Kritik einer Politik am Rande des Abgrunds: Ukraine-Frieden durch Diplomatie ist möglich
- Kritik einer Politik am Rande des Abgrunds: Ukraine-Frieden durch Diplomatie ist möglich
- Der Ukraine-Krieg und seine Vorgeschichte
- Warum auch die USA für den Krieg verantwortlich sind
- Aber was sind dann die Alternativen?
- Auf einer Seite lesen
Analyse der Vorgeschichte und der Ursachen des Ukraine-Krieges. Und die Warnung eines US-Experten, wohin der Krieg führen kann. Ein Essay. (Teil 1)
Am 1. September 1939 überfiel Nazi-Deutschland Polen. In Erinnerung an diesen verhängnisvollen Schritt, der den Zweiten Weltkrieg einläutete, wurde der 1. September in Deutschland zum Weltfriedenstag bzw. Antikriegstag, zunächst in der damaligen DDR und wenig später auch in der alten Bundesrepublik.
Der vorliegende Artikel in zwei Teilen ist eine gekürzte Fassung eines Vortrags, der von einem Zitat aus einem Artikel der US-Zeitschrift Life aus dem Jahre 1952 ausging, in dem die ersten von den US-Behörden unzensierten Bilder der Opfer von Hiroshima und Nagasaki gezeigt wurden1:
Die Liebe zum Frieden basiert auf dem Wissen über den Terror des Krieges.
"Life" vom 29.09.1952
Vorrede
Als Arzt und langjähriges Mitglied der IPPNW, das ist die Abkürzung für die berufsbezogene Friedensorganisation "Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung", die 1985 den Friedensnobelpreis erhalten hat, bin ich entsetzt und besorgt über den schrecklichen Krieg in der Ukraine.
Lesen Sie hier Teil 2:
Ukraine-Krieg: Warum wir einen "Aufstand für den Frieden" brauchen
Ein Grund dafür ist, dass die weitere Eskalation dieses Krieges auch unser aller Leben hier in Deutschland bedroht. Der Krieg könnte sich zu einem 3. Weltkrieg ausweiten, bei dem auch Atomwaffen zum Einsatz kommen. Seit Beginn des Ukraine-Krieges besteht diese Gefahr wieder ganz real, wird von Tag zu Tag größer und das sollte uns alle zutiefst beunruhigen.
Ich bin mitten im Zweiten Weltkrieg geboren, bin seit vielen Jahrzehnten ein interessierter Beobachter der internationalen Politik und noch publizistisch tätig.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich im Laufe dieser Jahre gewonnen habe, ist die, dass es in der internationalen Politik nicht primär um hehre Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte geht, sondern vor allem um Interessen, etwa Wirtschafts-, Macht- und Sicherheitsinteressen der Staaten und/oder Finanzinteressen der großen Konzerne und Kapitalgeber.
Das hat schon Egon Bahr, der 2015 verstorbene Architekt der Entspannungspolitik von Willy Brandt, einmal so ausgedrückt:
Wenn ein Politiker anfängt, über Werte zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen.
Egon Bahr
Daraus folgt für mich: Es gibt in der internationalen Politik nicht nur "Schwarz" oder "Weiß", nicht nur "die Guten" und "die Bösen", wobei wir ja immer die Guten und die Anderen (im Augenblick Russland und ganz besonders dessen Präsident Wladimir Putin) die Bösen sind, sondern es sind von mir in dieser Hinsicht bestenfalls Unterschiede in Abstufungen von Grautönen auszumachen.
Die Moralapostel in der Politik sind mir daher höchst verdächtig, dass sie ganz andere Ziele verfolgen, etwa unter der Fahne der Menschenrechte Kriege zu führen, um ihre Interessen rücksichtslos durchzusetzen.
Ein bekanntes Beispiel dafür war der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der USA und der Nato gegen Serbien 1999, an dem auch Deutschland führend beteiligt war. Damals ging es angeblich darum, mit den mehr als 2 Monate andauernden Bombenangriffen ein "neues Auschwitz" zu verhindern.
Für mich ist jedoch der Frieden das wichtigste Menschenrecht (abzuleiten aus Art. 3 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Uno 1948. In der Kurzfassung heißt der Art. 3: "Jeder Mensch hat das Menschenrecht auf Leben, Freiheit und Sicherheit"). Deshalb möchte ich an dieser Stelle an Willy Brandt erinnern, der einmal sagte:
Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.
Willy Brandt
Weiterhin: Ich bin ein Mediziner, der mehr als 50 Jahre kranke Menschen behandelt hat und darüber hinaus im medizinischen Bereich wissenschaftlich tätig war. Dabei habe ich mich um wissenschaftliches Denken bemüht, das sich bekanntermaßen auf Fakten stützt und nicht auf Spekulationen und Wunschdenken.
Daraus folgt aber auch: Ich bin kein Historiker, kein Politikwissenschaftler, kein Atomwissenschaftler und auch kein Völkerrechtler. Deswegen stütze ich meine Ansichten gerne auf die Aussagen einer Reihe von wissenschaftlichen Experten aus diesen Fachgebieten, – soweit ich ihre Expertisen für vernünftig, plausibel und nachvollziehbar halte. Ich weiß natürlich auch, dass ich dabei nicht immer den Stein der Weisen gefunden habe.
Hervorheben möchte ich aus dieser Reihe den US-amerikanischen Politikwissenschaftler John Mearsheimer, der der prominenteste Vertreter der realistischen Schule der Geschichtswissenschaft in den USA ist und an der Universität Chicago lehrt, und Jeffrey Sachs, den US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des Zentrums für Sustainable Development (d.h. für nachhaltige Entwicklung) an der Columbia Universität in New York.
Beide Wissenschaftler gehören für mich derzeit mit ihren Analysen zu den wenigen Stimmen der Vernunft, sodass ich mich bei meinen Einschätzungen in meinen Artikeln gerne auf sie beziehe.
Anmerken möchte ich noch, dass Mearsheimer, Sachs und die anderen von mir zitierten Wissenschaftler keine besonderen Freunde Russlands oder Putins sind.
Sie sind aber im Gegensatz zu den derzeit in den USA herrschenden kriegstreiberischen neokonservativen "Falken" in der Politik und in den Medien um einen vernünftigen Interessenausgleich mit Russland bemüht.