Merz' geplante Kiew-Reise und die "Zeitenwende" 2.0 der Union
Geht es den Unionsparteien um parteipolitische Spielchen, um hehre Ziele oder um noch mehr Aufrüstung?
Angeblich geht es CDU-Chef Friedrich Merz bei seiner geplanten Ukraine-Reise überhaupt nicht um Parteipolitik. Sein Stabschef Jacob Schrot schrieb am Samstag auf Twitter, die Reise habe drei "Botschaften": Merz wolle unterstreichen, dass Deutschland an der Seite der Ukraine stehe. Er wolle "zuhören und die konkreten Unterstützungsbitten der ukrainischen Gesprächspartner nach Deutschland tragen".
Als dritte Botschaft führte Schrot an, dass Deutschlands Unterstützung für die Ukraine "keine Frage von Regierung versus Opposition" sei. Er verwies auf den gemeinsamen Bundestagsbeschluss von Ampel-Parteien und Unionsfraktion zur Lieferung schwerer Waffen. "Diese gemeinsame staatspolitische Verantwortung von Opposition und Regierung" wolle Merz mit seinem Besuch zum Ausdruck bringen.
Der CDU-Chef selbst bekräftigte an diesem Montag via Twitter seine Reisepläne, ohne einen Starttermin zu nennen. Nach Parteiangaben will er aber alle für heute geplanten Parteitermine wahrnehmen. Gegen 16 Uhr ist in Köln eine Pressekonferenz mit CSU-Chef Markus Söder nach einer gemeinsamen Sitzung der Parteipräsidien geplant, für 18 Uhr ein Wahlkampfauftritt von Merz und Söder im nordrhein-westfälischen Olpen.
Ohne BKA-Geleit
Laut einem Bericht des Tagesspiegels soll die Reise in der Nacht zum Dienstag stattfinden. In Kiew werde Merz womöglich den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen. Das Bundeskriminalamt (BKA) sei "von meinem Büro über eine mögliche Reise nach Kiew informiert worden", twitterte Merz. Eine Begleitung durch das BKA "habe ich nicht angefordert und ist vom BKA auch nicht angeboten worden", fügte er hinzu.
Selenskyj hatte im April einen Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Kiew abgelehnt und wollte stattdessen Bundeskanzler Olaf Scholz empfangen.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), nimmt Merz jedenfalls nicht ab, dass bei seiner Reise nicht auch um innenpolitische Zwecke gehe. Dessen Rolle als Oppositionsführer sei vermutlich "mit eine Motivation" für die Reise, sagte Strack-Zimmermann am Montag dem Sender Welt. Sie selbst glaube, es sei "sehr wichtig, in dieser Phase des Krieges jetzt keine parteipolitischen Spielchen zu machen".
Die FDP-Politikerin zeigte Verständnis dafür, dass Bundeskanzler Scholz bisher nicht in die Ukraine gereist sei. Es sei nach der Ausladung von Steinmeier durch Kiew aus ihrer Sicht "auch höchst problematisch, dann anschließend zu fahren, wenn der Präsident nicht erwünscht ist".
Es könne natürlich jeder selbst entscheiden, ob er in die Ukraine reisen wolle oder nicht, so Strack-Zimmermann. Wichtig sei aber, dann auch belastbare Zusagen im Gepäck zu haben – und das sei bei einem Oppositionspolitiker eher nicht der Fall. Strack-Zimmermann gilt innerhalb der Ampel-Koalition selbst als treibende Kraft in Sachen Aufrüstung und Waffenhilfe für die Ukraine.
Zeitenwende mit "Dauerauftrag"
Die Frage, ob es Merz und den Unionsparteien nicht doch um Parteipolitik geht, drängt sich umso mehr auf, wenn die Unionsspitzen jetzt eine "Zeitenwende" in der deutschen Sicherheitspolitik fordern – noch eine.
Scholz hatte in seiner Regierungserklärung zur russischen Invasion in der Ukraine bereits am 27. Februar eine "Zeitenwende" verkündet – verbunden mit der Aussage, er wolle unter anderem ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitstellen.
Außerdem versprach Scholz, die Verteidigungsausgaben bis 2024 "auf zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung zu steigern", wie es den Aufrüstungszielen der Nato entspricht. Insgesamt ließ der Kanzler keinen Zweifel daran, dass sich die Prioritäten dank seiner "Zeitenwende" stark in den militärischen Bereich verlagern würden.
All das reicht aber nun den Unionsparteien noch nicht. "Zeitenwende bedeutet keine Einmalzahlung an die Bundeswehr, sondern ein Dauerauftrag an unsere Verteidigungsfähigkeit", erklärte der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, vergangene Woche.