Schauplatz Irak

Wieder wurde eine Geisel getötet, während die irakische Übergangsregierung hart durchgreifen will und neben den zahlreichen Männergruppen auch erstmals eine Frauengruppe auftritt

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Mit Härte will die neue irakische Übergangsregierung Sicherheit im Land herstellen. Der irakische Übergangspräsident al-Jawar bestätigte noch einmal, dass die Todesstrafe wieder eingeführt werden soll, die von der US-Verwaltung abgeschafft wurde. In welcher Form sie vollzogen werden soll, sagte er allerdings nicht. In Saudi-Arabien werden bekanntlich jedes Jahr Dutzende von Menschen enthauptet, eine Hinrichtungsmethode, die auch von Terroristen und Aufständischen im Irak praktiziert wird. Ist die Enthauptung in Saudi-Arabien ein öffentliches Schauspiel, so führen die Geiselnehmer ihre Morde über Videos der Öffentlichkeit vor. Die Entführer des philippinischen Lastwagenfahrers scheinen sich derzeit mit ihren Forderungen durchsetzen zu können, die der beiden Bulgaren haben eine ihrer Geiseln getötet. Aber auch in der Konkurrenz der Gruppen im Irak ist ein neues Element im Spiel: Eine Frauengruppe droht nun im gleichen Stil wie die bislang dominierenden Männergruppen den Rechtsanwälten Saddam Husseins den Tod an.

Über 500 Gefangene machte die Polizei bei einer Razzia in Bagdad. Menschen wurden auch auf der Straße festgenommen, offenbar gab es gelegentlich Schusswechsel. Dieses Mal hatten sich die US-Soldaten zurück gehalten, wie al-Dschasira berichtet nachdem es in der Folge der letzten großen Razzia zu Konflikten zwischen US-Militär und irakischen Polizisten über den Umgang mit den Festgenommenen gekommen ist (In der Zwickmühle). Die meisten Festgenommenen seien, so ein Polizeisprecher, Kriminelle, die bereits unter Hussein im Gefängnis saßen, aber von ihm dann vor dem Krieg frei gelassen wurden.

Neben anderen Straftaten hat sich im Irak die Entführung ausgebreitet, um Lösegeld zu erpressen. In der letzten Woche alleine habe die Polizei vier Personen und ein 11-jähriges Kind aus den Händen von Entführern befreien können. Sie haben keine politische Ambitionen wie die Gruppen, die durch die Entführung von Ausländern den Abzug der Koalitionstruppen erzwingen wollen, sondern betreiben ein Geschäft. Nach der Polizei lässt sich ein Ansteigen der Kriminalität verzeichnen, was auf die große Menge der Waffen in den Händen der Bevölkerung, vor allem aber auf Armut und Arbeitslosigkeit zurückzuführen sei. So seien 75 Prozent der jungen Menschen arbeitslos.

Den Entführern des Philippiners Angelo de la Cruz, die mit dessen Enthauptung drohen, geht es nicht ums Geld. Sie haben ein Lösegeld abgelehnt, so soll ein philippinischer Diplomat berichtet haben, wie dies auch bereits Sarkawi im Fall von Nicholas Berg gemacht haben will. Die Entführer verlangen, dass die philippinische Regierung ihre Soldaten bis zum 20. Juli aus dem Irak abzieht. Diese gibt zwar nach, will dies aber nicht zu deutlich als Erfolg der Erpressung erkennen lassen, da die US-Regierung starken Druck auf sie ausübt. Daher heißt die Lösung zweideutig: "Sobald wie möglich." Im US-Außenministerium zeigte man sich über dieses Nachgeben "enttäuscht". Tatsächlich ist zu erwarten, dass bei einem Nachgeben die Welle der Entführungen anhalten oder sich gar verstärken dürfte.

Die Gruppe Tawhid wal Jihad, die die beiden bulgarischen Zivilisten festhält und Sarkawi nahestehen soll, hat inzwischen eine Geisel getötet. Wieder hatte man in der gewohnten Medienstrategie ein Video, auf der die Ermordung als Exekution vorgeführt wird, an al-Dschasira eingeschickt. Der Sender will sich aber nach heftiger Kritik nicht mehr zum Instrument machen und hat das Video nicht veröffentlicht. Die Entführer drohen, auch die nächste Geisel zu töten, wenn ihre Forderungen nach Abzug der bulgarischen Soldaten nicht erfüllt werden. Die bulgarische Regierung will bislang der Erpressung nicht nachgeben.

