Nordsyrien: Amnestie für Strafgefangene, IS-Angehörige entlassen

Al-Hol Camp im Oktober 2019. Bild: Y. Boechat (VOA)/gemeinfrei

IS-Anhänger in Deutschland, die im Nordirak und Nordsyrien erwiesenermaßen Menschenrechtsverbrechen verübt haben, können mit vergleichsweise milden Strafen in Deutschland rechnen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Nordsyrien sollen nun die Frauen und Kinder von inhaftierten syrischen IS-Kämpfern aus dem Lager al-Hol freigelassen und in ihre arabische Stämme integriert werden - ein riskantes Projekt. Die ausländischen IS-Anhänger sollen dagegen im Lager verbleiben, bis eine Lösung mit den ausländischen Regierungen zur Überführung gefunden wird.

Das Lager al-Hol gilt als eines der gefährlichsten Lager der Welt, da dort Zehntausende hochgradig fanatisierte Familienangehörige von IS-Terroristen untergebracht sind. In dem Lager regiert quasi die Sittenpolizei des IS, die "Hisba", mit mehreren Hundert Mitgliedern. 80 Prozent der Frauen aus der letzten eroberten IS-Bastion al-Baghouz, die nach al-Hol gebracht wurden, haben sich der Miliz angeschlossen und terrorisieren die Bevölkerung im Lager.

Für die demokratische Selbstverwaltung ist die Bewachung, Versorgung mit Lebensmitteln und die medizinische Betreuung des Lagers angesichts fehlender internationaler Unterstützung nicht mehr leistbar.

Selbstverwaltung erlässt Amnestie für Strafgefangene

Um die ebenfalls überfüllten Gefängnisse zu entlasten, erlässt die Selbstverwaltung jetzt eine Amnestie für kranke und ältere Verurteilte über 75 Jahre. Davon ausgenommen sind Strafgefangene, die wegen Verrat und Spionage, sogenannter "Ehrenmorde", Drogenhandel und Gewalttaten wie Terroranschläge von Mitgliedern dschihadistischer Organisationen wie dem IS verurteilt wurden. Deren Haftstrafen werden halbiert, lebenslängliche Freiheitsstrafen werden in Gefängnisstrafen bis zu 20 Jahren umgewandelt.

Rangniedrige IS-Anhänger können, wenn sie einen Bürgen haben, ebenfalls freikommen, wie auch flüchtige Verurteilte, sofern sie sich innerhalb von 60 Tagen stellen. Wie viele Strafgefangene dadurch freikommen, ist nicht bekannt.

Vergebliche Forderung nach Rückführung deutscher IS-Anhänger

Die demokratische Selbstverwaltung in Nordsyrien fordert seit Jahren die Rückführung deutscher IS-Anhänger. Dies wurde immer wieder mit der Begründung abgelehnt, es gebe keine konsularische Vertretung der Bundesregierung in Syrien. Grundsätzlich fordert die Selbstverwaltung einen internationalen Gerichtshof vor Ort, der sich mit den Verbrechen der inhaftierten IS-Terroristen befasst.

Beweise in Form von beschlagnahmten Pässen und Dokumenten des IS gibt es kistenweise in Nordsyrien. Per Video festgehaltene Geständnisse inhaftierter IS-Terroristen werden regelmäßig über das Rojava Information Center (RIC) und der kurdischen Nachrichtenagentur ANF der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Doch zu einem internationalen Strafgerichtshof konnte sich die internationale Gemeinschaft bis heute nicht durchringen. Zu groß ist die Gefahr, dass die Beteiligung der Türkei ans Licht und in die Gerichtsakten kommt, daher sitzt man das Problem bis heute aus. Was konkret heißt, die Selbstverwaltung ist mit der Versorgung und Bewachung der etwa 70.000 inhaftierten IS-Anhänger im Lager al-Hol und den Gefängnissen weitgehend auf sich selbst gestellt.

