Präsident und Dealmaker
Seite 7: Skandal im Weißen Haus
Mag sein, dass nicht nur das Postfaktische und die Verwilderung der Sitten rund um die extrakurrikularen Aktivitäten von Bill "I had no sex with that woman" Clinton Donald Trump 2016 zum Vorteil gereichten. Ich würde nicht ausschließen, dass auch das Faktische, verifiziert durch moderne Technologien, einen Kandidaten, der seine Anhänger mit sexistischen Sprüchen erfreut und Frauen begrapscht, als Anwärter auf die Präsidentschaft weniger absurd wirken ließen, als es früher der Fall gewesen wäre.
Mit "früher" meine ich die Zeit, als noch das Bild vom Präsidenten als einem allzeit tugendhaften Ehemann und Familienvater verbreitet wurde, das ohnehin meistens eine Lüge war. Franklin D. Roosevelts Geliebte hieß Lucy Mercer und war die ehemalige Sekretärin seiner Gattin. Eleanor hatte er versprochen, die Affäre zu beenden, wenn sie sich nicht scheiden ließ, sich aber nicht daran gehalten. Und Will Hays? Er müsste eigentlich auch ohne DNS-Test über die amourösen Verstrickungen im Leben von Roosevelts Vor-Vor-Vorgänger Harding Bescheid gewusst haben, weil das sein Job gewesen war.
Als Vorsitzender der Republikanischen Partei, der Harding auf den Thron gehoben und seinen Wahlkampf organisiert hatte, musste er über solche Dinge auf dem Laufenden sein, um drohenden Enthüllungen rechtzeitig begegnen zu können. Es war gerade sein Ruf als Verhinderer oder wenigstens geschickter Moderator von Berichten über allfällige Skandale gewesen, der ihn so nachdrücklich für den Posten als Präsident der Produzentenvereinigung empfohlen hatte. Historiker gehen davon aus, dass er sich nicht nur um die Post kümmerte, als er Minister in Hardings Kabinett war.
Wie wohl der 29. US-Präsident in den Augen der Nachwelt heute dastünde, wenn er seinen Strippenzieher und Problemlöser nicht an die Filmindustrie verloren hätte? Was Hays wohl dachte, als er beim Studium von Gabriel Over the White House seiner politischen Vergangenheit begegnete, in Form des Harding-Portraits in der Präsidentenwohnung (aber wenigstens nicht im Wandschrank)? Und wie angenehm es doch ist, ein skandalfreies Präsidentenpaar im Weißen Haus zu haben, für das man sich nicht schämen muss. Was das bedeutet werden die Amerikaner erst richtig begreifen, wenn die Obamas ausgezogen sind.
Im Penthouse bei Nick Diamond
Die Liebesbeziehung zwischen Jud und Pendie wurde von Hays verboten. Um alle Zweifel daran zu zerstreuen, dass der Präsident nicht mit der Sekretärin schläft, musste diese einen Partner erhalten, den sie lieben und heiraten kann und der nicht der Präsident ist. Im Roman ist das der Produzent Peale Lindsey. Ihn noch rasch einzubauen hätte zu viele Änderungen erfordert und wäre auch nicht ratsam gewesen, weil das einen Grad an Selbstreflexivität mit sich gebracht hätte, an dem weder Hays noch Wanger oder Hearst gelegen war.
Damit kommen wir nun zu den Gangstern, neben der Massenarbeitslosigkeit und der Rüstung (bzw. den nicht bezahlten Kriegsschulden der Europäer) Problem Nummer Drei auf der Agenda des zum Diktator gewordenen Präsidenten. Den Mafiaboss Nick Diamond lernen wir in seinem luxuriösen Penthouse in New York kennen, von dem aus man einen Blick auf das Empire State Building hat (den Trump Tower gab es noch nicht). Eingerichtet hat das Penthouse der Produktionsdesigner Cedric Gibbons, der ein Faible für den Art-déco-Stil hatte (vom ihm ist die Oscar-Statuette, die er selbst elf Mal gewann).
