Präsident und Dealmaker
Seite 2: Gangster und Generäle
Da dem Publikum die Diktatur schmackhaft gemacht werden soll tut der Präsident natürlich nur, was gut und richtig ist. Hammond befiehlt dem Kriegsminister, die Arbeitslosen mit Essen, Medikamenten und Zelten zu versorgen, statt auf sie zu schießen und gewaltsam ihr Lager aufzulösen. Im Ersten Weltkrieg, sagt er, habe man Tonnen von Nahrungsmitteln an hungernde Russen, Chinesen und Belgier gegeben. So etwas müsse auch für Amerikaner möglich sein. (Belgien ist übrigens ein Land in Europa, auch wenn es Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Atlanta zur - immerhin - "beautiful city" schrumpfte.)
Das klingt erst mal gut, hat aber seine Tücken. Der Film teilt mehrfach mit, dass es den Amerikanern viel besser gehen würde, wenn sie sich zuerst um sich selbst und nicht um die anderen kümmern würden. Im Populismus ist das ein beliebtes Mittel. Die anderen sind schuld, die Ausländer vorzugsweise. Wer das mag sollte berücksichtigen, dass solche Welterklärungsmodelle darauf beruhen, einzelne Gruppen gegeneinander auszuspielen. Das hört dann nie mehr auf. Ehe man es sich versieht ist man selbst einer von den Schuldigen.
In Gabriel Over the White House sind es die Europäer, die korrupten Eliten und die Gangster, deretwegen die Welt im Argen liegt und das Volk hungern muss. Über die herausgehobene Bedeutung der Gangster wundert man sich ein bisschen. Die abgesetzten Minister versuchen, gegen den Präsidenten zu konspirieren, doch sein gefährlichster Gegenspieler ist ein Mafioso namens Nick Diamond. Der Darsteller, C. Henry Gordon, könnte einen guten Doppelgänger von Al Capone abgeben, wenn er fülliger wäre.
Seinen Namen verdankt der Gangster dem legendären Jack "Legs" Diamond, auch als "Gentleman Jack" bekannt, der nicht mehr klagen konnte, weil er im Dezember 1931 erschossen worden war (der beste Film dazu ist The Rise and Fall of Legs Diamond von Budd Boetticher). Das macht schon klar, dass es da einen starken kommerziellen Aspekt gab. Mit Gangstern und Maschinenpistolen ließ sich die Geschichte aufpeppen und der Gefahr vorbeugen, dass Gabriel Over the White House zum politischen Seminar geriet.
Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität - oder besser: das Versagen des Präsidenten Hoover auf diesem Gebiet - war ein Lieblingsthema der Hearst-Presse. Ganz uneigennützig war das nicht. Mit Sensationsreportagen über brutale Gangster ließ sich prächtig die Auflage steigern. Vorwürfen, er verherrliche aus Profitgier das Verbrechen, begegnete Hearst, indem er auch Berichte über edle Polizisten drucken ließ, die außer mit den Gangstern auch mit einem korrupten System und mit den Folgen falscher politischer Entscheidungen zu kämpfen hatten.
Im Gefolge der Zensurdebatte der frühen 1930er wurden die Stimmen immer lauter, die ein generelles Verbot des Gangsterfilms forderten. Hollywood reagierte mit Filmen, die den Spieß umdrehten, das erfolgreiche Erzählmuster aber beibehielten. Aus Gangstern wurden Polizisten. Der Prototyp ist The Beast of the City, eine Cosmopolitan-Produktion von 1932. Walter Huston spielt einen Polizeichef, der sich nicht viel mehr um die Gesetze schert als die Verbrecher und mindestens so brutal und rücksichtslos ist wie diese, aber natürlich um der guten Sache willen.
Wie Huston als Präsident Hammond in Gabriel Over the White House den Gangstern das Handwerk legt werden wir noch sehen (im dritten Teil). Vorerst hat er es mit seinem Kriegsminister und mit einem General zu tun (man darf da an MacArthur denken), die wollen, dass das Militär gegen die "Armee der Arbeitslosen" ausrückt. Hammond verbietet das. Auf die Demonstranten schießen dann die Leute von Nick Diamond. Man könnte fast auf die Idee kommen, dass der General auch einer von den Gangstern ist, oder doch wie einer handeln würde, wenn es einen weniger starken Präsidenten gäbe.
Die Verbrecher und nicht die Armee auf John Bronson schießen zu lassen, den Führer der Arbeitslosen, war auch ein Ausweg aus dem Dilemma, dass Hays niemals eine Szene erlaubt hätte wie die vom Juli 1932, als MacArthur Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett gegen vermeintliche Kommunisten ins Feld schickte und Frauen und Kinder mit Tränengas bekämpfte.
