Präsident und Dealmaker

Seite 6: Ärger im Hays Office

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Will Hays’ Mann für den Außenhandel war Colonel Fred Herron. Seine Aufgabe war es, Filme auf Elemente zu überprüfen, die hinderlich dabei sein konnten, in anderen Ländern eine Aufführungsgenehmigung zu erhalten. Für Colonel Herron war es das Allerletzte, dass die Repräsentanten anderer Länder als katzbuckelnde und Ausreden erfindende Gauner dargestellt wurden und die Schuldnerländer als "böse Buben, die vor dem Lehrer antreten müssen und eine Lektion erhalten". Verhindern konnte er es erkennbar nicht. Minimal abgemildert wird es durch den Briten. Der würdige Herr darf sagen, dass sein Land die Schulden nicht begleicht, weil auch die von ihm gewährten Kredite nicht zurückbezahlt werden.

Gabriel Over the White House

Hays war wegen des Drehbuchs so beunruhigt, dass er Louis B. Mayer am 16. Februar ein Telegramm mit einer Warnung schickte, und zwar "im Ernst". Er forderte ihn auf, sich persönlich darum zu kümmern, dass Hammond nur mit Vollmacht des Kongresses handelte; dass nichts im Film als Kritik an echten Präsidenten verstanden werden konnte, an Hoover oder Roosevelt; und dass "der spirituelle Blickwinkel" stärker hervorgehoben wurde. Um seiner Forderung mehr Nachdruck zu verleihen nahm er auch Kontakt zu Nicholas Schenck mit, dem Vorstandsvorsitzenden der Loew’s Incorporated, deren Tochterfirma die MGM war.

Mayer versprach Hays und Schenck, was sie von ihm hören wollten, gab es an Wanger weiter und kümmerte sich nicht weiter um die Sache. Wanger sagte zu, was von ihm verlangt wurde, um sich dann ein Beispiel an der Paramount zu nehmen, seinem alten Arbeitgeber. Bei She Done Him Wrong hatte die Paramount vorgeführt, wie man die Hüter des Production Code ausmanövrieren konnte. Geschwindigkeit hieß das Zauberwort. Dr. Wingate rieb sich nach der Lektüre des Drehbuchs noch verwundert die Augen, da war der Film schon fertig. Wanger wollte es mit Gabriel Over the White House genauso machen.

Gregory LaCava kam mit sehr ökonomischen 18 Drehtagen aus. Bereits am 1. März saß Mayer in Glendale, sah sich den von Wanger abgelieferten Film an und fiel aus allen Wolken. Für Mayer war Gabriel Over the White House ein Angriff auf seinen Freund Herbert Hoover und auf die Republikanische Partei. Erzählt wird, dass er einen fürchterlichen Wutanfall bekam und Eddie Mannix anwies, den Film verschwinden zu lassen. Mannix war bei der MGM der "Fixer", also der Mann, der Ärger der Stars mit Polizei und Justiz bereinigte, bei ungewollten Schwangerschaften half und generell in Ordnung brachte, was geregelt werden musste.

Gabriel Over the White House aus der Welt zu schaffen war nicht so einfach. Mayer befand sich in einer peinlichen Lage, weil er Hays und Schenck versprochen hatte, sich persönlich zu kümmern und es nicht getan hatte. Wanger hatte bisher 180.000 Dollar ausgegeben. Nach MGM-Maßstäben war das sehr billig, aber Geld war es doch. Ein großer Batzen davon kam von Hearst, was die Angelegenheit weiter verkomplizierte, denn der Film firmierte nun als Cosmopolitan-Produktion. Hearst war das sehr wichtig gewesen. Am Zug war jetzt Will Hays.

Hays hatte allen Grund, sich die Haare zu raufen. Seit er Präsident der Produzentenvereinigung MPPDA geworden war predigte er den Studios, dass sie um zwei Bereiche einen großen Bogen machen sollten, weil sie nur Ärger brachten: Sex und Politik. Jetzt musste er einen Film sehen, in dem Jud Hammond mit seinen Saufkumpanen aus der Partei mit viel Alkohol auf die Präsidentschaft anstieß (in der Prohibitionszeit), seine Geliebte zum Schäferstündchen ins Weiße Haus kommen ließ und dann durch einen Schlag auf den Kopf eine Läuterung erfuhr, zum Diktator wurde und zeigte, wie man von der Demokratie angeblich nicht zu bewältigende Probleme löst.

