Moskau entdeckt Sibirien neu

Wladiwostok von See aus gesehen.

Wladiwostok von See aus gesehen. Foto: Eva Mont, Shutterstock.com.

Geht es nach den Vorstellungen Moskaus, wird der Sibirien zum ökonomischem Vorzeigeprojekt ausgebaut. Spielt China dabei eine Rolle?

Sibirien wird in Moskau auch der ferne Osten genannt und die riesige Region soll zum "wichtigsten Faktor für die Stärkung der Position Russlands in der Welt" werden, zum "Flaggschiff" des Landes in der neuen globalen wirtschaftlichen Realität. Das betonte der russische Präsident Wladimir Putin auf dem Östlichen Wirtschaftsforum (Eastern Economic Forum, EEF).

Mehr als 6.000 Menschen aus 76 Ländern und Regionen nahmen dieses Jahr an dem Treffen teil. Die Berichterstattung in Deutschland ist zwar in gewissem Maße auf die politischen Aspekte der Reden Putins zu diesem Anlass eingegangen.

Dass das Treffen aber auch erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hatte, blieb unerwähnt oder wurde heruntergespielt.

"Anerkannte Plattform"

Dagegen beschrieb der russische Präsident das EEF als "anerkannte Plattform für die Herstellung enger Geschäftskontakte und die Erörterung strategischer Fragen der Entwicklung des Fernen Ostens Russlands und der gesamten asiatisch-pazifischen Region".

Auf den letzten drei Veranstaltungen seien Verträge im Wert von umgerechnet mehr als 115 Mrd. US-Dollar abgeschlossen worden, davon mehr als die Hälfte (61 Mrd.) in diesem Jahr.

Das Themenspektrum in Wladiwostok umfasst die Entwicklung von Handel, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, technischer, sozialer und kultureller Zusammenarbeit sowie die Planung und Durchführung von Investitionsprojekten in den Bereichen Telekommunikation und digitale Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft, Wohnungsbau und öffentliche Infrastrukturen.

Moskau erwartet, dass die wichtigsten Geschäftsbeziehungen, Handelswege und die gesamte Entwicklungsrichtung zunehmend nach Osten und in den Globalen Süden verlagert werden.

Entwicklung zunehmend nach Osten und Süden verlagert

Die Erschließung Sibiriens biete direkten Zugang zu den wachsenden und vielversprechenden Märkten in Fernost und Südostasien und ermögliche es Russland, Sanktionen westlicher Länder leichter zu umgehen. Allein das Güterverkehrsaufkommen auf dem nördlichen Seeweg habe sich seit den Sowjetzeiten verfünffacht und überschreite mittlerweile 36 Millionen Tonnen pro Jahr.

Zudem verfüge der russische ferne Osten über das Potenzial zur Erkundung und Förderung von Titan, Lithium, Niob, Seltenen Erden und anderen Ressourcen. Sibirien könne einen wesentlichen Beitrag zur "Ressourcensouveränität" Russlands leisten, und zur sicheren Versorgung des Landes mit erschwinglichen Brenn- und Rohstoffen.

Dabei setzt Moskau auf eine integrierte Entwicklung, in der Industrieanlagen möglichst im Verein mit sozialer Infrastruktur errichtet werden sollten. Alles andere würde in einer modernen Wirtschaft nicht funktionieren. Und es braucht Anreize, um die Menschen zur Ansiedlung in den teils arktischen Landschaften zu bewegen.

Wohneigentum ermöglichen

Deshalb wurden die Behörden angewiesen, die Hypothekenbeihilfe für kinderreiche Familien in allen fernöstlichen Regionen mit niedrigen Geburtenraten auf eine Million Rubel (11.000 US-Dollar) zu erhöhen. Doch auch damit bleibt Wohnraum etwa in der 600.000-Einwohner-Stadt Wladiwostok mit 200.000 Rubel pro Quadratmeter für Durchschnittsverdiener einigermaßen unerschwinglich.

Schwerer als diese Beihilfe wiegt jedoch die Tatsache, dass der Zinssatz für Hypotheken im russischen fernen Osten und in der Arktis nach dem Willen der Regierung aktuell auf zwei Prozent pro Jahr eingefroren wurde.

Damit kann ein Häuslebauer seine Schulden schlicht weginflationieren lassen, denn die Inflationsrate in Russland lag 2024 immer über sieben und im Juli und August über neun Prozent. Wer die Abschreibungen schultern muss, wurde nicht bekannt.

Nordostpassage, Transsib, Atomkraftwerke, Sonderverwaltungszonen

Moskau sieht sich gleichzeitig in der Lage, großangelegte Verkehrsinfrastrukturprojekte zu stemmen. Bereits in den letzten zehn Jahren hat Moskau mehr als 2.000 Kilometer Eisenbahnschienen verlegt und mehr als 5.000 Kilometer der Transsibirischen Eisenbahn und der Baikal-Amur-Magistrale erneuert.

Als vorrangig gilt weiterhin die Baikal-Amur-Magistrale, die vollständig zweigleisig ausgebaut und zudem vollständig elektrifiziert werden soll.

Für die nächsten acht Jahre sind über 3.100 Kilometer Gleise geplant, die Moskau helfen werden, die internationale Nachfrage nach Ressourcen besser zu befriedigen. Auch der Bau von Atomkraftwerken in Sibirien wird von der russischen Regierung avisiert.

Zusammenarbeit mit China

Das größte Einzelprojekt stellt jedoch sicherlich der Ausbau der Sonderverwaltungszone auf der Insel Russky vor Wladiwostok dar. Investitionen von mehr als 60 Mrd. US-Dollar seien aus dem Ausland in diese Sonderverwaltungsregion zurückgeflossen. Ursache dafür dürften ebenfalls maßgeblich die Sanktionen des Westens sein.

2025 soll dann ein chinesisch-russisches Projekt zur Entwicklung der Amur-Insel Bolschoj Ussurijskij in der Region Chabarowsk folgen. Der Amur markiert auf 1600 Kilometern Länge die Grenze zwischen den ungleichen, aber verbündeten Nachbarn. Da scheint es nur logisch, wenn Moskau und Peking ihre Zusammenarbeit auch in gemeinsame Infrastrukturprojekte einfließen lassen.

Letztes Jahr eröffneten Russland und China die erste Eisenbahnbrücke über den Amur, die die chinesische Provinz Heilongjiang mit Russland verbindet. Demnächst soll ein weiterer Brückenschlag folgen, der das ressourcenreiche Jakutien an China koppelt.

Der Schienenverkehr zwischen den beiden Ländern ist 2023 auf 161 Millionen Tonnen gestiegen, das sind 36 Prozent mehr als 2022. Und in den ersten fünf Monaten dieses Jahres wuchs er um weitere 20 Prozent.

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