Präsident und Dealmaker

Seite 8: Inauguration Night

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Mit Peale Lindsey entfiel aber auch die Figur, die Pendie liebt und heiratet. Es blieb nur Beekman, der Sekretär. Aus ihm und Pendie machte Wanger ein Liebespaar, weil Hays eine sexuelle Beziehung der Privatsekretärin mit dem Präsidenten verboten hatte. Der Film tut jetzt also genau das, was Tweed, der Sekretär von Lloyd George und Teilzeit-Geliebte von dessen Sekretärin/Geliebter Frances Stevenson, unbedingt hatte vermeiden wollen, indem er den Produzenten aus Hollywood erfand: er kopiert die Wirklichkeit. Manchmal ist die Zensur eine komische Veranstaltung.

Ungefähr in der Mitte des Films wird aus Beek und Pendie ein Paar. In den ersten 25 Minuten ist Pendie die Geliebte von Präsident Hammond, obwohl Hays es strengstens untersagt hatte. Das verdanken wir nicht zuletzt Gregory LaCava, der ein sehr unterschätzter Regisseur ist und 1936 mit My Man Godfrey eine der gelungensten Screwball Comedies inszenierte (Stage Door von 1937 und Unfinished Business von 1941 sind auch sehr sehenswert). Er wusste genau, wie man so etwas angehen musste, um in den ersten Jahren des Production Code damit durchzukommen.

Zuerst sehen wir die Festivitäten am Inauguration Day. Anstelle des lustigen Besäufnisses im Weißen Haus, das es ursprünglich gab, weil Präsident Hammond und seinen Kumpanen die Prohibition egal war, solange das Staatsvolk nichts davon mitkriegte, beklagt sich jetzt einer der Gäste über den Punsch, mit dem man nicht in Stimmung komme. Trotzdem sind alle sehr gut drauf, weil das eben ein nachträglich eingefügter Dialog ist, der suggerieren soll, dass es nur Alkoholfreies zu trinken gibt.

Gabriel Over the White House

Bei der Verabschiedung der Gäste ist der neue Präsident doch etwas beunruhigt. "So, jetzt bin ich also im Weißen Haus", sagt er zu seinem Parteichef, "und ziemlich besorgt, wenn ich an all das denke, was ich dem Volk versprochen habe, um gewählt zu werden." "Ach was", meint Jasper Brooks, der Vorsitzende der Partei. "Ein paar Versprechungen musstest du schon machen. Bis sie merken, dass du sie nicht einhalten wirst, ist deine Amtszeit vorbei." Beide Herren finden das sehr lustig.

Viel Gelächter erntet auch der Mann, der ankündigt, demnächst eine gesalzene Rechnung für die unerwarteten Stimmen aus Alabama zu schicken. Und Hammond bedankt sich artig beim Parteichef dafür, dass er als Präsident ausgesucht wurde. Nichts zu danken, sagt Brooks: "Du wirst der beste Präsident sein, den die Partei je hatte." Man kann hier auch sehen, wie gut Walter Huston war. Hammond ist da noch ein Mann, der eigentlich ein kleiner Junge ist und nicht recht glauben kann, dass das Weiße Haus sein neues Spielzeug ist.

Als die Gäste gegangen sind betritt Karen Morley das Gebäude, die 1932/33 eine interessante Phase ihrer Karriere erlebte. Als Poppy in Scarface ist sie die Geliebte des Gangsterbosses und dann seines Nachfolgers Tony Camonte. Als Consuela Fairbanks in The Washington Masquerade ist sie die Geliebte und spätere (untreue) Ehefrau eines Senators. Als Pendola "Pendie" Molloy in Gabriel Over the White House ist sie zur Geliebten des Präsidenten aufgestiegen. (Dazwischen, in The Mask of Fu Manchu, geriet sie noch in Gefahr, von Boris Karloff in Stücke geschnitten und von geilen Asiaten vergewaltigt zu werden.)

Der Vorname der Romanfigur, Independence, wurde wohl durch Pendola ersetzt, weil er in Verbindung mit dem US-Präsidenten zu sehr an die Declaration of Indepencence und den Independence Day erinnert hätte, den alljährlich am 4. Juli begangenen Nationalfeiertag. Das hätte man schon bei der Lektüre des Drehbuchs als politische Anspielung verstehen können, was Will Hays, der sich mit Worten besser auskannte als mit Bildern, überhaupt nicht leiden konnte. Also führte LaCava jetzt vor, was visuell in dieser Richtung zu machen war. Wenn er Frauen inszenieren konnte war er immer besonders gut.

