Schöner tauschen
Zweiter Teil: Napsters Konkurrenten - zentralisierte Tauschbörsen (aktualisiert)
Napster wird vorerst stillgelegt, aber der Erfolg der Software hat eine regelrechte Kettenreaktion ausgelöst. Unzählige ähnliche Programme und Dienste wetteifern um die Gunst der Benutzer. Fast alle sind noch im Beta-Stadium und voller Bugs. Was leisten die Konkurrenzprodukte wirklich, und wo sind echte Innovationen?
Wie bereits im ersten Teil dargelegt, wird bei der MP3-Tauschbörse Napster für die Suchfunktion ein zentralisierter Index verwaltet, mit dem die Benutzer beim Login eine Liste ihrer lokal gespeicherten und freigeschalteten MP3-Dateien abgleichen. Programme, die nach einem ähnlichem Prinzip funktionieren, aber mit anderen Leistungsmerkmalen aufwarten und andere Protokolle nutzen, sollen in diesem Teil der Serie vorgestellt werden.
Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Windows-Programme. Das ist nicht überraschend, denn ähnlich wie Napster müssen die neuen Dienste zunächst eine Benutzerbasis aufbauen. Das dürfte ihnen angesichts der vorläufigen Schließung des Giganten Napster nun etwas leichter fallen, allerdings müssen sie auch darauf achten, nicht zu sehr aufzufallen, um nicht das nächste Opfer der klagewütigen Industrieverbände zu werden.
Napsters Nutzerbasis zählte nach eigenen Angaben zuletzt 20 Millionen, was allerdings etwas zweifelhaft ist, da jeder User theoretisch beliebig viele Accounts anlegen kann. Napsters Konkurrenten verfolgen verschiedene Strategien, um ähnliche Größenordnungen zu erreichen:
- aufdringliche Programminstallationen, die sogar das Beenden der Software erschweren und sich dauerhaft im System einnisten
- Dateiverweise, die mit dem Logout der Benutzer nicht erlöschen - so entsteht der Eindruck einer großen Sammlung, von der aber zu jedem Zeitpunkt nur ein Bruchteil verfügbar ist
- neue und verbesserte Features - unter anderem bieten viele Programme die Möglichkeit, Nicht-MP3-Dateien zu tauschen
Die riesige Zahl der User, die man mit solchen Tauschbörsen erreichen kann, lockt natürlich viele Start-Ups in diesen Bereich. Und es gibt tatsächlich Möglichkeiten, mit dieser Nutzergemeinde Geld zu verdienen. Die offensichtlichste ist die Einblendung von Werbebannern. Daneben können aber auch unauffällige Datensammel-Methoden zum Einsatz kommen, die das Such-, Down- und Uploadverhalten der Benutzer ausspionieren, protokollieren und auswerten. Die so erstellten Profile lassen sich für vielfältige Zwecke einsetzen. Deshalb gilt, dass beim Einsatz solcher Software die Nennung von Realpersonendaten nicht unbedingt empfehlenswert ist, auch wenn der beabsichtigte Einsatz völlig legal ist.
CuteMX
Bereits zeitgleich mit den ersten Napster-Betas erschienen auch erste Beta-Versionen von Globalscapes CuteMX. Von Anfang an ermöglichte das Programm den Tausch beliebiger Dateien und wartete mit erstaunlich Features auf. Dazu gehören:
- die üblichen Funktionen zum Regulieren von Up- und Download-Bandbreite, Port, freigeschalteten Dateien, Wiederaufnehmen von Transfers usw.
- ein IRC-ähnlicher Chat
- eine Liste von "Freunden" und "Gegnern", für die man individuelle Einstellungen einrichten kann
In jüngeren Versionen ist noch ein Familienfilter hinzugekommen, der Chat und Suchergebnisse von "Obszönitäten" reinigen soll.
Das Programm ist intuitiv zu bedienen. Es hat jedoch einen gravierenden Nachteil: Es ist äußerst instabil. Die Stabilität scheint sogar teilweise mit jeder neuen Version zurückgegangen zu sein. Einige User berichten, dass sich CuteMX auf ihrem System gar nicht erst starten lässt. Andere haben mit dem Programm schon Windows-Totalabstürze erlebt.
