Neue spanische Justizposse: Gericht rudert wegen Banken-Urteil zurück

Es hatte nur wenige Stunden gedauert, Bankaktien waren abgestürzt, bis der Oberste Gerichtshof sein revidiertes Urteil zum Verbraucherschutz sofort wieder in Frage stellte

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Da hatten sich ein paar Millionen gebeutelte Familien in Spanien gefreut, dass sie einige tausend Euro von ihrer Bank zurückbekommen konnten, weil Notargebühren missbräuchlich den Kreditnehmern aufgezwungen wurden, die Bank aber der alleinige Nutznießer der notariellen Beurkundung ist. Es handelt sich um eine Art Stempelsteuer, die zum Teil stark schwankt. Sind es im Baskenland nur 0,5% die auf die "Haftungssumme" abkassiert wird, steigt sie über die Regionen hinweg bis auf 1,5%. Und diese "Haftungssumme" liegt zum Teil deutlich über der Kreditsumme. Sie schwankt nach Berechnungen jeder Bank zwischen 125.000 und 200.000 Euro bei einem Kredit von 100.000 Euro. Schon das ist absurd.

Aber in Spanien geht alles noch eine Stufe absurder. Der Oberste Gerichtshof hatte endlich ein eigenes Urteil aus dem Frühjahr revidiert und nach tiefgreifender Prüfung am Donnerstag geurteilt, dass nur die Banken an der notariellen Beurkundung interessiert seien, damit sie ihren privilegierten Anspruch wie im Fall einer Zwangsräumung durchsetzbar machen können. Und deshalb müssten auch die Kreditinstitute für die Kosten aufkommen und nicht die Kreditnehmer.

Allein 2008 wurden über diese Stempelsteuer acht Milliarden Euro in die Steuerkassen gespült, die nach Angaben der Experten nicht beim Finanzamt von den Geschädigten geltend gemacht werden können, sondern gegenüber der Bank. So versteht man, warum Bankaktien massiv auf Talfahrt gingen. Da die allgemeine Rechtsauffassung ist, dass bis 2014 die Stempelsteuer nach dem Urteil zurückgefordert werden kann, sprechen wir über einen Betrag von etwa 20 und 30 Milliarden Euro. Und die könnten erneut Banken in Schieflage bringen, denn das Bankensystem ist nicht stabil. Zudem knabbern die Banken noch an den Kosten des vorherigen "Bankraubs". Der wird aber nicht so genannt, da es spanische Banken waren, die ihre Kunden beraubt haben, wie der Europäische Gerichtshof festgestellt hat (Spanische Banke haben Kunden um Milliarden betrogen).

Damit ist auch klar, dass weder die Banken noch die sozialdemokratische Regierung ein Interesse daran haben, dass es erneut zu Bankenrettungen kommt. Schließlich hatte sich Spanien teilweise unter den europäischen Rettungsschirm begeben müssen, um mit 41 Milliarden Euro aus dem ESM Banken retten zu können.

Nun hat man offenbar eine neue Bankenrettung der besonderen Art vor. So kam es am Freitag zu einer massiven Überraschung, die auch heftige Wellen in der Öffentlichkeit und der Justiz schlägt. Denn das Urteil, mit dem der Oberste Gerichtshof die bisherige Rechtsprechung revidiert hatte, wurde am Freitag sofort wieder in Frage gestellt. Denn plötzlich trat der Präsident der 3. Kammer Luis María Díez-Picazo vor. Er ordnete selbstherrlich an, dass aus diesem Urteil keine neue Rechtsauffassung entstanden sei. In einer Erklärung teilte er mit, dass das Urteil bei "ähnlichen Fällen" wirkungslos sei.

Begründet wurde das mit dem "enormen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen". Dabei hätte es massive soziale Auswirkungen, würden Millionen darbende Familien einige tausend Euro zurückerstattet bekommen, die sie für dringende Anschaffungen verwenden könnten. Doch das meint der Kammerpräsident nicht. Er meint verbrämt die Auswirkungen auf die Banken. Und das kennt man. Das war die Argumentation der Regierung, mit denen sie über den Obersten Gerichtshof schon einmal Verbraucherrechte aushebeln ließ.

Den Unfug von gefährlichen "makroökonomischen Auswirkungen" hatte dann sogar der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) übernommen. Doch anders als zumeist üblich, folgte der EuGH nicht der Einschätzung der spanischen Regierung und verurteilte die Banken wegen missbräuchlichen Klauseln zur Erstattung von zu viel gezahlten Zinsen. Der EuGH in Luxemburg kassierte die von der Regierung einst diktierte Rechtsauffassung.

Neue Art der Bakenrettung geplant

Der spanische Kammerpräsident hat nun die 31 Richter seiner Kammer zu einer Eilsitzung zusammengerufen. Sie sollen, obwohl sie mit der Materie gar nicht vertraut sind, schnell entscheiden. Man muss kein Wahrsager sein, um angesichts der Interessenslagen und bisheriger Urteile des Gerichtshofs vermuten zu können, dass mit größter Wahrscheinlichkeit die Stempelsteuer wieder den Kreditnehmern aufgedrückt wird, bis diese absurde Entscheidung dann mit größter Wahrscheinlichkeit erneut vom EuGH kassiert wird. Die Banken gewinnen damit ein paar Jahre, in denen sie sich umstellen können. Die Kunden verlieren aber faktisch ihr Geld, weil nur vier Jahre nachträglich zurückgefordert werden kann. Das ist eine neue Bankenrettung der spanischen Art, wie es einige versteckte Rettungsaktionen in den vergangenen Jahren gab.