Angesichts der fortwährenden Bedrohung durch die Türkei, die den Menschen in der Region das Wasser vorenthält sowie der fortschreitenden Corona-Pandemie fehlt der Selbstverwaltung das Personal und Equipment in al-Hol. Es gibt immer wieder Ausbruchsversuche, die von der Türkei und ihren islamistischen Söldnertruppen organisiert sein sollen.

Nun sollen 25.000 syrische IS-Angehörige, darunter 17.000 Kinder, aus dem Lager Al-Hol entlassen werden. Die prekäre Versorgungslage in der Region und die katastrophale Situation der Kinder der IS-Angehörigen bewog die Selbstverwaltung zu diesem Schritt. Die Gefahr ist groß, dass der IS im Lager eine neue IS-Generation heranzieht, die zu einer internationalen Bedrohung werden kann.

Aber anstatt die demokratische Selbstverwaltung in ihren Bemühungen, den Menschen der Region Frieden und Sicherheit zu bringen, zu unterstützen, hat Deutschland in den letzten Jahren vor allem die konservativ-islamistische Opposition, die Weißhelme und den ENKS (eine sogenannte Exilregierung mit Sitz in Istanbul und AKP-nah) in der Region gefördert.

Bemühungen um eine demokratische Gesellschaft

Die Hoffnung war, dass sich diese Kräfte durchsetzen. Denn eins fürchtet die Bundesregierung wie der Teufel das Weihwasser: Dass die demokratische Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien international anerkannt werden könnte. Die Selbstverwaltung und die links-demokratische syrische Partei PYD werden, wie auch die links-demokratische Partei HDP in der Türkei, von der türkischen Regierung als "Schwesterorganisationen" der kurdischen Arbeiterpartei PKK betrachtet und damit als Terrororganisationen.

Der "Terror" der Selbstverwaltung mit seinen Behörden besteht in Nordsyrien darin, eine basisdemokratische Gesellschaft in einer Region aufzubauen, die auch unter Assad unterentwickelt und deren Bevölkerung (vor allem die kurdische) unterdrückt wurde. Mittlerweile haben sich auch andere Minderheiten der Selbstverwaltung angeschlossen: Armenier, Eziden, und Christen. Sie haben in den Syrian Democratic Forces (SDF) eigene Einheiten.

Auch die arabischen Stämme wenden sich zunehmend der Selbstverwaltung zu, nachdem sie die Erfahrung machen konnten, dass sie mit ihren Anliegen respektiert werden. Die Gesellschaft Nordsyriens im Gebiet der Selbstverwaltung ist in einem permanenten Entwicklungsprozess hin zu Demokratie und Gleichberechtigung der Geschlechter.

Eine komplizierte Aufgabe unter Kriegsbedingungen und einem quasi Rundum-Embargo. Die Bemühungen um eine demokratische Gesellschaft werden aber angesichts der geopolitischen Interessen nicht anerkannt, sondern allenfalls als Spielball für eigene Interessen benutzt.

Demokratische Selbstverwaltung unter Druck

Die USA, die in weiten Teilen der nordsyrischen Bevölkerung - trotz aller Skepsis - als quasi Schutzmacht gegen weitere Annexionen seitens der Türkei betrachtet werden, haben mit Deutschland eine Gemeinsamkeit.

Beide setzen auf eine Änderung der politischen Ausrichtung der demokratischen Selbstverwaltung. Daher wurde das Angebot der Selbstverwaltung, diejenigen Teile des konservativen, Türkei-hörigen Verbundes der sogenannten "Exilregierung", ENKS, die gegen die Expansionspläne Erdogans sind, einzubinden, begrüßt.

Die Teile des ENKS, die in Nordsyrien mit verschiedenen Parteien und Organisationen aktiv sind und sich von der mittlerweile einflusslosen Zentrale der sogen. Exilregierung in Istanbul losgesagt haben, werden künftig an der Selbstverwaltung der Region beteiligt. Mit der Einbindung der konservativen Opposition in Nordsyrien erhoffen sich die USA, aber auch Deutschland, dass man damit einerseits Erdogan von weiteren militärischen Interventionen abhalten kann. Das würde der Selbstverwaltung tatsächlich helfen.

