Präsident und Dealmaker

Seite 5: Bankrotterklärung

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Auf der Yacht weist ein selbstgefälliger Delegierter Hammond darauf hin, dass er an die Unterschriften gebunden sei, die seine Vorgänger unter internationale Verträge gesetzt haben. Nichts da, erwidert der Präsident. Wenn die Europäer nicht für ihre eigene Verteidigung aufkommen und den vertraglich zugesicherten Schuldendienst nicht leisten sei das ihre moralische Bankrotterklärung. Eine Unterschrift habe dann keinen Wert mehr, und er könne Verträge für ungültig erklären, ganz wie es ihm beliebt.

Gabriel Over the White House

Da spricht wieder Jud Hammond als Vertreter des öffentlichen Bewusstseins. Wenn einem das "gesunde Volksempfinden" sagt, dass etwas nicht in Ordnung ist, dann gilt es nicht, auch wenn es nach Recht und Gesetz zustande kam, oder wie in diesem Fall nach den Regeln, auf die sich die Weltgemeinschaft geeinigt hat. Nicht nur an der Wortwahl ("Bankrotterklärung") ist zu erkennen, dass der Film eine Politik propagiert, die nach den Spielregeln der Wirtschaft und der Märkte funktioniert.

Um genau zu sein müsste man Hammond als Despoten bezeichnen, nicht als Diktator. Der griechische despótes war der Herr über Haus und Hof und Sklaven. Dem Wortsinn nach ist der Despot demnach einer, der die Bürger wie Sklaven behandelt und den Staat wie sein Eigentum. Hammond regiert denn auch wie ein Hausbesitzer, der bei Bedarf den Handwerker kommen lässt und allein darüber entscheidet, was mit der Immobilie zu geschehen hat. Bei Problemen, die sich so nicht lösen lassen, hat man die Leute von der anderen Seite der Grundstücksgrenze. Ihnen schiebt man dann die Schuld zu.

Was fehlt also noch im Baukasten, mit dessen Teilen sich die Populisten ihre Welt zusammensetzen? Genau. Die Fremdbestimmung. Die amerikanische Unterschrift unter einem Vertrag zur Begrenzung der Kriegsmarine sei null und nichtig, sagt der Präsident. Von nun an bestimme Amerika, nicht die Europäer und die Asiaten, wie viele Kriegsschiffe es zur Verteidigung seiner Grenzen brauche. Hammond verknüpft das mit dem obersten Ziel seiner Politik, der ausgeglichenen Bilanz. Die schwarze Null muss stehen, wie man heute sagen würde.

Damit der Präsident den Haushalt ausgleichen kann müssen Deutsche, Briten und Franzosen ihre Schulden zahlen. Einem nackten Mann, sagen die Delegierten sinngemäß, kann man nicht in die Tasche greifen. Der Präsident hat sich dafür eine Lösung überlegt. Er erklärt vor den Ohren der gesamten Welt, dass die Schuldner nicht zahlen können, weil sie ihr Geld lieber in Kriegsschiffe stecken. Das ist jetzt nicht ganz logisch, weil die Europäer auch dafür gescholten werden, dass sie die eigene Verteidigung nicht finanzieren wollen, aber egal.

Die logische Unwucht kommt daher, dass das Anliegen des Präsidenten in Tweeds Romanvorlage, der Weltfrieden, im Film zu stark mit Hearsts Leib- und Magenthema überfrachtet wurde, den zahlungsunwilligen Ausländern. Ein gewisses Geschick, das eine mit dem anderen zu verbinden, ist den Filmemachern allerdings nicht abzusprechen. Das ist nicht zuletzt John Huston zu verdanken, der mit Bravour die Aufgabe meistert, sich vom bissigen Schuldeneintreiber in einen um die Zukunft der Menschheit besorgten Staatenlenker zu verwandeln (dem die Dummheit der Welt die Kräfte raubt).

Wilde Tiere

Für Hammond ist die Schuldenkonferenz ein Feld der Auseinandersetzung, auf dem man keine Kompromisse sucht und sich nicht vertagt. Einer muss den Platz als Sieger verlassen (so kommuniziert es derzeit auch Donald Trump). Das kann nur der amerikanische Präsident sein. Wenn der amerikanische Steuerzahler bluten muss, weil die anderen Kriegsschiffe bauen, will Hammond mehr Kriegsschiffe bauen, bis er eine Flotte hat, neben der die britischen und französischen Zerstörer aussehen "wie Spielzeugschiffe in der Badewanne".

Gabriel Over the White House

Dann folgt die beim Pressegespräch versprochene Demonstration der Stärke. Hammond kündigt die amerikanische "Marine der Luft" an. Am Himmel taucht eine Bomberstaffel auf. Die Delegierten müssen dabei zusehen, wie die Bomber zum Sturzflug ansetzen und zwei ausrangierte Kampfschiffe aus dem Ersten Weltkrieg versenken. Ich finde das heute noch beklemmend. Die Lösung der Probleme auf der Welt sei ganz einfach, sagt der Präsident ins Radiomikrophon, damit ihn die Völker der Erde hören können. Die Staaten vernichten ihr Waffenarsenal, gleichen ihre Haushaltsdefizite aus und stellen die Ehre unter den Nationen wieder her (soll heißen: die Europäer überweisen, was dem amerikanischen Steuerzahler zusteht).

