entstehen, die von Puigdemont geführt werden. Er soll dort auch einem "Republikrat" aus Vertretern vorstehen, zu dem vermutlich auch Anna Gabriel gehören dürfte. Das bisherige Aushängeschild der CUP hat den Konflikt weiter internationalisiert und ist in die Schweiz vor spanischer Verfolgung geflüchtet.
Gefordert hat das Parlament am Donnerstag auch das Ende der "Einmischungen" der spanischen Regierung über die Justiz. Denn damit solle "die Umsetzung des demokratischen Willens" verhindert werden, der nicht nur bei den Zwangswahlen im vergangenen Dezember, sondern auch beim "Referendum zur Selbstbestimmung am 1. Oktober ausgedrückt wurde". Mit dieser Formulierung wurde die Forderung der CUP umschifft, die eigentlich eine Bestätigung der Unabhängigkeitserklärung vom 27. Oktober zur Bedingung für ihre Zustimmung gemacht hatte. Sie gab sich letztlich mit dem Bezug auf das Referendum und der "republikanischen Aktion" zufrieden.
Die spanischen Unionisten sind dagegen mit ihren Vorhaben gescheitert. Sie wollten vor allem erreichen, dass die Zweimonatsfrist zur Regierungsbildung nun endlich beginnt. Da es bisher aber keine Amtseinführung gab, widerspräche das den Statuten. Das hält die rechten Ciudadanos aber nicht davon ab, da sie ihre Oppositionsrechte verletzt sehen, um auch diesen Vorgang vor das Verfassungsgericht zu ziehen.
Die Uhr beginnt aber real erst zu laufen, wenn Puigdemont zur Seite tritt und Richter Llarena in der einen oder anderen Form die Amtseinführung von Sànchez zulässt. Macht er das nicht, ist erneut Zeit gewonnen. Es wird immer drängender für das spanische Verfassungsgericht zu entscheiden, ob die Regierungsbeschwerde gegen Puigdemont angenommen wird und ob die Anwendung des 155 und die Zwangsverwaltung Kataloniens seit Oktober überhaupt verfassungsgemäß sind.
Würde das Gericht die Regierungsbeschwerde ablehnen, da sie erstmals nicht einmal vom Staatsrat unterstützt wurde, der keine Basis dafür sah, fielen auch die vorläufigen Maßnahmen und Puigdemont könnte doch noch gewählt werden. Nimmt es die Beschwerde gegen alle juristischen Zweifel aber doch noch an, ist der Weg zu einer Eilentscheidung in Straßburg angesichts der dramatischen Eingriffe in demokratische Grundrechte aussichtsreich. Lässt Llarena aber die Amtseinführung des "Knast-Präsidenten" Sànchez zu, erhöht er gleichzeitig das Gewicht der Exilregierung von Puigdemont, wenn er ihm weiter Haftverschonung verweigert. Denn es ist real schwer vorstellbar, wie Sànchez die Regierungsgeschäfte aus dem Knast in der Nähe von Madrid führen soll. Eine Tele-Regierung aus Brüssel ist da sicher deutlich effektiver.