Nach Karlsruher Urteil: Es wahlkämpfet sehr
Alle Bundestagsparteien außer der AfD waren plötzlich schon immer für effektiven Klimaschutz. Keiner will ihn je gebremst haben
Die einzige Partei im Bundestag, die sich noch offen dazu bekennt, beim Klimaschutz beherzt auf die Bremse treten zu wollen, ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum deutschen Klimaschutzgesetz die AfD. Ausgerechnet sie hatte aber dazu bisher real noch gar keine Gelegenheit. Alle, die sie bereits mit Regierungsverantwortung bremsen oder bummeln konnten, wollen es jetzt nicht mehr gewesen sein. Schließlich wird in weniger als einem halben Jahr der neue Bundestag gewählt.
Die Grünen sind in der komfortablen Situation, auf Bundesebene seit 2005 auf der Oppositionsbank zu sitzen - und nun mit einer Kanzlerkandidatin ins Rennen zu gehen, die noch keine wichtige Rolle in ihrer Partei gespielt hat, als die Grünen sieben Jahre lang als Juniorpartner der SPD im Bund mitregierten. Denn von Umweltverbänden war damals die Klimapolitik von "Rot-Grün" durchaus kritisiert worden. "Während man die großen Verschmutzer laufen lässt, wird den kleinen Leuten beim Klimaschutz die Zeche aufgebrummt", hatte der damalige WWF-Geschäftsführer im Jahr 2004 erklärt. In der Kritik stand seinerzeit vor allem der Emissionshandel.
Aktuelle Stunde beantragt
Am Donnerstag beantragte die Bundestagsfraktion der Grünen eine Aktuelle Stunde unter dem Motto "Bundesverfassungsgerichtsurteil umsetzen - Wirksames Klimaschutzgesetz schaffen, Rechte zukünftiger Generationen erhalten". Union und SPD hätten mit ihrer Mehrheit im Bundestag beim Klimaschutz die verfassungsrechtlichen Maßstäbe verfehlt, ihre "Politik des Aussitzens und Abwartens" bedrohe die Freiheitsrechte künftiger Generationen, erklärte die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann. Die "nächste Bundesregierung" müsse Maßnahmen auf den Weg bringen, damit Deutschland auf den "1,5-Grad-Pfad" im Sinne des Pariser Klimaschutzziels komme, so Haßelmann. Nach aktuellen Umfragen könnte das eine Regierung aus Grünen und Unionsparteien sein.
Das Karlsruher Gericht hatte Nachbesserungen im Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 angemahnt, weil sonst das Zeitfenster für die Senkung der CO2-Emissionen zu eng wäre, um "freiheitsschonend" die Klimaschutzziele bis 2050 einzuhalten. Nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens seien zur Zeit noch mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit von drastischen Einschränkungen bedroht, wenn für die Umstellung nach 2030 zu wenig Zeit bleibe, argumentierte das Gericht.
Der CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet - NRW-Ministerpräsident mit dem Spitznamen "Kohle-König" - forderte nach Bekanntwerden des Urteils am Donnerstag ebenfalls mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz. "Ambition, Aufbruch und Anstrengung - das muss uns beim Klimaschutz leiten", sagte Laschet nach Medienberichten der Deutschen Presse-Agentur.
Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock nannte das Gerichtsurteil eine "historische Entscheidung", die "unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel" schütze. Das Klimaschutzgesetz müsse jetzt überarbeitet werden.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach von einem "bedeutenden Urteil" und betonte am Abend via Twitter, er habe "schon im letzten September" genau das vorgeschlagen, was das Gericht jetzt beschlossen habe: eine "jahresscharfe Aufteilung der Reduktionsmengen bis 2050" Das hätten damals aber nicht mal seine "grünen Freunde" unterstützt. Das laut Gerichtsurteil unzureichende Klimaschutzgesetz war allerdings im Oktober 2019 im Kabinett beschlossen worden - Altmaiers Vorschlag kam dafür fast ein Jahr zu spät. Der Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz warf Altmaier im Twitter-Disput vor, dieser habe zuvor "genau das verhindert, was nun vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde".
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) begrüßte das Urteil und kündigte an, noch im Sommer Eckpunkte für ein weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz vorzulegen. Das Gericht bestätige aber "den Mechanismus, den wir mit dem Klimaschutzgesetz eingeführt haben, und der jährlich sinkende Klimaziele für alle Sektoren vorsieht", so Schulze. Dass das Gesetz dabei in seiner bisherigen Fassung nicht konkreter wurde, ist laut Schulze nicht ihre Schuld: "Ich hätte gerne ein weiteres Zwischenziel für die 30er Jahre in das Gesetz aufgenommen, doch dafür gab es damals keine Mehrheit." Insofern sei es gut, dass das Gericht "ein solches Wegducken" für die Zukunft ausschließe.
CSU-Chef Markus Söder befand nach dem Urteil, die Unionsparteien müssten jetzt auf diesem Politikfeld "Schrittmacher" sein und dürften nicht anderen hinterherlaufen oder es anderen überlassen.
Auch die FDP will "mehr Verbindlichkeit"
Auch FDP-Chef Christian Lindner, dessen Partei von 2009 bis 2013 mit der Union im Bund regiert hat, war nun angeblich schon immer für effektiven Klimaschutz: "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist ein Anlass für einen klimapolitischen Neustart in Deutschland. Wir brauchen nach Auffassung der Karlsruher Richter mehr Verbindlichkeit bei den Reduktionszielen für Treibhausgase. Diese Haltung vertritt auch die FDP", sagte Lindner der Heilbronner Stimme. Zugleich müsse aber stärker auf "Ideenwettbewerb und einen Technologieschub" gesetzt werden.
Von den altbekannten Marktmechanismen hält Lorenz Gösta Beutin, klima- und energiepolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag, wenig: Das Urteil aus Karlsruhe sei "ein richtungsweisender Kracher für mehr Klimagerechtigkeit", erklärte er am Donnerstag. "Das Gericht macht der sträflichen Tippelschritt-Klimapolitik der Bundesregierung endlich Beine. Es braucht wie in der Corona-Krise eine Politik, die sich an die Wissenschaft hält statt an die Interessen der Autokonzerne und Energieriesen."
Von allen Bundestagsparteien waren bisher nur Die Linke und die AfD an keiner Bundesregierung beteiligt. Und die AfD setzte am Donnerstag als einzige Bundestagspartei auf eine Delegitimierung des Urteils: Es sei nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, gesetzgeberisch tätig zu sein, twitterte die Ko-Vorsitzende der AfD-Fraktion, Alice Weidel. "Die Bundesregierung zu zwingen, Klimaziele früher zu erreichen, ist aber genau das", so Weidel. Das Gerichte habe Verfassung und Grundrechte zu schützen, "nicht ideologische Klimaziele".
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