Andererseits gibt es vor allem in Deutschland die Hoffnung, dass sich damit die politische Ausrichtung der Selbstverwaltung in eine politisch genehmere Richtung verschiebt. Die Selbstverwaltung hat sich angesichts der Bedrohung aus der Türkei und der äußerst schwierigen Versorgungslage der Bevölkerung und den Problemen mit der Corona-Pandemie darauf eingelassen, den ENKS mit in ihre Strukturen wie den Demokratischen Syrienrat (MSD) einzubinden, obwohl sich Teile der konservativen Opposition unter dem Dach des ENKS nicht bei den vorangegangenen Wahlen beteiligten.

Der Demokratische Syrienrat (MSD) wurde 2015 gegründet und ist das politische Dach, das den politischen Rahmen für die Lösung des syrischen Konflikts durch innersyrische Gespräche und die Übernahme diplomatischer Arbeit bildet. In ihm sind politische Parteien sowie Vertreter der Zivilgesellschaft und der Selbstverwaltung organisiert. Inwieweit sich die gesetzten Ziele und Ideale für eine demokratische, syrische Gesellschaft in dieser Konstellation weiter umsetzen lassen, ist die Frage.

In den Rathäusern und Kommunen in Nord- und Ostsyrien ist man teilweise besorgt über die Entscheidung der Selbstverwaltung, den ENKS zu integrieren. Es wird befürchtet, dass es dadurch zu einer Stärkung der konservativen, traditionellen Strömungen kommen könnte, die die demokratischen Strukturen versuchen zu unterwandern. Die Sorge ist berechtigt. Die Entwicklung demokratischer Strukturen ist filigran. Viele Menschen in Nordsyrien sympathisieren mit der Selbstverwaltung und deren Zielen.

Zuhause in ihrer Familie sind sie aber mit ihren traditionellen Strukturen konfrontiert, die es zu überwinden gilt. Das braucht Zeit, Einfühlsamkeit und vor allem Frieden. Das alles existiert unter den Kriegsbedingungen nicht, denn keiner der Global Player interessiert sich für die Lebenswelt der Menschen vor Ort. Sie denken geopolitisch und hoffen vermutlich, es bald mit einem ihnen kompatibleren System in Nordsyrien zu tun zu haben, wenn sie nur entsprechend Gelder an die richtigen Stellen fließen lassen.

Selbstverständlich zählen die Selbstverwaltung und die mit ihr kooperierenden NGOs nicht zu den Begünstigten. Die russische Regierung setzt weiterhin auf das Assad-Regime und lässt die Türkei gewähren, um die Selbstverwaltung weiter unter Druck zu setzen, damit sie ihre Oppositionshaltung gegen die syrische Regierung aufgibt. Aber es mehren sich kritische Stimmen: der russische Mittelostexperte Semen Arkadjewitsch Bagdasarov kritisiert in einem ANF-Interview die Haltung Russlands:

"Wir müssen akzeptieren, dass die Kurden ein wichtiger Akteur in der Region sind. Wenn wir nicht mit den Kurden zusammenarbeiten, wird Erdogan den Krieg gewinnen."

Er plädiert aber auch für eine Zusammenarbeit der Selbstverwaltung und der syrischen Regierung:

Erdogan ist ein gerissener Politiker und versteht nur die Sprache der Macht. Deshalb denke ich, dass der türkische Kolonialismus in Syrien nur durch den gemeinsamen Kampf aller Kräfte beendet werden kann. Syrien hat eine starke Armee und auch die QSD (Anm. d. Verf.: gemeint sind die SDF, die Armee der Selbstverwaltung) sind stark. Beide Kräfte müssten sich gegen den gemeinsamen Feind vereinen.