Hays war so sauer, dass er den Vorstand der MPPDA in New York zu einer Sondervorführung zusammentrommelte. Am 6. März gab es mehrere Sichtungen im Beisein von Nicholas Schenck und anderer Herren aus der Führungsetage der Loew’s Incorporated. Inzwischen war Hearsts Traum geplatzt, an dem Tag Premiere zu feiern, an dem Roosevelt als 32. Präsident der USA vereidigt wurde. Das wäre der 4. März 1933 gewesen. Hays hatte für solche Wünsche kein Verständnis. Hearst warf später Mayer vor, ihn nicht genug unterstützt zu haben, was mit einiger Verzögerung zum Bruch zwischen ihm und der MGM führte.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen

Als früherer Strippenzieher der Republikanischen Partei und Experte für Politmauscheleien empfand Hays es wahrscheinlich als persönlichen Affront, dass Hammond alte Kumpels und Parteifreunde zu Ministern macht und die fachliche Qualifikation dabei erkennbar keine Rolle spielt. Das dürfte nicht nur ihn an die von Nepotismus geprägte Administration von Präsident Warren G. Harding erinnert haben, in dessen Kabinett er Postminister gewesen war, zum Dank für erwiesene Dienste bei Hardings skandalumwitterter Nominierung und beim aus dubiosen Finanzquellen gespeisten Wahlkampf.

Besonders empörend fand es der Minister a. D., dass die Handlung keineswegs in einer unbestimmten, jedenfalls aber fernen Zukunft angesiedelt war, wie man ihn hatte glauben lassen. Konkrete Datumsangaben gibt es nicht. Aber einer der arbeitslosen Veteranen sagt, dass die USA ihre Bürger vor 17 Jahren in den Krieg geschickt haben. Demnach wären wir im Jahre 1934 (am 6. April 1917 erklärten die USA dem Deutschen Reich den Krieg). Damit war der Ausweg versperrt, das Ganze zur von der Tagesaktualität losgelösten Phantasie zu erklären, und Gemeinsamkeiten mit tatsächlich existierenden Personen zu zufälligen und nicht beabsichtigten Ähnlichkeiten.

David Lloyd George

Die nicht so zufälligen Ähnlichkeiten gibt es schon in der Romanvorlage von Thomas F. Tweed. Der Präsident im Roman, Baralong Rinehard, ist - wie bereits erwähnt - ein verkapptes literarisches Portrait des britischen Premierministers David Lloyd George, den Tweed in seiner Funktion als dessen Sekretär und Berater gut kannte. Lloyd George hatte eine Privatsekretärin, Frances Stevenson, die auch seine Langzeitgeliebte war und offenbar, trotz der schwierigen Begleitumstände, ein sehr unabhängiger Geist. Die beiden heirateten 1943 - zwei Jahre, nachdem die erste Mrs. Lloyd George gestorben war. Eine Scheidung wäre nicht in Frage gekommen.

Frances Stevenson

Es scheint wohl so gewesen zu sein, dass Miss Stevenson zwischendurch auch Thomas Tweed ihre Gunst gewährte. Der Vater ihres Sohnes war vermutlich Lloyd George, doch einige Historiker halten Tweed für einen ernst zu nehmenden Kandidaten. Frances Stevenson war das Vorbild für Independence "Pendie" Malloy, Rinehards Privatsekretärin. Der Erzähler findet Pendie extrem gut. Tweed war zu sehr Gentleman, um die eigenen intimen Kenntnisse in bare Münze zu verwandeln und mit dem Versprechen auf intime Enthüllungen zum Kauf des Buches anzureizen. Vielmehr nützte er den Roman für ein Dementi.

Gerüchte über eine Affäre zwischen Pendie und Rinehard (Miss Stevenson und Lloyd George), sagt Hartley "Beek" Beekman, der Sekretär des Präsidenten, entbehrten jeder Grundlage. Tweeds eigene Affäre mit Miss Stevenson wird in eine neue Dreiecksbeziehung transformiert. Der Sekretär ist Pendie in platonischer Liebe zugetan, würde ihr das aber niemals eingestehen und hat auch keine Hoffnung auf eine nicht so platonische Beziehung (wie die zwischen Tweed und Miss Stevenson), weil seine Angebetete exklusiv den Film- und Fernsehproduzenten Peale Lindsey liebt und heiratet.

So viel Diskretion war Walter Wangers Sache nicht. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, aus Pendie die Geliebte des Präsidenten zu machen. Gleich die erste Nacht im Weißen Haus verbringt Hammond mit der selbstbewussten Dame, die er dann als seine Privatsekretärin installiert, damit das auch so weitergehen kann. In den Räumen des Präsidenten steht auf einem Bücherregal ein Portrait von Warren G. Harding, neben einer Vase.

