Noam Chomsky: Illegitime Herrschaft in den USA wird immer extremer

Seite 5: Wiederbelebung der hässlichsten Elemente der US-Geschichte

Das Gericht hat dazu beigetragen, die hässlichsten Elemente der Geschichte wiederzubeleben, die wir eigentlich überwinden sollten. Die wohl ungeheuerlichste Entscheidung des Roberts-Gerichts war die Demontage des Voting Rights Act mit lächerlichen Begründungen (Shelby), was dem Süden die Möglichkeit gab, Jim Crow (Rassengesetze, Telepolis) wieder einzuführen.

Mit Citizens United wurde die Buckley-Doktrin, wonach Geld Redefreiheit ist, ausgeweitet – was vor allem für die Superreichen praktisch ist –, so dass die gesellschaftlichen Schichten, die in der Lage sind, Wahlen zu kaufen, praktisch freie Hand haben.

Als Nächstes steht das Urteil Roe v. Wade auf dem Prüfstand. Die Auswirkungen würden extrem sein. Ein Recht, das von den meisten Frauen und vielen anderen als fest verankert betrachtet wird, soll ausgehebelt werden. Das ist historisch. Die Aushöhlung des Wahlrechts für Schwarze durch die Shelby-Entscheidung ist teilweise ein Präzedenzfall.

Der durchgesickerte Entwurf von Richter Alito basiert in erster Linie auf dem Grundsatz, dass Gerichtsentscheidungen dem Vorrang geben sollten, was "tief in der Geschichte und Tradition dieser Nation verwurzelt ist". Und er hat völlig Recht, dass die Rechte der Frauen diese Bedingung nicht erfüllen. Die Gründer des Staates übernahmen das britische Gewohnheitsrecht, demzufolge eine Frau Eigentum ist, das ihrem Vater gehört und auf den Ehemann übergeht.

Ein Argument für die Verweigerung des Wahlrechts für Frauen war schon früh, dass diese Regelung gegenüber unverheirateten Männern ungerecht wäre, da ein verheirateter Mann zwei Stimmen hätte, seine eigene und die seines "Eigentums". (Die berüchtigte Drei-Fünftel-Menschen-Regelung gewährte dieses Recht den Sklavenhaltern.) Erst 1975 sprach der Oberste Gerichtshof den Frauen die vollen Persönlichkeitsrechte zu und gewährte ihnen das Recht, als "Gleichgestellte" an Bundesgerichten teilzunehmen.

Diese ultrareaktionäre richterliche Lehre ist, wie andere auch, recht flexibel. Ein Beispiel dafür ist Antonin Scalias Entscheidung in der Rechtssache Heller, mit der Präzedenzfälle, die über ein Jahrhundert galten, einfach umgestoßen wurden. Nun führte man den persönlichen Waffenbesitz als heiliges Gesetz ein.

In seiner Stellungnahme gelang es Scalia, all die reiche "Geschichte und Tradition" zu ignorieren, die sich hinter dem Dekret verbirgt, dass "eine gut regulierte Miliz, die für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden darf."

Die Geschichte und die Tradition sind kaum ein Geheimnis, sie reichen von den Gründern bis zum 19. Jahrhundert, obwohl sie natürlich keine Bedeutung für die amerikanische Geschichte haben: (1) die Briten kommen; (2) Milizen werden benötigt, um die indigenen Nationen anzugreifen, zu vertreiben und auszurotten, sobald die britische Beschränkung der Expansion aufgehoben war, was wohl der Hauptgrund für die Revolution war – obwohl sie später durch eine effizientere Tötungsmaschine, die US-Kavallerie, ersetzt wurde

(3) Sklaven mussten gewaltsam unter Kontrolle gebracht werden, eine Bedrohung, die durch Sklavenaufstände in der Karibik und im Süden immer ernster wurde; (4) bevor das konstitutionelle System fest etabliert war, bestand die Sorge, dass das britische Modell aufgezwungen werden könnte (wie Alexander Hamilton vorgeschlagen hatte) und zu einer Tyrannei führen könnte, gegen die sich das Volk zur Wehr setzen müsste.