Semen Arkadjewitsch Bagdasarov

Dieser Druck und die vielen Kompromisse, die der Selbstverwaltung abgerungen werden, um die Region zu sichern, birgt viele Fallstricke und hat letztendlich zu den Plänen, Tausende syrische IS-Anhänger mit ihren Kindern aus Al Hol zu entlassen, geführt. Darauf drängten vor allem die arabischen Stämme auf den Versammlungen der Selbstverwaltung in der Region. Denn deren Angehörige gehören zum Teil zu den IS-Anhängern oder sie sind Sympathisanten der konservativen Opposition.

Bei den arabischen Stämmen herrscht nach wie vor ein konservatives, feudalistisches Stammesdenken vor. Daher ist Skepsis angebracht, ob die vorsichtigen Annäherungen einiger Stammesfürsten an die Selbstverwaltung auf Dauer tragen. Ob diese Bemühungen der Selbstverwaltung von den konservativen Kräften wie z.B. des ENKS, die die Selbstverwaltung bislang auf vielen Ebenen bekämpft haben, letztendlich gewürdigt werden und ob es etwas an der Haltung der ausländischen Staaten zur Selbstverwaltung ändert, ist fraglich.

Bei der internationalen Staatengemeinschaft ist der Wille, die Türkei im Nato-Verbund zu halten, sehr stark. Zu groß ist auch die Angst, dass Erdogan die Grenzen für die Geflüchteten Richtung Europa aufmacht. Deutschland steht in der EU an der Spitze derer, die im Falle der Türkei wirtschaftliche und militärische Interessen über das Völker- und Menschenrecht stellt.

Nach wie vor keine Unterstützung der demokratischen Selbstverwaltung

Es klingt absurd: Angesichts der COVID-19 Pandemie sagt die Bundesregierung finanzielle Unterstützung für Syrien in Millionenhöhe zu. Es gibt viele NGOs in Nordsyrien, die helfen wollen. Aber bei genauerem Nachfragen um Fördermittel kommt ans Licht, es gibt keine Unterstützung für NGOs, die etwa mit dem Kurdischen Roten Halbmond (das kurdische Rote Kreuz) Heyva Sor a Kurd zusammenarbeiten.

Die Bundesregierung erkennt zwar an, dass lokale Akteure im Nordosten Syriens und humanitäre Akteure große Anstrengungen unternehmen, eine humanitäre Mindestversorgung zu gewährleisten, aber eine Unterstützung ist nicht in Sicht. Obwohl Heyva Sor die Institution ist, die das gesamte Gesundheitssystem in Nordsyrien am Laufen hält. Die zugesagten Gelder fließen in Einrichtungen, die sich in Nordsyrien nicht mit der Selbstverwaltung koordinieren (dürfen). Dies verschärft die ohnehin dramatische Lage des Gesundheitssystems in Pandemiezeiten noch weiter.

Deutschland unterstützt einige wenige humanitäre Hilfsorganisationen - unter anderem das Welternährungsprogramm, den UNHCR und das Internationale Rote Kreuz - die in den Camps al-Hol und Roj arbeiten. Die Aktivitäten dieser Institutionen sind jedoch nur äußerst begrenzt und weitgehend unzureichend. Trotzdem fordert die Bundesregierung von der Selbstverwaltung die Einhaltung internationaler Standards der Haftbedingungen, da die Haftanstalten in Nordostsyrien ja von der Selbstverwaltung betrieben werden.

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei empörte sich über diesen Zynismus:

Es ist wirklich schäbig der unter Embargo stehenden, kriegsgebeutelten Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens die alleinige Verantwortung für die Situation in den Gefängnissen und Lagern zuzusprechen. Die Bundesregierung räumt doch ein, dass die Selbstverwaltung teilweise mit der Überwachung der Gefangenen überfordert sei. Die dort inhaftierten IS-Verbrecher und häufig auch ihre Familien sind aus der ganzen Welt, auch aus Deutschland nach Syrien gegangen, um dort schwerste Verbrechen zu begehen. Jetzt lässt man die Selbstverwaltung mit diesen Tätern praktisch alleine...