Eine Alternative gibt es auch: Wenn die anderen nicht tun, was der Präsident verlangt, bauen die USA eine Luftwaffe auf, die so gewaltig ist, dass sie alle anderen Länder in Schutt und Asche bomben kann. Hammond entwirft dazu ein Bild vom Krieg der Zukunft, der mit Bombern, Giftgas, Todesstrahlen und unvorstellbar zerstörerischen Sprengstoffen die Erde entvölkern werde bis keine Menschen mehr übrig sind, sondern nur noch "die weniger grausamen, weniger destruktiven und weniger dummen … wilden Tiere".

Hammonds Ansprache ist eine seltsame Mischung aus Pazifismus, erhobenem Zeigefinger und der Lust an Vernichtung und Untergang. Huston steigert sich da in einen Furor hinein, der fast darüber hinwegtäuschen könnte, dass es der von ihm gespielte Präsident in der Schwebe lässt, ob auch die USA ihr Waffenarsenal verschrotten oder ob sie es behalten werden, um zu überwachen, dass die übrigen Nationen sich an den Vertrag halten und nicht wieder aufrüsten (oder um aus anderen Gründen eingreifen zu können, wenn das "öffentliche Gewissen" es verlangt). Da zeichnet sich bereits die nach 1945 von den Amerikanern übernommene Rolle als Weltpolizist ab.

Gabriel Over the White House

Wer genau hinschaut entdeckt einen Japaner, der sich unter die Delegierten aus Europa verirrt hat. Wahrscheinlich ist der Mann ein Überbleibsel aus Tweeds Roman, wo es nicht die schlechte Zahlungsmoral der Europäer ist, die den Präsidenten zu seiner Abrüstungsinitiative bewegt, sondern ein besonders sinnloser und zerstörerischer Krieg zwischen Russland und Japan. Im Rückblick erhält das eine pikante Note, weil einen die Zerstörung amerikanischer Kriegsschiffe aus der Luft an den japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 erinnert, der den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg zur Folge hatte.

Ressentimentpolitik

Einige der Delegierten stehen mit offenem Mund da, während Präsident Hammond sein Untergangsszenario entwirft. Am Ende haben alle verstanden und signalisieren ihre Zustimmung, weil es in diesem Film die einfache Lösung tatsächlich gibt. Der Stärkste zwingt allen anderen auf, was er von ihnen haben will. Legitimiert wird das dadurch, dass der Präsident durch sein kompromissloses Vorgehen den Weltfrieden sichert und die Erde vor der Zerstörung bewahrt. Der Zweck heiligt die Mittel. Und der amerikanische Arbeiter hat endlich wieder einen Job, weil die Ausländer ihre Schulden bezahlen.

Im Film klappt das sehr gut. Aber in der Wirklichkeit? In der des Jahres 2017 könnte es noch spannend werden - nicht nur bei Rüstung, NATO und Verteidigung, sondern auch, wenn die neue US-Regierung feststellt, dass die Unterstützung des UN-Flüchtlingshilfswerks den amerikanischen Steuerzahler Geld kostet, mit dem man den Abgehängten in den maroden Stahlrevieren vorläufig den Job erhalten könnte, indem man für abwanderungswillige Firmen die Abgaben senkt und bei den Flüchtlingen, die gar nichts haben, weiter einspart.

Nicht alles, was mit den Aufklebern "Frieden" und "Wohlstand" verkauft wird, dient diesen auch. So gruselig wie in Gabriel Over the White House wird es hoffentlich nicht werden. Mit seiner Bomberstaffel deutet der Präsident mehr als nur an, dass er notfalls auch bereit wäre, Krieg zu führen, um die Schulden einzutreiben (den Weltfrieden zu sichern), dies dann aber, ohne es zu wollen, wie Hammond treuherzig versichert. In der Wirklichkeit war es so, dass der Streit wegen der Kriegsschulden nach Roosevelts Amtsantritt im März 1933 munter fortgesetzt wurde.

Die ganzen 1930er über belastete die Debatte das Verhältnis zwischen den USA und großen europäischen Ländern wie Frankreich und dem Vereinigten Königreich. Während sich die anderen zofften baute Hitler seinen Einfluss- und Machtbereich weiter aus. Wenn es um Geld geht wird der Rest gerne ausgeblendet. Den Isolationisten in den USA lieferte der Streit ein Argument, das sie sich kaum besser hätten stricken können. Ob Briten, Franzosen und Amerikaner ohne das Schuldenproblem eine wirkungsvolle Allianz zur Eindämmung von Hitlers Großmachtstreben gebildet hätten oder nicht bleibt spekulativ.

Jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass da ein Grund für den Zweiten Weltkrieg zu finden ist. Als Hitler geschlagen war flammte der Zoff um die Schulden von 1914/18 noch einmal auf. Kulturen haben ein langes Gedächtnis. Die Erinnerung lebt fort, auch wenn die Zeitzeugen längst gestorben sind. Im Laufe der Jahre verformt sie sich. An Gabriel Over the White House kann man sehen, wie sehr sich der Schuldenstreit, ein extrem komplexer Sachverhalt, auf Seiten der Amerikaner bereits 1932 zu einem Ressentiment verdichtet hatte.

Dieses Ressentiment, nehme ich an, ist unterschwellig noch immer da. Trumps Wahlsieg hat gezeigt, wie gut sich solche auf vagen Erinnerungen gegründete Ressentiments instrumentalisieren lassen. Bei Trumps Auftritten vor Wutbürgern und Frustrierten ist der bald hundertjährige Schuldenstreit in Form der europäischen Staaten wieder aufgetaucht, die den Schutz der NATO haben wollen und die Amerikaner dafür zahlen lassen. Manchmal bildet sich in der kollektiven Erinnerung der Kulturen ein Gebräu, für das es keine Formel im Chemiebuch gibt. Mit dem Geschichtsbuch kommt man weiter.

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