Kriegsgetrommel in Südamerika
Die Spannungen zwischen Kolumbien und den Nachbarn Ecuador und Venezuela steigen
Ecuador hat Kolumbien vor weiteren militärischen Aktionen auf dem Gebiet des Landes gewarnt. Ein erneuter Angriff werde zu einer "militärischen Antwort" führen. Regierungschef Rafael Correa warf Kolumbien eine neue Schmutzkampagne vor. Das Land behauptet, die FARC-Guerilla habe Correas Wahlkampf mitfinanziert. Für diplomatische Verstrickungen sorgt auch, dass modernstes Kriegsgerät bei der Guerilla gelandet sein soll, das Schweden einst an Venezuela geliefert habe. So ist nach einer zaghaften Annäherung wieder die Eiszeit ausgebrochen. Venezuela hat die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien eingefroren. Bogotá hat nun am Montag nachgelegt. Der kolumbianische Geheimdienst hat offenbar der New York Times neue "Beweise" zugespielt, wonach Hugo Chávez die FARC weiterhin unterstütze, um den Druck auf die US-Regierung zu erhöhen. Schließlich will Bogotá, dass die USA nun offen Militärstützpunkte in Kolumbien nutzt.
Der Konflikt zwischen Ecuador und Venezuela auf der einen und Kolumbien auf der anderen Seite hatte sich wieder entspannt, nachdem Kolumbien am 1. März 2008 Ecuador völkerrechtswidrig angegriffen hatte. Das Ziel war ein Lager der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC). Bei dem Angriff wurden 26 Personen ermordet, darunter der FARC-Kommandant und internationale Sprecher, Raúl Reyes, fünf mexikanische Studenten und ein Ecuadorianer. Der Angriff brachte die Region an den Rand eines Krieges (Kolumbien riskiert den Krieg).
Mit der Aktion wurde nicht nur die Freilassung von Geiseln verhindert, die sich seit langem in den Händen der Rebellenorganisation befanden, sondern damit sollte vor allem die Behauptung belegt werden, die Regierungen Ecuadors und Venezuelas unterstützten die dienstälteste Guerilla Südamerikas. Angeblich seien auf dem Computer von Reyes Hinweise gefunden worden, wonach Venezuela die FARC mit 300 Millionen US-Dollar unterstützt habe. Nachdem auch so abstruse Vorwürfe gemacht wurden, dass die FARC versuche, an radioaktives Material zum Bau einer schmutzigen Bombe zu kommen, ließen schnell vermuten, dass es sich um Propaganda handelt (Kolumbien/USA gegen Ecuador/Venezuela).
Zwar schöpfte man tief aus den Daten, die angeblich von der Festplatte des FARC-Kommandanten stammten, doch etliche "Beweise" entwickelten sich schnell zum Rohrkrepierer für Kolumbien. Nachgewiesen konnte zudem an den wenigen Dokumenten, welche Kolumbien seither zur Verfügung stellte, dass sie nachträglich digital verändert wurden (Ecuador und Kolumbien erneut auf Konfrontationskurs). Vor keinem Gericht hätten sie also eine Beweiskraft.
So rieb sich die interessierte Öffentlichkeit gerade wieder erstaunt Augen, als Kolumbien mit einem Video aufwartete und angebliche Daten vom Reyes-Computer nun plötzlich wieder eine Rolle spielen. Das Video soll belegen, dass die FARC den Wahlkampf des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa im Jahr 2006 mitfinanziert habe. Es soll bei der Guerillakämpferin Adela Pérez gefunden worden sein, die schon am 29. Mai in Bogotá verhaftet worden war. Darin erkläre der FARC-Militärchef Jorge Briceño angeblich, dass der Guerillagründer Manuel Marulanda (Tirofijo) kurz vor seinem Tod seine Besorgnis über die Daten geäußert habe, die dem kolumbianischen Militär mit der Festplatte von Reyes in die Hände gefallen seien. Darunter befänden sich auch Daten über die finanzielle Wahlkampfunterstützung von Correa durch die (FARC).
Briceño verliest angeblich einen Brief von Marulanda. Darin soll der "Sichere Schütze" erklären, Kolumbien seien Dokumente in die Hände gefallen, die den "Freunden" der Guerilla schaden könnten. Angeblich wird Marulanda konkreter und benennt "Dollarhilfe für die Wahlkampagne von Correa und spätere Gespräche mit seinen Abgesandten, einschließlich einiger Vereinbarungen, die nach den uns vorliegenden Dokumenten sehr kompromittierend für die Beziehungen zu unseren Freunden sind“.