Gefährliche Geistesverfassung
Für die Zensoren war das Problem mit dem Protestmarsch damit nicht gelöst. "Sollte es die Industrie in diesen schwierigen Zeiten den Studios erlauben", fragte Wingate in einem Brief an Hays (30.1.), "Filme zu machen, in denen große Gruppen von in Not geratenen, unzufriedenen oder arbeitslosen Leuten in einer gegen die Regierung gerichteten Geistesverfassung massenweise nach Washington gehen, um Gerechtigkeit zu verlangen?" Es sei damit zu rechnen, dass solche Filme das Vertrauen der Bürger in die Regierung noch mehr untergraben und sich "Radikale und die Kommunisten" dadurch ermutigt fühlen würden.
Anfang März ließ sich der echte Präsident, Franklin D. Roosevelt, einen Rohschnitt des Films nach Washington schicken. Anschließend hatte er Änderungswünsche, die offenbar alle eingearbeitet wurden. Auf Vorschlag von FDR marschiert die Armee der Arbeitslosen jetzt nach Baltimore und nicht nach Washington. Secretary of State Brooks warnt davor, dass der Pöbel plötzlich im Regierungsviertel stehen und das Weiße Haus und das Kapitol stürmen könnte. Baltimore war anscheinend weit genug weg von der Hauptstadt, um dieses Szenario nicht mehr so beunruhigend wirken zu lassen, dass man es komplett hätte entfernen müssen.
Die Geistesverfassung amerikanischer Arbeitsloser war längst nicht alles, um das sich Hays mit seinen Leuten kümmern musste. Zu seinem Job gehörte es, das große Ganze im Blick zu behalten. Deshalb tat sich gleich die nächste Baustelle auf. Präsident Hammond will Europa zur Schuldentilgung zwingen. In den USA war das ein Reizthema. Der Sachverhalt ist unübersichtlich. Ausgangspunkt war der Erste Weltkrieg. Die Mehrzahl der alliierten Siegerländer musste sich Geld leihen (insgesamt weit über 20 Milliarden Dollar), um das gegenseitige Abschlachten finanzieren zu können. Geberländer waren die USA und Großbritannien, das wiederum Kredite bei den Amerikanern aufnahm. Nach dem Krieg gab es Streit.
Die russischen Revolutionäre weigerten sich, die Schulden des Zarenreichs zu begleichen. Die anderen Staaten betrieben Nullsummenspiele, die nicht richtig funktionierten. Länder wie Frankreich wollten nur zahlen, was sie umgekehrt an Reparationen erhielten, zu denen sich Deutschland im Vertrag von Versailles verpflichtet hatte. Da Deutschland Pleite war erhielten die USA und Großbritannien nichts zurück. Für die Amerikaner war das doppelt ärgerlich, weil auch die Briten bei ihnen in der Kreide standen. Die Briten erklärten, nur soviel von den Deutschen und von den alliierten Siegermächten einfordern zu wollen, wie sie selbst an die Amerikaner zahlten.
Die USA hatten den Versailler Vertrag zwar unterschrieben, doch 1920 weigerte sich der Kongress, ihn zu ratifizieren. Eine Verknüpfung von Kriegsschulden und Reparationen lehnten die Amerikaner danach ab. Das machte alles noch komplizierter. 1924 einigte man sich auf einen vom späteren Friedensnobelpreisträger und US-Vizepräsidenten Charles G. Dawes erdachten Plan, der vorsah, dass sich die Höhe der deutschen Reparationszahlungen Jahr für Jahr an der Wirtschafts- und Stabilitätsentwicklung der Weimarer Republik orientieren sollten. Außerdem enthielt der Dawes-Plan ein Instrumentarium zur Vergabe von Krediten an deutsche Unternehmen.
Deutschland war nun vorerst in der Lage, Reparationen zu leisten, die Alliierten zahlten einen Teil ihrer Schulden bei den USA ab. Dann kam die Weltwirtschaftskrise, mit der die amerikanische Regierung auch deshalb sehr schlecht umgehen konnte, weil Herbert Hoover den Fehler gemacht hatte, den Banker Andrew Mellon als Finanzminister in sein Kabinett zu holen. Mellon dachte, dass man ein von der Krise erfasstes Land wie ein Geldhaus managen könne. Damit machte er alles nur noch schlimmer.
Hoover selbst, US-Präsident von 1929 bis 1933, saß nicht nur untätig im Weißen Haus herum oder sagte Plattitüden auf, auch wenn das oft so dargestellt wird. Hin und wieder versuchte er etwas. Er hatte nur kein Glück dabei. Eine richtig schlechte Idee war die, 1930 den Smoot-Hawley Tariff Act zu unterzeichnen, benannt nach seinen Initiatoren: Senator Reed Smoot aus Utah und Willis C. Hawley, einem Mitglied des Repräsentantenhauses aus Oregon.