Große Aufregung gab es allerdings, nachdem angeblich auf der Website albasrah.net eine Drohung - womöglich von al-Qaida - gegen neun Schifffahrtsgesellschaften aufgetaucht sei, wenn sie weiterhin militärische Ausrüstung für die USA in den Irak liefern. Die koreanische Regierung gab daraufhin eine Warnung aus. Man hat Angst, dass möglicherweise die US-Soldaten, die von Korea in den Irak verlegt werden sollen, ein Ziel sein könnten.

Die Betreiber der Website, die stark anti-amerikanisch ausgerichtet ist und für den "Befreiungskampf" der Muslims eintritt, dafür auch alle Bilder und Videos von Gräueltaten der Besetzer sammelt, erklärten hingegen, dass auf ihrer Seite kein solcher Aufruf publiziert worden sei. Die Absichte der Website sei es, "wahre Informationen" über den Irak zu liefern und die "wirklichen Gründe" der Besetzung sowie die "Lügen der Verbrecher" zu offenbaren. Natürlich ist man für die Pressefreiheit und kämpft gegen das Böse. Interessant ist freilich, dass beteuert wird, dass es im Irak weder al-Qaida-Kämpfer noch den mysteriösen al-Sarkawi geben soll.

Um die Wirren noch größer zu machen (Terrortheater), hat sich nun auch eine Frauengruppe den Medien präsentiert, die sich Banat Iraq al-Yawm (die Frauen des heutigen Irak) nennt. Sie drohen im selben Stil wie die Männer- und Terroristengruppen in einem Video den Rechtsanwälten den Tod an, die Saddam Hussein verteidigen wollen. Auch mit dieser Gruppe setzen sich erfolgreiche Strategien memetisch oder viral fort. Das Video zeigt ein Gruppenbild der vor der Kamera steif und demonstrativ aufgebauten Frauen, während eine Stimme erklärt, dass sie die Mütter, Schwestern, Witwen und Töchter der "Märtyrer" seien, die von Saddam getötet worden sind und in den Massengräbern verscharrt wurden. Alle Anwälte, die Opportunisten sind, werden gewarnt, Gottes Gesetze und die Rechte der Frauen zu verletzen, indem sie einem Tyrannen helfen. Die Anwälte werden an ihre Berufspflichten erinnert und sie werden gefragt, wo sie gewesen waren, als Saddam Hussein "unsere freien Männer ohne eine Maßstab für das Richtige und Falsche gefoltert hat".

Auch wenn die Frauen sich in die mittlerweile verbreitete Medienstrategie einreihen, gibt es doch einen Unterschied zu den Auftritten der Männer. Die Frauen präsentieren sich trotz der Gewaltandrohung ohne Waffen, bei den Videos, auf denen sich die Männergruppen darstellen, werden die Waffen hingegen wie Phalli dem Zuschauer vorgeführt (oder halten sich die Männer an diesen fest).

Die Hussein-Anwälte scheinen inzwischen doch große Bedenken zu bekommen, in den Irak zu reisen. Einer der Anwälte forderte, dass eine Begegnung mit Hussein in einem neutralen Land erfolgen solle. Die irakische Übergangsregierung, aber auch die Amerikaner wollen offensichtlich nicht für den notwendigen Schutz der Anwälte sorgen. Das könnte für böses Blut sorgen. Der noch vom Regierungsrat einberufene Sondergerichtshof will keine Anwälte aus dem Ausland zulassen. Sollte ein Prozess gegen Hussein und andere der hohen Regime-Mitglieder aber ohne unabhängigen Rechtsbeistand stattfinden, wird man den Prozess als Farce kritisieren. Der jordanische Anwalt schlug übrigens als neutrales Land entweder Österreich oder die Schweiz vor.

Eine besondere Raffinesse hat Ayatollah Ali Chamenei, der oberste geistliche Führer des Iran, an den Tag gelegt. Hinter den Entführungen und Enthauptungen will er amerikanische und jüdische Agenten am Werk sehen. Er könne nicht glauben, dass Menschen, die andere entführen und töten, Muslime seien.