"Weil sie gegen uns an den Urnen nicht gewinnen können, versuchen sie es mit Lügen und Verleumdungen."
Ecuador hat die Vorwürfe sofort zurückgewiesen. Sicherheitsminister Miguel Carvajal erklärte, die Partei des Präsidenten Correa habe für keinen ihrer Wahlkämpfe Geld von der FARC erhalten. Im Gegensatz zu den erneuten Behauptungen aus Bogotá gebe es auch keine Verbindungen zwischen der ecuadorianischen Regierung und den Rebellen. Correa spricht von einer "Fälschung" und es sei nicht die erste. Auch er könne derlei Videos anfertigen und damit Álvaro Uribe beschuldigen.
Er sprach von einer Kampagne zur "Destabilisierung progressiver Regierungen" in Lateinamerika: "Weil sie gegen uns an den Urnen nicht gewinnen können, versuchen sie es mit Lügen und Verleumdungen." Was gerade in Honduras geschehe (Erster Toter nach Militärputsch in Honduras), sei kein isolierter Vorgang. Die Putschisten dort könnten sich ohne ausländische Hilfe nicht an der Macht halten. Konkreter benannte Correa "mächtige Gruppen der USA und der lateinamerikanischen Oligarchie". Er beruhigte seine Anhänger mit den Worten: "Sorgen Sie sich nicht. Getroffene Hunde bellen und es handelt sich um ein Signal, dass wir auf dem richtigen Weg sind." Selbstironisch sagte Correa: "Es spricht ein internationaler Terrorist, Drogenhändler und Drogenpolitiker."
Man braucht nicht einmal in die technische Analyse des Videos einzusteigen, wie es die spanische Zeitung Publico tut, um Sonderbares zu entdecken. So schreibt die Zeitung unter anderem, dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als Briceño die entscheidenden Worte gesagt habe, ein sonderbarer Schatten verhindere, dass man die Worte über das Ablesen seiner Lippen bestätigen könnte. Doch schon mit dem gesunden Menschenverstand drängen sich Fragen auf, die bisher nicht beantwortet wurden. Warum soll die Kämpferin mit einem derart kompromittierenden (unverschlüsselten) Video in der kolumbianischen Hauptstadt herumlaufen? Warum wird das Video erst knapp zwei Monate nach seiner angeblichen Entdeckung veröffentlicht? Warum werden nicht die Unterlagen veröffentlicht, die sich angeblich in den Händen der Kolumbianer befinden, und warum geht man den Umweg über das Video?
Es stellt sich auch die einfache Frage, warum hat Venezuela das Geld nicht direkt an Correa gezahlt? Oder haben schon wieder alle vergessen, dass im vergangenen Frühjahr die Mannschaft des kolumbianischen Präsidenten Uribe steif und fest behauptete, ohne dafür jemals Beweise vorzulegen, Hugo Chávez finanziere die FARC. So wäre es doch für Correa deutlich weniger kompromittierend, das Geld direkt von Venezuela anzunehmen, statt es über eine Guerillaorganisation zu erhalten, die es sicher selber gut gebrauchen kann. Correa bot Uribe an, "sich gemeinsam vor unserer jeweiligen Bevölkerung an einen Lügendetektor anschließen und fragen zu lassen, ob wir irgendetwas mit den FARC, den Paramilitärs oder dem Drogenhandel zu tun habe..“ Darauf wird man bei einem Uribe wohl lange warten müssen, dessen Armee bisweilen zahlreiche Zivilisten ermorden lässt, um sie als gefallene Guerilleros zu präsentieren ("Body count" unter Zivilisten bei kolumbianischer Armee).
Politische Taktik und der Weg der Waffen
So drängen sich aber Antworten auf die Frage des verspäteten Zeitpunkts geradezu auf. Denn nur wenige Stunden vor der Veröffentlichung hatte Correa die umstrittene US-Basis in Manta aufgelöst, nachdem deren Vertrag nicht verlängert worden war (Südamerika gegen die DEA). Vieles spricht sogar dafür, dass die Basis auch genutzt wurde, um das FARC-Lager in Ecuador zu bombardieren und Uribe will, dass die Einheiten aus Manta auf einen Stützpunkt in Kolumbien verlegt werden.