Staatsaffäre

Pendies erster Auftritt ist famos. Der Präsident hat sich in seine privaten Gemächer zurückgezogen und Beek will nach Hause gehen, als er eine junge Frau sieht, die gerade hereingekommen ist. Die junge Dame hat den Blick scheinbar verschämt nach unten gerichtet, sucht tatsächlich aber nur die beste Position, um sich einzuführen. Sie macht ein paar Schritte nach vorn und tritt ins Zentrum des Great Seal, des Großen Siegels der Vereinigten Staaten, dessen Vorderseite dort in den Boden des Weißen Hauses eingelassen ist.

Gabriel Over the White House

Mehr Selbstbewusstsein geht fast nicht. Die Geliebte des Präsidenten nimmt den ihr gebührenden Platz ein. Auf Sitte und Anstand bedachten Zuschauern mit einem Sinn für Symbolik müsste dabei eigentlich die Luft weggeblieben sein. Die Rückseite des Great Seal schmückt übrigens das Allsehende Auge, ein Symbol für Gott. Das wäre auch eine Möglichkeit gewesen, doch eine Geliebte, die sich direkt über das göttliche Auge stellt, damit ihr der Allmächtige unter den Rock schauen kann, war vermutlich doch zu unverschämt.

Gabriel Over the White House

Stattdessen sind es die Augen des Sekretärs, die nun den Körper der jungen Frau abtasten. Wir teilen seinen Blick, wenn die Kamera von den Füßen über die Beine und die Taille hoch zum Kopf der Dame schwenkt, die da in der Mitte des Großen Siegels steht. Sie stellt sich als Miss Pendola Molloy vor und möchte den Präsidenten sprechen. "In welcher Angelegenheit?", fragt Beekman. "In der Angelegenheit Miss Pendola Molloy", antwortet sie und legt die Hand in den Nacken, was wieder eine Geste der Verlegenheit sein könnte und doch nur wie eine aufreizende Pose wirkt.

Der Sekretär überbringt die Visitenkarte der jungen Frau dem Präsidenten und erfährt, dass sie eine Person ist, die Tag und Nacht vorgelassen werden soll. Beekman führt Pendie zu Hammonds Privaträumen. "Sie sind meine erste offizielle Aufgabe", sagt er ironisch. Die Geliebte mag ihn, obwohl er ihr zu steif ist. Im Weißen Haus pflegt man einen eher lockeren Umgang, denn noch hat der Erzengel Gabriel den Präsidenten nicht besucht. Darum darf der Sekretär Miss Molloy "Pendie" nennen und Hammond "Major", und die beiden sagen "Beek" zu ihm.

Gabriel Over the White House

Man wünscht sich eine gute Nacht, dann macht Beek die Tür zur Präsidentenwohnung hinter sich zu. Ehe er das Weiße Haus verlässt entdeckt er auf dem Großen Siegel eine Haarnadel, die Pendie dort verloren hat. Er hebt sie auf, damit uns die Kamera den Weißkopfseeadler zeigen kann, das Wappentier der Vereinigten Staaten, und den Spruch, der damals noch das Motto des Landes war: "E pluribus unum" (1956 ersetzt durch "In God We Trust"). 1782, als das Great Seal entstand, bezog sich der Wahlspruch "Aus vielen eines" auf die einzelnen Bundesstaaten, die zusammen die USA bildeten. Hier vereinigt sich der Präsident gerade mit seinem Volk, in Gestalt von Miss Pendola Molloy, als der Sekretär das Weiße Haus verlässt.

Gabriel Over the White House

Viel frecher kann man das eigentlich nicht inszenieren. Es macht Lust, mehr von Gregory LaCava zu sehen, der eine ganz eigene Art hatte, Melodramatisches und Komisches zu verbinden und wie nebenbei noch ein paar elegant in Szene gesetzte Respektlosigkeiten einzubauen. Es wäre an der Zeit, ihn wiederzuentdecken. Bei Gabriel Over the White House nützte er geschickt aus, dass die Kämpfer gegen Schund und Schmutz auf sündhafte Dialoge fixiert waren, seit mit der Einführung des Tonfilms eine Schockwelle durch das Lager der Moralapostel gegangen war. Pendie sagt nicht ein unanständiges Wort und durfte daher weiter auf dem Großen Siegel stehen.

Der dritte (und letzte) Teil wird Aufschluss darüber geben, wie man den Kongress in die Wüste schickt, wie man sich als Populist die Medien zum Freund macht, was die Ein-Tropfen-Regel ist und wie man sich das Problem mit den kriminellen Ausländern ein für allemal vom Hals schafft.

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