Globalscape war lange Zeit nicht darauf bedacht, das Programm zu sehr in Erscheinung treten zu lassen. Zeitweise wurden die Download-Links entfernt, oft waren die Server nicht verfügbar. Man kann vermuten, dass dies eine Taktik ist, nicht ins Blickfeld von Film- und Plattenindustrie zu geraten. Vielleicht entpuppt sich gar die Instabilität des Programms am Ende als Strategie - doch das verlorene Vertrauen der User lässt sich auch mit guten Folgeversionen nur schwer zurückgewinnen. Entsprechend ist der Dienst in seinem derzeitigen Zustand auch noch relativ leer. Dafür kann man damit z.B. auch Bilder, Videos und Programme finden.
iMesh
iMesh ist ebenfalls einer der älteren Napster-Mitbewerber. Das Programm verfügt nicht über einen Channel-Chat, beherrscht aber dafür Insant Messaging (das Versenden von Nachrichten an einzelne Benutzer). Außerdem prüft iMesh beim Download, ob die Datei, die man herunterlädt, auch auf den Festplatten anderer Benutzer vorhanden ist (um die Echtheit zu verifizieren, werden Prüfsummenabgleiche vorgenommen). Sollte ein Rechner ausfallen, wird der Download dann automatisch auf dem eines anderen Benutzers fortgesetzt. Außerdem können zur Steigerung der Übertragungsgeschwindigkeit Dateien parallel von mehreren Usern heruntergeladen werden.
Was bei CuteMX die Instabilität des Programms ist, ist bei iMesh die Nichtverfügbarkeit der Server. Auf der Statusseite findet man oft mehrere Tage hintereinander nur den Hinweis, dass Wartungsarbeiten durchgeführt werden müssten und das Netz deshalb nicht nutzbar sei. Das hat bisher die dauerhafte Nutzung des Programms praktisch unmöglich gemacht.
Ein weiteres Ärgernis sind ständige Festplattenzugriffe des Programms, die mit keiner konkreten Aktivität in Verbindung zu stehen scheinen. Außerdem nervt in der Standardeinstellung ein animierter Marienkäfer in der Startleiste, und das Programm startet gleichzeitig mit Windows, beides lässt sich aber abstellen.
Freebase
Ohne großes Klimbim kommt FreeBase von Objective Reality daher. Das Programm kann bisher nur eines: Dateien tauschen. Eine einfache Suchmaske, eine Liste der Downloads, eine Liste der Uploads, das war's.
Freebase befindet sich derzeit noch in der Beta-Phase. Spätere Versionen sollen neben Instant Messaging auch ein Rating-System beinhalten: die Möglichkeit, die Dateien anderer Benutzer zu kommentieren und zu bewerten. Man darf gespannt sein, ob diese Pläne in die Wirklichkeit umgesetzt werden, denn das wäre eine echte Innovation.
Erfreulich ist die Stabilität des Programms und die Möglichkeit, alle Dateien einer Kategorie (z.B. alle Filme) anzuzeigen. Weniger erbaulich ist die Tatsache, dass mit dem Programm ein Werbe-Trojaner der Firma Cydoor installiert wird. Das Programm cd_load wird automatisch bei jedem Windows-Start aufgerufen. Was es tut, ist völlig unklar. Tatsache ist, dass die nervigen Werbebanner im Programm nach dem Umbenennen oder Löschen der Datei cd_load.exe weiterhin angezeigt werden. cd_load erfüllt also eine andere Aufgabe. Auf seiner Website verspricht Cydoor:
unmatched ROI [return on investment], achieved by combining exact targeting abilities, rich media ads, frequency control, and many other features.
Die Tatsache, dass das Programm eine Zielscheibe als Icon hat, macht es auch nicht unbedingt sympathischer. Mehr über Werbe-Trojaner gibt es auf Steve Gibsons Seite zum Thema.
Die Beta-Version von Freebase ist wenig bekannt, sie wurde noch fast nirgendwo angekündigt. So wundert es nicht, dass selbst zu Spitzenzeiten nur wenige Gigabytes an Material auf den Freebase-Rechnern zu finden sind.
AudioGalaxy
AudioGalaxy ist eine reine Musiktauschbörse, die noch äußerst betamäßig daherkommt. Dafür bietet der Dienst einige interessante Features. Zunächst fällt auf, dass fast alles über das Web organisiert ist. Rein optisch ist die Web-Oberfläche furchterregend, es geht den Entwicklern nach eigenem Bekunden darum, zunächst die Funktionalität herzustellen. Eine durchaus sinnvolle Strategie.