Die Verwerfungen sind aber groß, der Glauben in die Justiz hat einen neuen schweren Schlag erhalten. Sogar die der sozialdemokratischen Regierung nahestehende Zeitung El País spricht vom "Chaos" und einem "Schlamassel", in den sich der Oberste Gerichtshof und selbst gestürzt habe. Von "außergewöhnlichen" Vorgängen, für die es keine Vorbilder gibt, wird gesprochen.

Die Richterorganisation "Richter für die Demokratie" hält es für "nicht tolerierbar", dass das Urteil der dritten Kammer, "das die Rechte der Bürger schützt, aus Bankinteressen" erneut überprüft wird. "Ein Gericht kann weder die Umsetzung von Urteilen stoppen noch Urteile verändern, die einmal ergangen sind", erklärt der Professor für Prozessrecht Jordi Nieva-Fenoll. "Ich sehe keine juristische Basis, mit der das gerechtfertigt werden könnte". Verbraucherschutzorganisationen sprechen von einem "Skandal" und einem "unverständlichen Fiasko" und der Facua-Sprecher Rubén Sánchez verweist darauf, dass die nun benutzte Argumentation längst in Luxemburg kassiert wurde.

Verfall der Rechtskultur

Wir erleben in diesem Vorgang, wie der Verfall der Rechtskultur - ganz besonders am Obersten Gerichtshof - massiv voranschreitet. Aber das gilt nicht allein für diesen Gerichtshof. Immer öfter sprechen hochrangige Juristen und Verfassungsrechtler von "grotesken" Entscheidungen. Es wird immer öfter von "Rechtsumgehung" oder "Rechtsbeugung" durch Richter gesprochen.

Die "merkwürdigen" Entscheidungen finden sich auch im Verfassungsgericht, wenn es sich sogar über ein Gutachten des Staatsrats hinwegsetzt, präventiv agiert und über fadenscheinige Anordnungen auf Druck der Regierung verhindert, dass in Katalonien ein Präsident gewählt werden kann. Wir haben auch die Erfindung von einer Rebellion durch den Regierungsrichter Pablo Llarena am Obersten Gerichtshof, die dem Richter international ohnehin niemand abnimmt.

Es ist klar, dass die spanische Justiz stark politisiert ist und auf Telepolis wurde dies immer wieder ausgeführt. Dass von einer wirklichen Gewaltenteilung nicht mehr die Rede sein kann, setzt sich in Europa immer breiter durch. Prof. Dr. Eckart Leiser, Dozent an der Freien Universität Berlin hat am Beispiel von Llarena in einem sehr lesenswerten Beitrag aufgezeigt, wie dieser Richter "ohne Rücksicht auf die geltenden Rechtsvorschriften" unter "Missachtung der Prinzipien" mit "Hilfe eines ad-hoc erfundenen Kriteriums, in "den 'Kriegsvorbereitungen' gegen die Führer des katalanischen" Unabhängigkeitsprozess auf diesen Posten gehoben wurde. Es ist klar, dass er vom Obersten Gerichthof aus im Sinne der Regierung vorgehen sollte, was er auch tut. Der politisierte Kontrollrat (CGPJ), der gegen "seine eigenen Regeln" verstößt, und der CGPJ-Präsident Carlos Lesmes spielen dabei eine besonders unrühmliche Rolle.

Lesmes war von der PP-Regierung auf den Posten gehoben worden, für die er einst gearbeitet hat. Er hätte deshalb nicht ernannt werden dürfen. Der Professor verweist deshalb auch auf die ständige Kritik des Europarats an der fehlenden Gewaltenteilung und der Tatsache, dass die Veränderungsforderungen des Europarats im CGPJ wirkungslos verhallen.

Im letzten Bericht der Group of States against Corruption (GRECO) des Europarates wird eine "fehlende Reglementierung objektiver Kriterien und Bedingungen zur Evaluierung für die Ernennung von Kandidaten für Spitzenpositionen in der Justiz" kritisiert. Deshalb würden "Richter und Staatsanwälte gemäß politischen Verbindungen" und nicht nach "juristischen Verdiensten und Qualifikationen" ernannt. Festgestellt wurde, dass "keine der elf Empfehlungen" aus dem vorhergehenden Bericht, "zufriedenstellend umgesetzt wurden" und fordert die Implementierung der neuen Empfehlungen bis zum Jahresende.

Da dies bisher nicht geschehen ist, wirkt sich das weiter auf alle Verfahren aus, die von besonderer Bedeutung für die Regierung, Banken oder den nationalistisch-spanischen Vorstellungen sind. So kann eine katalanische Regierung geschasst werden, obwohl das Verfassungsgericht zwei Beschwerden dagegen angenommen hat, aber keine Maßnahmen zum Rechtsschutz verhängt hat.

So war es möglich, ein Parlament aufzulösen, Zwangswahlen anzusetzen und die Regierungsmitglieder zu inhaftieren oder ins Exil zu treiben, wie auch Prof. Dr. Axel Schönberger ausführt. Politiker und Aktivisten sind, wie inzwischen gerichtsfest in Deutschland festgestellt, seit über einem Jahr inhaftiert, obwohl es die erfundene Rebellion nicht gab. Ihnen soll trotz allem der Protess gemacht werden.

Immer wieder werden in Spanien deshalb auch ganz offensichtlich verfassungs- und rechtswidrige Vorgänge von höchsten Gerichten abgesegnet, die dann erst von internationalen Gerichtshöfen nach vielen Jahren wieder kassiert werden. Das zeigt sich bei illegalen Klauseln in Hypothekenverträgen, bei Zwangsräumungen oder in den Fällen von Folter und Misshandlungen.