Präsident und Dealmaker
Trump über dem Weißen Haus, Folge 2
Teil 1: "America will rise again": Trump über dem Weißen Haus
Der zweite Teil dieser Geschichte über einen (fiktiven) Diktator im Weißen Haus gibt Antworten auf folgende Fragen: Wie bringt man die zahlungsunwilligen Europäer dazu, selbst für die Verteidigungskosten aufzukommen, statt dem amerikanischen Steuerzahler auf der Tasche zu liegen? - Warum trägt der US-Botschafter in Athen kurze Hosen? - Und, last but not least: Wie installiert man die Geliebte des Präsidenten im Weißen Haus, obwohl es der Zensor verboten hat?
Dr. James Wingate, als Chef des Studio Relations Department (SRD) der Statthalter von Will Hays in Hollywood, war so wenig zu beneiden wie sein Vorgänger, Colonel Jason Joy, der entnervt aufgegeben hatte. Als Wingate im Oktober 1932 seinen neuen Posten antrat wurde er gleich mit den Plänen der Paramount konfrontiert, Diamond Lil zu verfilmen, das Stück, mit dem Mae West am Broadway ein überwältigender Publikumserfolg gelungen war. Auch die Kritiker waren durchaus angetan gewesen. Übertragen auf die vom Production Code regulierte Leinwand jedoch war sogar die veränderte und abgemilderte Version ein Skandal.
Von Diamond Lil zur Bonus-Armee
Diamond Lil ist Sängerin in einem Saloon im San Francisco vor dem großen Erdbeben und kennt sehr viele Männer (und womöglich Frauen) sehr persönlich. In der Filmversion, She Done Him Wrong, musste sie Lady Lou heißen, um die Erinnerung an das Stück zu tilgen. Cary Grant will einen Mädchenhändlerring ausheben und kommt als Undercover-Polizist in den Saloon. Einmal treffen sich West und Grant, um zwei berühmt gewordene Sätze auszutauschen. "Hast du nie einen Mann getroffen, der dich glücklich machen kann?", fragt der Polizist. "Klar", antwortet Lady Lou, "schon ganz oft." Wenn der Polizist die Sängerin verhaftet wirkt das auch nicht unbedingt wie eine Bestrafung.
Pater Daniel Lord protestierte wieder, weil der Film gegen den Moralkodex verstieß, mit dem er sich solche Mühe gegeben hatte. Hays räumte ein, dass She Done Him Wrong viel von dem enthalte, was auch ihm Sorge bereite. Das Publikum kam in Scharen. She Done Him Wrong soll die Paramount vor der Pleite gerettet haben. Geld war ein hervorragendes Argument. Das Management teilte Hays mit, dass es für das Überleben der Paramount unerlässlich sei, sofort eine Fortsetzung nachzuschieben, das Mae-West-Vehikel I’m No Angel. Für Hays’ Botschafter in Hollywood war das nur eines unter vielen Problemen.
Im Januar 1933 flatterte Dr. Wingate das von Wilson, Wanger und Hearst verfasste Drehbuch zu Gabriel Over the White House auf den Tisch. Er las und war perplex. Da kam zwar irgendwie ein Engel vor, aber primär ging es doch um einen Präsidenten, der seine Geliebte im Weißen Haus als Privatsekretärin installiert und dann den Kongress, eine unnütze Debattierbude für Parteisoldaten, Egoisten und blöde Trottel, in den Urlaub schickt, um als Diktator das Gangstertum und die Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Nicht nur, dass Wingate die Geschichte ziemlich faschistoid vorkam, das war auch ein Anschlag auf zwei von drei geheiligten Säulen des Systems, Regierung und Familie.
Vor Wingates geistigem Auge tat sich eine breite Palette mit möglichen Konsequenzen auf. Irving Thalberg und Louis B. Mayer von der MGM warnte er davor, dass sich die Republikaner beleidigt fühlen könnten, und der Kongress ganz generell. Die Abgeordneten könnten sich revanchieren wollen und Gesetze zum Nachteil der Filmindustrie erlassen. Gabriel Over the White House sei ein "gefährlicher Stoff" (16.2.1933). Vorher hatte Wingate an Hays geschrieben, um ihn auf das vorzubereiten, was da schon wieder in der Planung war.
Ein Stein des Anstoßes war der Marsch der Arbeitslosen nach Washington. Den Zensoren war das viel zu nah an der Realität. Vorbild war die "Bonus Army", durch die im Sommer 1932 Ängste vor einer kommunistischen Revolution befeuert worden waren, aber auch vor einem Staatsstreich durch das Militär. 1924 hatte der Kongress ein Gesetz verabschiedet, dem zufolge Veteranen des Ersten Weltkriegs eine nach Länge und Ort des Militärdiensts gestaffelte Bonuszahlung bis maximal 625 Dollar erhalten sollten. Beträge über 50 Dollar wurden in Form von Berechtigungsscheinen ausgezahlt, die erst 20 Jahre später einlösbar sein sollten, also 1945.
