Ökonomisierung des Gesundheitswesens: Krankenhausreform als Brandbeschleuniger?

Seite 2: In der Praxis

Grundlage der Reform ist ein neues Vergütungssystem: Positiv gewendet soll das neue Modell das leisten, was die Einführung der Fallpauschalen versprach, nämlich die Kliniken vom Druck zu befreien, möglichst viele Patienten behandeln zu müssen.

Die Fallpauschalen, also die Bezahlung pro durchgeführter Behandlung in Form eines festen Eurobetrags, werden aber nicht ganz abgeschafft. Sie sollen die finanzielle Basis zu 40 Prozent abdecken, die restlichen 60 Prozent sollen die Kliniken allein durch die Vorhaltung von Leistungen (z.B. Kreissaal, Notaufnahme, Medizintechnik etc.) erwirtschaften.

Der Gesetzgeber erhofft sich davon entscheidende Verbesserungen: Erhalt der ländlichen Krankenhäuser, Umwandlung bestehender Kliniken in "sektorenübergreifende" Einrichtungen, Brücken zwischen stationärer und ambulanter Behandlung und letztlich maximal halbstündige Anfahrtswege.

Fakt ist: Vor rund 30 Jahren gab es in Deutschland noch 2400 Kliniken, heute sind es noch 1700 – Tendenz fallend. Ohne ausreichende Finanzierung wird das Kliniksterben trotz politischer Beteuerungen weitergehen, wohnortnahe und polyklinische Versorgung ein Wunschtraum bleiben.

Wie Minister Lauterbach de facto einräumte, ist der Erhalt aller Kliniken seinerseits nicht beabsichtigt. In einem Interview mit der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sagte er: "Eine Konzentration ist notwendig, um die Qualität zu halten" und es mache "medizinisch keinen Sinn, jede der 1719 Kliniken zu erhalten".

Mit Ökonomismus gegen die Ökonomisierung?

Im ZDF äußerte Lauterbach die Befürchtung, dass man es mit der Ökonomisierung "übertrieben" habe. Der Treppenwitz: Bei genauerem Hinsehen dreht die geplante Reform die Uhren nicht zurück, sondern beschleunigt die Ökonomisierung von Gesundheit und Wohlbefinden.

Während für die Bundeswehr 100 Milliarden Sondervermögen auf Pump bereitgestellt wurden, müssen im Gesundheitswesen 50 Milliarden verteilt auf 10 (!) Jahre für die dringend notwendigen Strukturreformen ausreichen.

Das bedeutet: Krankenkassenbeiträge und Behandlungskosten werden steigen müssen. Die Wirksamkeit der Finanzierung ist für 2027 oder 2028 vorgesehen, dann könnte es für viele Häuser zu spät sein. Dieser "kalte Strukturwandel", wie ihn die Deutsche Krankenhausgesellschaft nennt, ist im künftigen Modell eingepreist. Kliniksterben durch die Hintertür.

Spannend ist ein Blick in die offiziellen Verlautbarungen des Gesundheitsministeriums zur geplanten Krankenhausreform: Da heißt es, Deutschland habe eine der höchsten Bettenzahlen der Welt und - fast wie ein Vorwurf formuliert – ein Drittel davon sei nicht belegt.

Übersetzt: Ein unbelegtes Bett verdient keinen Cent. Bei einer Verknappung des Angebots dürften Preise, Auslastung und letztlich auch die Gewinne wieder steigen. Die überlebenden Kliniken können sich "natürlich" regenerieren und finanzieren, Staat und Kommunen sparen.

Die Logik, die der Krankenhausreform zugrunde liegt, ist die überhitzte Zuspitzung der Ökonomisierung der Ware Gesundheit. Oder um es mit Karl Lauterbach zu sagen: die Übertreibung des Übertriebenen.

Kritik und Alternativen

Die Krankenhausreform kann explizit an folgenden Punkten kritisiert werden: Sie wird zu einer kalten Marktbereinigung führen, sie bürokratisiert zunehmend ein überlastetes System, es kann zu einer Insolvenzwelle und in deren Folge zu einer räumlich abhängigen Unterversorgung kommen und die Zwei-Klassen-Medizin wird perpetuiert.

Die privaten Krankenkassen werden derzeit nur teilweise oder gar nicht in die Finanzierung einbezogen. Entgegen der angestrebten Polyvalenz könnte die Reform sogar zu mehr Spezialisierung führen.

Wie die Medizinsoziologin Nadja Rackowitz sagt, wird die neue Finanzierung zu einer Differenzierung in 65 Leistungsgruppen (innerhalb der 40 Prozent des DRG-Systems) führen und damit kleinere Häuser zur Aufgabe zwingen.

Doch es gibt Widerstand und Protest sowie vor allem medizinpolitische Alternativen: Unter der Prämisse der Abkehr von der Selbstkostendeckung und der Hinwendung zu einer gemeinwohlorientierten Daseinsvorsorge sollten Re-Kommunalisierungen oder Verstaatlichungen diskutiert werden.

Zudem setzt die Debatte früher an: Der Aufbau regionaler Gesundheitszentren als Zwitterwesen wird von den Ersatzkassen in drei Modellregionen erprobt, eine deutliche Ambulantisierung bei fortschreitendem medizinischem Fortschritt und bezahlbarer ambulanter Nachsorge erscheint als gangbare Alternative oder eine deutliche Verbesserung der Kostenfinanzierung der gegenwärtigen Situation.