Von Diamond sehen wir zunächst nur sein Photo, auf einer Karte aus der Verbrecherkartei der Polizei. In dieser Karte sind mehrere Informationen verdichtet, wie sie der Populismus liebt. Der Mann heißt eigentlich Antone Brilawski. Seine Verbrecherlaufbahn hat er als Auftragskiller begonnen. Nach zwei Morden saß er in Sing Sing ein. Nach zwei Jahren wurde er entlassen. Aha, soll man sich da denken, das Böse kommt aus dem Ausland, der englisch klingende Name Nick Diamond ist nur angenommen. Mit solchen kriminellen Ausländern wird viel zu lax umgegangen. Jetzt ist dieser Brilawski Boss eines Verbrechersyndikats. Hätte man ihn damals hingerichtet wäre das nicht passiert.
Zwischendurch bemerkt, und weil sich die Mehrheit unserer österreichischen Nachbarn gerade geweigert hat, den Rechtspopulisten Norbert Hofer zum Präsidenten zu machen: Die Einführung der Todesstrafe für Auftragskiller tauchte während einer bizarren Autofahrt wieder auf, die Hanno Settele 2013 mit Frank Stronach unternahm, als der milliardenschwere Industrielle und Gründer der von ihm autokratisch geführten Partei Team Stronach österreichischer Bundeskanzler werden wollte. Vielleicht dachte der alte Herr an noch ältere Filme, als er diese spontane Idee äußerte, die ihn dann um alle Wahlchancen brachte.
Gute Geschäfte
Da Populisten immer ein korruptes System zerschlagen wollen darf im Penthouse der korrupte Polizist nicht fehlen. Bestimmt war es auch ein korrupter Richter, der den Killer Brilawski nach nur zwei Jahren wieder freiließ, oder wie sollte man sich das sonst erklären? Der Polizeiinspektor jedenfalls wurde von Nick Diamond bestochen und hat dessen Vorstrafenregister aus der Verbrecherkartei verschwinden lassen. Auf dem Weg nach draußen, beim Luxusaufzug, begegnet der Inspektor John Bronson, dem Führer der Armee der Arbeitslosen, die im Film eine Million Mitglieder zählt (in der Wirklichkeit brachte es die "Bonus-Armee" des Sommers 1932 auf knapp 50.000 Menschen).
Merke: Während Mörder und Verbrecher in Saus und Braus leben und auch die staatlichen Repräsentanten des korrupten Systems wie der Inspektor ihr Stück vom Kuchen kriegen muss der amerikanische Arbeiter in Camps für Obdachlose hausen, weil er durch die Wirtschaftskrise alles verloren hat. Auch daran verdient Nick Diamond. Seit die Polizei die Camps bewachen muss und die Ehrlichen unter den Beamten keine Zeit mehr haben, sich um die Verbrecher zu kümmern, steigen seine Profite. So soll es bleiben.
Mich erinnert das an Fritz Langs (ganz unpopulistischen) Kriminalfilm M. Da beschließt die von Gustaf Gründgens angeführte Berliner Unterwelt, selbst Jagd auf den von Peter Lorre gespielten Kindermörder zu machen, weil die dauernden Razzien der Polizei schlecht für die Geschäfte sind. (Walter Wanger produzierte 1937 Langs zweiten Film im amerikanischen Exil, You Only Live Once. 1945 gründete er mit seiner damaligen Ehefrau Joan Bennett und Lang eine eigene Firma, die Diana Productions, auf deren Konto zwei sehr gute Films noirs gehen: Scarlet Street und Secret Beyond the Door.)
In Gabriel Over the White House ist es so ähnlich. Damit die Geschäfte weiter so gut laufen können bietet Diamond John Bronson Geld. Dafür soll er den geplanten Protestmarsch absagen und mit seinen Leuten in den Camps bleiben, damit auch die Polizei dort bleiben muss, wo sie ist. Anders als der Inspektor ist Bronson nicht bestechlich. "Wir gehen nach Washington", sagt er, "um uns diese Regierung anzuschauen, die anständige Menschen hungern lässt und einem Haufen Geiern Vorschub leistet." Damit kündigt er genau das an, was eigentlich nicht sein sollte: Arbeitslose und Entrechtete, die der Regierung direkt auf den Pelz rücken.