Ulla Jelpke

Ein NDR-Bericht, der in der Tagesschau präsentiert wurde, suggerierte, die Selbstverwaltung von Nordsyrien würde die Rückführung von bspw. deutschen IS- Terroristen blockieren. Nach deren Informationen soll das Auswärtige Amt der Selbstverwaltung eine Liste von insgesamt 25 deutschen Frauen und Kindern übergeben und um Überstellung gebeten haben, was die Selbstverwaltung abgelehnt haben soll. Die Selbstverwaltung dementierte.

"Wir werden der Bitte der deutschen Regierung nachkommen und den Prozess beginnen, sobald die Ausgangssperre wegen der Verbreitung von COVID-19 beendet ist", zitiert der NDR selbst einen Vertreter der Selbstverwaltung in einem Schreiben an das Auswärtige Amt Anfang August per E-Mail. Abdulkarim Omar, Ko-Vorsitzender des Rates für auswärtige Angelegenheiten der Selbstverwaltung, weist die Anschuldigung des NDR zurück:

"Dass Deutschland die Herausgabe von IS-Frauen und Kindern eingefordert und die Autonomieverwaltung das abgelehnt hat, entspricht nicht der Wahrheit."

Der Westen argumentiere hingegen, die gefangenen Dschihadisten und ihre Angehörigen seien zu gefährlich, um sie in ihre Heimatländer zurückzubringen, berichtet ANF. Auch der Irak hat die Übernahme seiner inhaftierten IS- Terroristen ausgesetzt. Die Selbstverwaltung habe seit Jahren immer wieder um Unterstützung gebeten und die Staaten um einen internationalen Gerichtshof oder eine schnelle Rückführung gebeten.

Darauf können sie jetzt angesichts der prekären Lage wegen der Pandemie und der Versorgungsengpässe nicht mehr warten. Ilham Ehmed vom Demokatischen Syrienrat (MSD) kündigt eigene Prozesse für ausländische IS-Dschihadisten an.

Syrische IS-Terroristen in Nordsyrien vor Gericht

Da ein internationaler Gerichtshof vor Ort nicht in Sicht ist, ist die Selbstverwaltung nun dazu übergegangen, syrische IS-Kämpfer durch eigene Volksverteidigungsgerichte zu verurteilen. Wenn die Gesetzgebung der Selbstverwaltung für die Verfahrensführung nicht ausreicht, wird auf die syrische Gesetzgebung zurückgegriffen. Seit Anfang des Jahres gibt es 900 Verfahren gegen syrische Staatsbürger, die den IS unterstützt haben sollen.

Ein Problem mit den syrischen wie auch internationalen Dschihadisten ist die genaue Identifizierung der Inhaftierten. Diese verfügen mehrheitlich über keine Dokumente, lediglich ihre Codenamen sind bekannt. Hier könnte die Anti-IS-Koalition Abhilfe leisten, um die Personen zu identifizieren, denn ihre Dienste verfügen über eigene Erkenntnisse und Informationen.

In den Hafteinrichtungen des Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens befinden sich im Moment 12.000 syrische Staatsbürger, 5.000 irakische Staatsbürger und 2.000 Dschihadisten aus mehr als 55 Staaten, berichtet die kurdische Nachrichtenagentur ANF. Darunter befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung mindestens 30 deutsche IS-Kämpfer.

Im Camp Al Hol befänden sich nach der Freilassung der 25.000 IS- Angehörigen noch "30.000 Irakerinnen und Iraker, darunter 20.000 Kinder, sowie knapp 10.000 Personen aus dem Ausland, darunter 7.000 Kinder", berichtete Ilham Ehmed. Nach Angaben der Bundesregierung befinden sich ca. 50 deutsche Frauen mit ihren Kindern im Camp al-Hol.

Sie alle verbleiben vorerst in dem Lager. Die Rückführung der syrischen IS-Angehörigen und deren Kinder übernehmen die arabischen Stämme. Jene syrischen Staatsangehörigen, "die im Lager verbleiben, würden nicht länger im Verantwortungsbereich der Selbstverwaltung liegen. Konkret bedeutet das, dass sie als Gefangene betrachtet werden", erläuterte Ehmed.

