Nato-Aggression und Russlands Reaktion

Seite 3: Russische Vorschläge zur Deeskalation

Russland wiederum reagiert auf alle diese Entwicklungen auf der einen Seite indem es in Form des stellvertretenden Außenministers Sergej Rjabkow betont, man habe "keine Intentionen, die Ukraine anzugreifen", was außerhalb einer ukrainischen Offensive wohl auch zutreffen dürfte.

Auf der anderen Seite warnt Russland aber auch scharf, es werde nicht ohne Folgen bleiben, sollten seine Sicherheitsbedenken vom Westen nicht adressiert werden.

Diese Bedenken wurden in Form russischer Vorschläge bzw. Forderungen Mitte Dezember 2021 formuliert und u.a. in einer Erklärung des russischen Außenministeriums zusammengefasst. Darin ist zu lesen:

Es wurde der Weg gewählt, die Ukraine in die Nato aufzunehmen, was mit der Stationierung von Raketen mit minimaler Flugzeit nach Zentralrussland und anderen destabilisierenden Waffen verbunden ist. […] Anstatt ihre ukrainischen Schützlinge zu zügeln, treiben die Nato-Staaten Kiew zu aggressiven Schritten an. Die zunehmende Zahl ungeplanter Übungen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten im Schwarzen Meer kann nicht anders interpretiert werden. […] In diesem Zusammenhang bestehen wir, wie Präsident Wladimir Putin betonte, darauf, dass ernsthafte langfristige rechtliche Garantien gegeben werden, die ein weiteres Vordringen der Nato nach Osten und die Stationierung von Waffen an den westlichen Grenzen Russlands, die eine Bedrohung für Russland darstellen, ausschließen würden. […] Wir fordern Washington auf, sich dem einseitigen Moratorium Russlands für die Stationierung von Boden-Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa anzuschließen.

Russisches Außenministerium

Gleichzeitig schlug Russland einen Sicherheitsvertrag vor, mit dem diese Sicherheitsbedenken rechtlich bindend adressiert würden. Wie zu erwarten war, wurden diese zumindest nachvollziehbaren Forderungen westlicherseits fast unisono barsch zurückgewiesen.

Immerhin zeigten sich beide Seiten nach dem Treffen der Außenminister Antony Blinken und Sergej Lawrow am 21. Januar 2022 zu weiteren Gesprächen bereit und man darf gespannt auf die schriftlichen Ideen zur Beilegung der Krise sein, die Washington für diese Woche angekündigt hat. Allzu viel sollte man sich davon allerdingt nicht versprechen, schließlich wird aktuell parallel dazu auch intensiv über weitere Aufrüstungsmaßnahmen an den russischen Grenzen diskutiert.

NATO: Aufmarsch an der (Süd)Ostflanke?

Einige wenige bisherige VerfechterInnen eines harten Nato-Kurses gegenüber Russland sind wohl inzwischen selber erschreckt über die Brisanz, die die Lage mittlerweile angenommen hat. So initiierten 27 teils recht prominente SicherheitsexpertInnen, von denen eine ganze Reihe nicht im Verdacht steht, besonders russlandfreundlich zu sein, Anfang Dezember 2021 den Aufruf "Raus aus der Eskalationsspirale! Für einen Neuanfang im Verhältnis zu Russland":

Ziel muss es sein, Russland und auch die Nato wieder aus einem konfrontativen Kurs herauszuführen. […] Die Nato sollte aktiv auf Russland zugehen und auf eine Deeskalation der Situation hinwirken.

Aufruf: "Raus aus der Eskalationsspirale"

Mehrheitlich stieß dieser Deeskalationsversuch aber leider auf taube Ohren. Im Gegenteil, wie bereits angedeutet, wird derzeit eifrig über nochmalige Truppenstationierungen diskutiert. Und das, obwohl bereits die 2014 beschlossene "Enhanced Forward Presence", die Stationierung von vier Nato-Bataillonen à je 1.000 Soldat:innen in den drei baltischen Staaten und Polen, einen Bruch der NATO-Russland-Akte aus dem Jahr 1997 darstellte.

Diese völkerrechtliche Absichtserklärung wurde damals vereinbart, um russische Bedenken gegenüber der sich anbahnenden ersten Nato-Osterweiterung abzumildern, wozu insbesondere folgende Stelle dienen sollte:

Die Nato wiederholt, dass das Bündnis in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld seine kollektive Verteidigung und andere Aufgaben eher dadurch wahrnimmt, dass es die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass es zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert.

Nato-Russland-Akte

Im Prinzip war die Nato-Russland-Akte mit den Nato-Bataillonen in Osteuropa bereits 2014 hinfällig, nun wird aber intensiv darüber diskutiert, diese Präsenz noch einmal auszubauen, wie Ende letzten Jahres gemeldet wurde:

Nach Spiegel-Informationen schlug US-General Tod D. Wolters, der Supreme Allied Commander für Europa (kurz: Saceur), kürzlich in einer geheimen Videoschalte mit den Militärchefs der Partnernationen vor, ähnlich wie im Baltikum und Polen auch in Rumänen und Bulgarien die Nato-Präsenz über die Mission "Enhanced Forward Presence" (EFP) zu erweitern. Der Vorschlag des Generals ist recht konkret. Demnach solle die Nato wie im Baltikum auch in Bulgarien und Rumänien eigene EFP-Kontingente von gut 1500 Personen aufbauen.

Spiegel

Darüber hinaus scheint auch über eine Aufstockung der bisherigen Enhanced Forward Presence nachgedacht zu werden. Zumindest gab die estnische Premierministerin Kaja Kallas Mitte Januar 2022 an, man befinde sich diesbezüglich in Gesprächen mit der Nato.

Reuters zitierte in diesem Zusammenhang einen nichtgenannten Nato-Diplomaten, demzufolge die Frage einer Aufstockung der Truppenpräsenz beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister:innen Mitte Februar 2022 auf die Tagesordnung kommen könnte.

Zumindest in der britischen Regierung scheinen derlei Überlegungen bereits weit fortgeschritten zu sein, so wurde am 21. Januar 2022 gemeldet:

Die britische Regierung erwägt offenbar, Hunderte weitere Soldaten in die baltischen Staaten und nach Polen zu entsenden. Damit solle die Abschreckung gegenüber Russland erhöht werden, berichtete die Times unter Berufung auf eine Quelle im Verteidigungsministerium in London.

Spiegel

Die Nato und Russland sind endgültig an einem Punkt angelangt, an dem es so nicht mehr weitergehen kann, das gegenseitige Hochschaukeln ist brandgefährlich und muss endlich ein Ende haben.

Eine wichtige Voraussetzung hierfür wäre aber ein Eingeständnis der Nato-Staaten, dass sie die Hauptschuld an der brisanten Lage tragen oder dass sie wenigstens einsehen, dass es nachvollziehbare Gründe gibt, weshalb sich Russland bedroht fühlt. Die Nato muss endlich ernsthafte Vorschläge unterbreiten, wie für beide Seiten akzeptable Lösungen aussehen könnten, anstatt immer weiter auf ein militärisches Säbelrasseln zu setzen, das augenscheinlich nirgendwohin führt, jedenfalls nicht aus der aktuellen Krise.