Und ein Jahr vor dem Ende Uribes Amtszeit, hat der Rechtsaußen beim Besuch in Washington Barack Obama zur Kompensation von Manta sogar die Nutzung von mindestens drei Militärbasen angeboten. Da macht es sich gut, gegenüber Obama das Ansinnen mit einem Bedrohungsszenario zu orchestrieren. Denn Uribe will nicht, dass Obama, auf den viele in Südamerika Hoffnungen setzen, wesentliche Veränderungen gegenüber der Bush-Politik in Lateinamerika vornimmt.
Ein bisher nicht unterzeichnetes Abkommen sieht zum Beispiel die Erweiterung der militärischen Zusammenarbeit vor. Demnach sollen vom US-Verteidigungsministerium die Stützpunkte Malambo im äußersten Norden Kolumbiens, Apiay im mittleren Süden und Palanquero in der Landesmitte genutzt werden dürfen. Sie ermöglichen es, das Karibische Meer, die Regionen Orinoquia und Amazonas sowie Zentralkolumbien zu überwachen. Allein für die Modernisierung von Palanquero hat US-Präsident Barack Obama bereits 46 Millionen US-Dollar zugesagt.
Man braucht sich daher nicht zu wundern, dass nun auch die Vorwürfe gegen Venezuela erneut aufgekocht werden. So hat Uribe genau jetzt veröffentlicht, dass Panzerabwehr-Waffen bei der FARC gefunden worden seien, die aus Schweden stammen sollen. Es handele sich um Raketenwerfer vom Typs AT-4, die offenbar nie benutzt wurden. Dabei, so behauptet die kolumbianische Zeitschrift "Semana" (Woche), sei bei der FARC nie Kriegsmaterial von so großer Zerstörungskraft aufgefunden worden.
Auch hier ist zudem erstaunlich, wie lange auf die Veröffentlichung der Meldung gewartet wurde. Die britische Militär-Publikation Jane's Defence Weekly enthüllte, dass die Raketenwerfer des Rüstungskonzerns Saab Bofors Dynamics sogar schon 2008 in eingenommenen Guerilla-Stellungen gefunden worden seien. Die Seriennummern hätten Aufschluss darüber gegeben, dass sie zu einer Lieferung gehörten, die Schweden an Venezuela geliefert hatte.
Unterstellt man, dass die FARC diese Waffen tatsächlich erhalten hat, stellt sich zunächst die Frage, warum die angeblich schwer angeschlagene Organisation sie nicht benutzte? Zu fragen ist aber auch, ob aus der Anwesenheit von Waffen bei der FARC, die einst an Venezuela geliefert wurden, eine offizielle Unterstützung der FARC durch die Regierung Venezuelas abgeleitet werden kann. Da die Armee die FARC vor allem aus Hubschraubern bekämpft, wären ohnehin Boden-Luft-Raketen eine viel sinnvollere Unterstützung. Tatsächlich sagte Uribe gerade: "Wir wissen aus Geheimdienstquellen, dass sie zurzeit Boden-Luft-Raketen zu kaufen versuchen."
Derlei Raketen wurden einst von der FMLN-Guerilla in El Salvador eingesetzt und waren entscheidend dafür, die Lufthoheit der Armee zu brechen. Und der Abschuss von deren Hubschraubern hat die Friedensgespräche, so merkwürdig das klingen mag, deutlich beschleunigt. Heute stellt die ehemalige Befreiungsfront in dem mittelamerikanischen Land den Präsidenten und der ist über demokratische Wahlen an die Macht gekommen und nicht durch die "Macht der Gewehrläufe" (Neuanfang für El Salvador).
Doch wo kamen die Raketen russischer Fertigung damals her? Aus dem sandinistischen Nicaragua! Doch daraus ließ sich eben keine direkte Militärhilfe Nicaraguas an die FMLN ableiten. Es waren Offiziere der sandinistischen Armee, welche die Raketen in den Depots geklaut hatten und sie als solidarische Hilfe an die FMLN übergaben. Sie wurden dafür von den Sandinisten inhaftiert, vor Gericht gestellt und bestraft, was zu großem Unmut in der Bevölkerung führte. Aus heutiger Sicht könnte man ihnen einen Friedenspreis anheften, weil sie entscheidend zur Befriedung eines blutigen Krieges beigetragen haben.