Milde Urteile gegen IS-Anhänger in Deutschland

Sorge bereiten der Selbstverwaltung auch die vergleichsweise milden Urteile der deutschen Justiz gegen IS-Anhänger. So wurde die bspw. die Witwe des IS-Kämpfers Denis Cuspert, auch bekannt als der Berliner Gangsterrapper "Deso Dogg", zu dreieinhalb Jahren Haft wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt.

Das ist in etwa das Strafmaß, womit linke Kurden und deren Sympathisanten in Deutschland regelmäßig analog zur türkischen Regierungspolitik als 'Unterstützer einer terroristischen Vereinigung im Ausland' nach § 129b verurteilt werden. Straftaten werden ihnen nicht vorgeworfen, denn der §129b sieht vor, Menschen zu verurteilen, die sich solidarisch mit jenen Widerstandsbewegungen im Ausland erklären, die die bundesdeutsche Justiz im Gegensatz zur belgischen Justiz als terroristisch einstuft.

Vergleicht man die Höhe der Haftstrafen gegen vermeintliche PKK-Kader mit dem Strafmaß der verurteilten IS-Anhänger, könnte man meinen, die deutschen Gerichte setzen IS-Mitglieder und vermeintliche PKK-Anhänger gleich: Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte einen Kurden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu zweieinhalb Jahren Haft. Ihm wird zur Last gelegt, Spenden- und 'Propagandakampagnen' als Gebietsleiter der PKK organisiert zu haben.

In Berlin wird eine Kurdin zu 2 Jahren Haft mit drei Jahren auf Bewährung verurteilt. Auch ihr werden lediglich Gebietsleitung, Spendensammlungen und die Organisation von Demonstrationen vorgeworfen. Straftatbestände gegen die Kurdin lagen nicht vor.

Im Fall der zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilten Hamburger IS-Anhängerin lagen eindeutige Straftatbestände vor, denn sie hatte sich mit ihrem Mann eine ezidische Sklavin mit ihrer Tochter gehalten und den Tod des Kindes durch Verdursten in Kauf genommen. Dreieinhalb Jahre wegen Sklaverei und Beihilfe zum Mord gegen zweieinhalb Jahre wegen der Organisation von Spendenkampagnen - wo ist da die Verhältnismäßigkeit?

Ebenfalls in Hamburg wurde Elina F. nur zu zwei Jahren auf Bewährung für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt. Die Hamburgerin, die nachdem ihr erster IS-Mann umgekommen war, einen zweiten IS-Terroristen geheiratet hat, mit dem sie zwei Kinder hat, soll für den IS geworben haben.

Eine 33-jährige Frau aus dem Raum Aschaffenburg hielt sich beim IS im Irak und Syrien auf. Sibel H. wurde festgenommen und verbrachte acht Monate in einem kurdischen Gefangenenlager. In Deutschland wurde sie zwar zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, aber ihr wurden für jeden Tag Lagerhaft nach Paragraf 51 des Strafgesetzbuches drei Tage Haft in Deutschland angerechnet.

Somit ist sie quasi auf freiem Fuß, denn die verbleibende Reststrafe kann zur Bewährung ausgesetzt werden. Sonderbar, dass die Behörden der Selbstverwaltung international nicht anerkannt werden, die Lagerhaft in der Verantwortung dieser Behörden aber beim Strafmaß bei IS-Anhängern berücksichtigt werden.

Eine 30 Jahre alte Frau aus Vechta wurde zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt. Das OLG Celle war der Überzeugung, sie habe sich glaubhaft von der Terrormiliz losgesagt (Az: 5 StS 1/20).

Dass die vergleichsweise milden Urteile gegen deutsche IS-Anhänger die Selbstverwaltung in Nordsyrien beunruhigt, ist nachvollziehbar. Was, wenn diese nach zwei Jahren Haft oder weniger freigelassen werden und sich wieder IS-Schläferzellen anschließen?

Der IS ist dabei, sich zu reorganisieren. Die Türkei ist dabei mit im Boot.