Veteranen, die in der Großen Depression arbeitslos geworden waren, forderten die sofortige Auszahlung. Präsident Hoovers oberstes Ziel war aber die Haushaltskonsolidierung. Er lehnte das Ansinnen mit der Begründung ab, dass ein Einlösen der Scheine den Staatshaushalt zu sehr belasten und die wirtschaftliche Erholung des Landes gefährden würde. Daraufhin marschierten 17.000 Veteranen (viele von ihnen bewaffnet) mit Familienangehörigen und Sympathisanten (insgesamt sollen es rund 43.000 Menschen gewesen sein) nach Washington, um ihrer Forderung größeren Nachdruck zu verleihen.
Volksgewissen
Die Bonus-Marschierer campierten in einiger Entfernung vom Regierungsviertel in Washington, in einem Sumpfgebiet beim Anacostia River. Dort legten sie etwas an, das Zeltstadt zu nennen ein Euphemismus wäre, weil das Lager überwiegend aus Materialien bestand, welche die Demonstranten auf einer Mülldeponie gefunden hatten. Alles war militärisch straff organisiert, aber es gab wohl auch Übergriffe und kleinere Raubzüge durch die Umgebung, da die Menschen von etwas leben mussten.
Am 28. Juli 1932 wies der Generalstaatsanwalt die Polizei an, das Lager zu räumen (in William Wellmans Wild Boys of the Road wird das nachgestellt, in kleinerem Rahmen und mit obdachlosen Jugendlichen anstelle der Veteranen). Die Polizei konnte wenig ausrichten, schoss aber auf die Bonus-Marschierer und tötete zwei von ihnen. Hoover wies nun General Douglas MacArthur an, die Lage mit Hilfe von Kavallerie und Infanterie unter Kontrolle zu bringen. Zu den dem General unterstellten Offizieren gehörten Dwight D. Eisenhower, im Zweiten Weltkrieg Oberkommandierender der Alliierten Streitkräfte in Europa und dann 34. US-Präsident und George S. Patton, das Enfant terrible der US-Armee.
MacArthur ließ das Lager angreifen, was er damit begründete, dass er die Gefahr eines von Kommunisten initiierten Aufstandes gesehen habe. Als Hoover davon erfuhr wies er den damals schon selbstherrlich agierenden General an, damit aufzuhören. MacArthur ignorierte den Befehl und ließ erneut angreifen. Am Ende gab es mindestens 55 verletzte Zivilisten, möglicherweise auch sehr viel mehr, sowie zahlreiche Festnahmen. Eine Frau erlitt eine Fehlgeburt. Ein Säugling starb im Krankenhaus, wahrscheinlich als Folge des Einsatzes von Tränengas.
Hoover weigerte sich, disziplinarische Maßnahmen gegen MacArthur zu ergreifen (das erledigte erst Harry S. Truman im Koreakrieg, als er den General in den Ruhestand versetzte, weil er wieder einmal die Autorität des Präsidenten nicht anerkannt hatte). Danach stand er als der Mann da, der dafür verantwortlich war, dass amerikanische Soldaten mit Bajonetten und Tränengas gegen amerikanische Veteranen vorgegangen waren. In Washington wurde geraunt, dass er auf ein Disziplinarverfahren gegen MacArthur verzichtet habe, weil er sich vor ihm fürchtete.
Roosevelt machte sich im Wahlkampf über den Präsidenten lustig, dessen Inneres aus Gelee bestehe. Jud Hammond in Gabriel Over the White House ist da ganz anders. Die Bonus-Armee heißt im Film "Armee der Arbeitslosen". Als Brooks, sein Secretary of State, darauf besteht, die Armee gegen die Arbeitslosen einzusetzen, wird er vom Präsidenten gefeuert. "Meine Herren", sagt er zu den verdutzten Ministern, "ich schlage vor, dass Sie die Verfassung der Vereinigten Staaten lesen. Sie werden feststellen, dass der Präsident einige Macht hat."
Der Presse gegenüber führt er aus, dass er Brooks entlassen habe, weil dieser "ein altmodischer Politiker" sei. Jetzt brechen neue Zeiten an. Der Präsident orientiert sich nicht mehr an Gesetzen, sondern an etwas, das er "öffentliches Gewissen" nennt, oder vielleicht auch "Volksgewissen" ("public conscience"): "Dieses Kabinett, jedes Mitglied des Kongresses, jeder Amtsinhaber ist direkt dem öffentlichen Gewissen gegenüber verantwortlich." Der Rechtsstaat kann damit zu den Akten. Was das "öffentliche Gewissen" ist bestimmt der Präsident ganz allein.
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