So lässt sich eben nicht so einfach ableiten, dass die schwedischen Waffen mit Wissen von Chávez bei der FARC gelandet sind. Er wäre auch mit Dummheit geschlagen, wenn er sich solche Geschäfte einfädeln ließe, weshalb man auf reale Beweise von Uribe warten sollte, bevor man vollmundig losbrüllt. Doch darf man gespannt sein, ob Uribe diesmal die Bringschuld erfüllt oder es erneut bei der Taktik belässt, dass auch die absurdesten Anschuldigungen letztlich einen Bodensatz bilden. Schaut man sich selbst Berichte in linksliberalen Medien wie der Frankfurter Rundschau oder der taz an, geht sein Strategie wohl auf. Dabei ist die Logik von Uribe alles andere als bestechend. Er unterstellte Correa zum Beispiel eine offizielle Unterstützung der FARC, weil sich im Urwald Ecuadors ein FARC-Lager befand. Doch nach dieser Logik wäre seine Unterstützung ungleich größer, schließlich gibt es in Kolumbien zahllose Lager der Guerilla.
In Venezuela und Ecuador fürchtet man, dass Uribe den Worten neue kriegerische Taten folgen lassen könnte
Correa warnte eindringlich vor neuen militärischen Abenteuern auf dem Boden Ecuadors, wie der Bombardierung im März 2008: "Wenn uns Kolumbien erneut angreift, wird es eine militärische Antwort geben." Eine neue Verletzung der Hoheitsrechte werde er nicht zulassen, sagte Correa. Er warnte davor, dass ausgerechnet der Ex-Verteidigungsminister Juan Manuel Santos Präsidentschaftskandidat für Uribes Partei werden könnte. Denn ausgerechnet Santos musste, als Geste zur Entspannung gegenüber Ecuador, Venezuela und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wegen dem Angriff auf Ecuador zurücktreten. Santos sei "eine Gefahr für die Region" und er fahre mit seiner "Arroganz und mit seinen Beleidigungen gegen Ecuador, seine Regierung und das Volk fort", sagte Correa.
Inzwischen hat auch Chávez auf die neuen Beschuldigungen reagiert und seinen Botschafter aus Kolumbien abgezogen: "Ich habe angeordnet, dass unser Botschafter aus Bogota abgezogen wird", sagte der venezolanische Präsident Hugo Chávez im Fernsehen. "Wir werden die Beziehungen zu Kolumbien einfrieren." Auch die Handelsbeziehungen würden verringert werden und die Enteignung kolumbianischen Eigentums in Venezuela stehe zur Disposition. "Es ist vollkommen falsch, dass wir irgendeiner Guerilla-Gruppe, irgendeiner bewaffneten Bewegung Waffen geben", wies er die Vorwürfe zurück. Kolumbien habe keine Beweise, sagte er und sprach von einer "neuen Aggression" des Nachbarlandes. Bei der "nächsten Aggression" würden jegliche Beziehungen zu Kolumbien abgebrochen.
Doch Bogotá hat nun nachgelegt. So wurden der New York Times "von einem Geheimdienst" Daten zugespielt, die beweisen sollen, dass Venezuela die FARC auch weiterhin unterstütze. FARC-Führern sei dabei geholfen worden, Waffengeschäfte in Venezuela abzuwickeln. Sogar Pässe hätten sie erhalten, um sich in Venezuela bewegen zu können, berichtet die Zeitung mit Bezug auf das Geheimdienstmaterial. Es gebe eine enge Zusammenarbeit zwischen Guerilla-Mitgliedern und hochrangigen Offizieren und Geheimdienst-Mitarbeitern in Venezuelas Regierung, wird behauptet. Und erneut wird auf "Beweismaterial" aus dem Füllhorn der Reyes-Festplatte zurückgegriffen.
Angeblich zeigten aber auch neuere Kommunikationsbelege, die verschiedene FARC-Mitglieder untereinander ausgetauscht hätten, dass die Unterstützung anhalte. Ein Rebellenkommandeur, Iván Márquez, beschreibe dann auch einen Plan, wonach die FARC in Venezuela nun plötzlich auch Boden-Luft-Raketen zu kaufen versuche. Überdies versuchten sie angeblich, an Gewehre für Scharfschützen und Funkgeräte zu kommen. Der Leiter des Polizei-Nachrichtendienstes, General Henry Rangel Silva und der frühere venezolanische Innenminister Ramón Rodríguez Chacín werden direkt beschuldigt, sie hätten Waffendeals organisatorisch und logistisch unterstützt.