Schuldenschnitt
Smoot-Hawley sah das Heil darin, die amerikanische Wirtschaft durch protektionistische Maßnahmen vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Etwas in der Art plant der vom Wirtschaftsprofessor Peter Navarro inspirierte Donald Trump. Navarro ist der Autor mehrerer Bücher, in denen er vor der chinesischen Gefahr warnt. Death by China: Confronting the Dragon gibt es auch als Film, den man mal gesehen haben sollte, wenn man eine Ahnung davon kriegen will, was Trump - vermutlich - so denkt. Als Off-Stimme hat Navarro Martin Sheen angeheuert, von 1999 bis 2006 Fernsehpräsident (The West Wing).
Der President-elect Trump hat angekündigt, chinesische Importe mit drastischen Strafzöllen zu belegen und die aus anderen Ländern ebenso, weil das zum Besten der amerikanischen Industrie und des amerikanischen Arbeiters sei. Falls das Programm ähnlich erfolgreich sein sollte wie Smoot-Hawley wird sich der amerikanische Arbeiter warm anziehen müssen. 1930 wurden die US-Einfuhrzölle auf mehr als 20.000 Produkte stark angehoben. Andere Länder reagierten mit Vergeltungsmaßnahmen und erhöhten ihrerseits die Einfuhrzölle auf amerikanische Produkte. Allerorten gab es Boykottaufrufe.
Nach einem kurzen Strohfeuer (in den Vereinigten Staaten stiegen vorübergehend die Löhne und die Industrieproduktion) brach der Welthandel ein. 1933 war er um zwei Drittel geschrumpft. Monokausale Erklärungsversuche sind meistens viel zu einfach, doch es bestehen kaum Zweifel daran, dass Smoot-Hawley die Weltwirtschaftskrise noch verschärfte. Das führte weltweit zu politischer Instabilität und zum Aufstieg von Diktatoren. Auch der amerikanische Arbeiter war nach Smoot-Hawley schlechter dran als vorher. 1933, als Hoover von Roosevelt abgelöst wurde, hatte sich die Arbeitslosenrate im Vergleich zu 1930 mehr als verdreifacht.
Aber wir waren hier jetzt bei den Kriegsschulden. Wirtschaftsexperten, die gebetsmühlenartig davon reden, wie wichtig das Vertrauen der Märkte sei, gab es damals auch. Um dieses Vertrauen wiederherzustellen und einen Zusammenbruch Deutschlands zu vermeiden, in dem viel amerikanisches Kapital steckte, schlug Hoover ein Moratorium vor. Die Zahlung von Kriegsschulden und Reparationen sollte ein Jahr lang ausgesetzt werden. Die Deutschen fanden das gut und hofften, dass es der Anfang vom Ende der Reparationen sein würde. Die Franzosen waren aus demselben Grund dagegen.
Nach zähem Feilschen trat das Hoover-Moratorium am 6. Juli 1931 in Kraft. Die Wirkung war gleich wieder verpufft, weil ein paar Tage später die Dresdner Bank zusammenbrach. Um den Ansturm der Kunden auf die Geldhäuser zu stoppen erklärte die Reichsregierung den 14. und den 15. Juli zu Bankfeiertagen. Auch die deutsche Bankenkrise verschärfte die weltweite Wirtschaftskrise.
Nach Ablauf des Moratoriums, auf der Konferenz von Lausanne (16. Juni bis 9. Juli 1932), gestanden sich die Gläubigerstaaten ein, dass Deutschland so bald nicht in der Lage sein würde, wieder Reparationszahlungen zu leisten. Die Teilnehmer einigten sich, den Löwenanteil der Reparationen zu streichen und die Zahlung der verbliebenen drei Milliarden Goldmark auf viele Jahre zu strecken. In Kraft treten sollte der Vertrag von Lausanne erst dann, wenn auch hinsichtlich der von den USA gewährten Kriegskredite eine Übereinkunft erzielt sein würde. Eine solche gab es nie.
Das Deutsche Reich war die Reparationen de facto los (nicht aber seine Schulden, die es auch noch gab), obwohl der entsprechende Vertrag nie ratifiziert wurde. Man ahnt, wie das weiterging. Ohne Reparationen auch kein Schuldendienst. Das Vereinigte Königreich, Frankreich und die anderen Alliierten weigerten sich, den Amerikanern wieder Geld zu überweisen. Abbezahlt waren damals gut 10 Prozent der 26,5 Milliarden Dollar. Der Rest ist bis heute offen. Donald Trump hätte da etwas, über das er mit den Europäern reden kann, wenn ihm die Gesprächsthemen ausgehen. Wie groß sein Gemächt ist wissen wir ja schon.
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