Washington als Ziel ist ein Überbleibsel aus einer früheren Fassung des Films. In der Kinoversion marschieren die Arbeitslosen nach Baltimore wie von Roosevelt vorgeschlagen. Dadurch wurde ein Protestmarsch daraus, der nicht ganz so bedrohlich wirkt wie einer, an dessen Ende eine Million Arbeitslose in Washington stehen, um der Regierung auf die Finger zu schauen. Während des Marschs lässt Nick Diamond Bronson aus einem fahrenden Auto heraus erschießen. Das ist eine der Actionszenen, die Wanger haben wollte, um den Film publikumswirksamer zu machen.
Kinopropaganda
Im Roman ist Bronson der Anführer einer Gruppe von 3000 Obdachlosen, die in Chicago von Gangstern angegriffen werden. Der Gouverneur verweigert ihnen den Schutz durch die Nationalgarde. Auf dem Weg nach Springfield wird Bronson erschossen. Gemeint ist nicht das Springfield der Simpsons, sondern die kleine Stadt in Illinois, wo Abraham Lincoln seine Anwaltskanzlei hatte und eine seiner berühmtesten Reden hielt, in der er das Evangelium nach Markus (3:25) zitierte, um vor dem Zerfall der Nation zu warnen: "A house divided against itself cannot stand."
Präsident Rinehard gibt daraufhin beim Studioboss Peale Lindsey einen Propagandafilm in Auftrag, in dem Bronson "einen höchst melodramatischen Tod sterben soll, angereichert mit allem, was dabei half, Sentimentalität und Patriotismus zu stimulieren", wie Beekman, Rinehards Sekretär und der Erzähler des Romans, angewidert feststellt. "Jeder nur denkbare Kunstgriff der Filmindustrie sollte die Bösartigkeit der Gangster akzentuieren, und es sollte Passagen geben, die nichts weniger waren als unverhüllte Angriffe auf Offizielle vor Ort, die es versäumt hatten, die glücklosen Obdachlosen zu unterstützen."
Beekman mag keine Manipulation. Für ihn ist dieser Film "die schlimmste Gräuelpropaganda, die dem geduldigen und fügsamen amerikanischen Kinogeher je angetan wurde. Bevor der symbolische Bronson tot umfiel sollte er sich in Old Glory hüllen [das Sternenbanner] und an den Präsidenten als den einzigen Retter der Nation appellieren. Bevor sich seine Augen schlossen sollte ihm eine Vision von der Zukunft gewährt werden, von einem glücklichen und zufriedenen Land, bei der Arbeit wie beim Spiel."
Der Präsident zahlt für dieses "monströse Tamtam" aus eigener Tasche, was aber geheim bleiben muss (als Spross einer Unternehmerfamilie hat Rinehard ein Vermögen geerbt). Sein privater Reichtum hilft auch dabei, den Film in jedem Kino des Landes unterzubringen. "Mir wurde dabei ganz schlecht", kommentiert Beekman. "Es schien mir eine billige, geschmacklose Propaganda zu sein, und absolut sinnlos." Der Film mag geschmacklos sein, erfüllt aber seinen Zweck. Er läuft mit so großem Erfolg in den Kinos, dass der Präsident als heimlicher Finanzier sogar Profit macht.
"Von der technischen Qualität und von der Kameraarbeit her war der Film brillant gemacht", sagt Beekman, "und die schauspielerischen Leistungen waren über jede Kritik erhaben, aber die Geschichte war banal bis zum Gehtnichtmehr. Ich krümmte mich, als ich ihn mir ansah." Beekman ist mit seinem Abscheu nicht allein. Senatoren, Kongressabgeordnete und Privatleute im ganzen Land verlangen von Rinehard, den Film zu verbieten, weil er zur Störung der öffentlichen Ordnung anstachele. Der Präsident tut nichts dergleichen, weil der Film ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Alleinherrschaft ist.
In Anerkennung seiner Verdienste um die erfolgreiche Indoktrination der Amerikaner darf Lindsey das neu geschaffene Ministerium für Volksinformation leiten (in Deutschland, unter Joseph Goebbels, hieß es Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda). Gabriel Over the White House verzichtet wohlweislich auf den Produzenten und seinen Propagandastreifen, weil er selbst der Propagandafilm für eine Diktatur ist. Darauf durch einen Film im Film gesondert hinzuweisen wäre kontraproduktiv gewesen. Nicht nur Goebbels wusste, dass Propaganda dann am wirkungsvollsten ist, wenn man nicht gleich merkt, dass sie eine solche ist.
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