Gabriel Over the White House

Einmal sieht man das Photo, wenn Hammonds Leibwächter Nick Diamond hinauseskortieren, weil ein Gangster im Weißen Haus nichts verloren hat. Ein andermal, kurz vor dem Ende, steht der Leibarzt des Präsidenten neben dem Bild. Dazu muss man wissen, dass der Schluss ursprünglich so sein sollte wie im Roman: Hammond verliert das Bewusstsein und wacht als der wieder auf, der er vor dem Autounfall war, also als Reinkarnation von Harding, der den "good old boy" gab und einer Regierung vorstand, die öfter als jede andere als die korrupteste in der Geschichte der Vereinigten Staaten genannt wird.

Tochter des Präsidenten

Falls das keine absichtliche, auf Will Hays abzielende Provokation war ist sie als solche trotzdem sehr gelungen. Das Liebesleben des 1923 verstorbenen 29. Präsidenten der USA war Gegenstand wüster Spekulationen (inklusive amouröser Begegnungen in einem Wandschrank des Weißen Hauses, in dem Mäntel aufgehängt wurden, wenn der Präsident keine andere Verwendung dafür hatte), seit Nan Britton 1928 ihr Buch The President’s Daughter veröffentlicht hatte. Darin behauptet sie, sechs Jahre lang die Geliebte von Harding gewesen zu sein und 1919, als er noch Senator von Ohio war, eine Tochter mit ihm gezeugt zu haben.

Geschrieben hatte das Werk wahrscheinlich Richard Wightman, Chef der Bible Corporation of America, für die Miss Britton damals als Sekretärin arbeitete. Wightmans Unternehmen hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Menschen das Wort Gottes zugänglich zu machen, und zwar am besten in illustrierter Form, weshalb die Firma eine Bibel mit vielen Bildern vertrieb. Ein Buch wie The President’s Daughter war da sicher eine nette Abwechslung, wiewohl man sagen muss, dass insbesondere das Alte Testament viel härtere Kost zu bieten hat.

Kein Verlag wollte The President’s Daughter veröffentlichen. Die streitbare Nan Britton gründete deshalb eine Organisation zur Vertretung der Interessen außerehelich gezeugter Kinder, die Elizabeth Ann Guild (benannt nach ihrer Tochter), die Druck und Vertrieb übernahm. Die auch bei der Filmzensur sehr engagierte New York Society for the Suppression of Vice machte unfreiwillig Reklame für das Buch, als sie die New Yorker Polizei dazu brachte, die bereits bedruckten, aber noch nicht gebundenen Bögen und die Druckplatten zu konfiszieren.

Ein Richter ordnete an, dass alles zurückgegeben werden musste, weil es gesetzwidrig war, ein noch nicht erschienenes Buch zu beschlagnahmen (eine ähnliche Abfuhr holte sich später der 37. US-Präsident, Richard M. Nixon, als er versuchte, das noch nicht montierte Material zu Emile de Antonios Dokumentarfilm Underground vom FBI abholen zu lassen, aber das ist wieder eine andere Geschichte). Um die Skandalpresse nicht zu weiteren Enthüllungsberichten zu provozieren sah Hardings Familie davon ab, Nan Britton zu verklagen.

Die Hardings behaupteten allerdings, dass der Verstorbene infolge einer Mumpserkrankung zeugungsunfähig und daher nicht der Vater von Elizabeth Ann gewesen sein könne. 2015 ergab ein am Sohn der mutmaßlichen Präsidententochter vorgenommener DNS-Test, dass das nicht stimmte. Laut wissenschaftlichem Befund war Elizabeth Ann tatsächlich Hardings Tochter. Das Voranschreiten der Technologie, kommentierte damals die New York Times, schreibe zunehmend die nationalen Geschichtsbücher um.

Zuvor hatte ein DNS-Test ergeben, dass einer von acht Kandidaten aus der Familie von Thomas Jefferson mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Vater von zumindest einem der sechs Kinder von Sally Hemings war. Thomas Jefferson war der Hauptautor der Unabhängigkeitserklärung und der dritte Präsident der USA; Sally Hemings war seine Sklavin. Im Jahr 2000 widmete der Sender NBC dem Drama eine Miniserie, Sally Hemings: An American Scandal, die mit dem tollen Slogan "Bound by slavery. Freed by love." beworben wurde.

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