Man kann in der Web-Oberfläche nach Musiktiteln suchen, was eine recht kompliziert aussehende Trefferliste zurückliefert. Das kommt daher, dass der Server ähnlich wie iMesh versucht, gleiche Dateien zu identifizieren. Diesen werden dann eindeutige Identifikationsnummern zugeordnet. So bekommt man dann eine Liste mehr oder weniger eindeutiger Songtitel mit Nummern, ohne Information über die Benutzer, die diese Lieder anbieten. Wählt man einen davon aus, versucht der Server automatisch, den optimalen Standort der Datei zurückzuliefern.
Ein weiteres interessantes Feature ist die automatische Aufnahme von Downloads, die zum Zeitpunkt der Suche nicht verfügbar sind. So kann man interessante Dateien vormerken, auch wenn der User, der sie hat, gerade nicht online ist. Sollte dieser sich dann einloggen, wird der Download automatisch gestartet.
Da ausschließlich die Up- und Downloads über den Windows-Client gehandhabt werden und der Rest über den Webbrowser abläuft (die Interaktion zwischen beiden geht problemlos vonstatten), ist das Programm in Sachen CPU-Leistung sehr begnügsam und läuft flott im Hintergrund. Das Web-Interface ermöglicht außerdem jederzeit Zugriff auf die Dateien. So kann man auch unterwegs oder in Internt-Cafés nach Musik suchen.
Insgesamt ist das Programm sehr vielversprechend, wenn auch derzeit noch etwas schlicht. Leider kommt AudioGalaxy nur mit Unterstützung von Wrapster mit Nicht-Audio-Dateien zurecht und ist insofern mit Napster gleichauf.
Scour Exchange
Scour ist ein etablierter Multimedia-Suchdienst. Leider kommt das gleichnamige Tausch-Programm nicht ohne installierten Internet Explorer 4 aus. Es ermöglicht das Tauschen beliebiger Mediendateien (Video, Audio, Bilder). Daneben verfügt es über eine übersichtliche Medienverwaltung und eine Hotlist für die Lieblingsmitbenutzer. Geplant ist außerdem ein Chat.
Bemerkenswert ist, dass Scour die Protokollspezifikationen offen gelegt hat. So ist es Dritten möglich, ähnlich wie für Napster offene Clones zu entwickeln. Ein erster existiert schon: PSX ist in Perl geschrieben. Der Client läuft im Textmodus, und den meisten Windows-Nutzern wird vermutlich schon die Installation misslingen. Benutzer anderer Betriebssysteme wie z.B. Linux können damit aber, wenn auch mit etwas Aufwand, auf das Scour-Netz zugreifen.
Auf diesem Wege will Scour offensichtlich die Zahl seiner Nutzer erhöhen, was auch gut zu gelingen scheint. Von allen hier getesteten Programmen bietet Scour die umfangreichste Sammlung von Files, sofern der Server verfügbar ist. Scour wurde am 20. Juli verklagt - allerdings von der Filmindustrie - und wird vermutlich ähnlich wie Napster bald mit einer einstweiligen Verfügung belegt werden.
Yo!NK Download Community
Das Programm mit dem merkwürdigen Namen Yo!NK Download Community erfordert nicht nur den IE4, sondern gleich den IE5, sonst verweigert es nach einer Suche den Dienst. Die Oberfläche ist sehr schlank und einfach zu handhaben: Suche und Optionen, das war's. Yo!NK kann nach allen Dateitypen suchen, wobei diese unterteilt werden in Musik, Bilder, Filme und Dateien (es lassen sich auch alle Kategorien gemeinsam durchsuchen).
Das Programm wird kaum genutzt, man findet selten mehr als 20 User gleichzeitig online. Die Protokoll-Spezifikationen sollen offengelegt werden.
Fileswap
Fileswap ist ebenso ambitioniert wie CuteMX, aber ähnlich unbrauchbar. Während es vor Optionen nur so wimmelt - Chat, Favoriten, verbannte Benutzer, Dateiverwaltung, Benutzersuche ... -, hält das Programm kaum 5 Minuten durch, bevor es abstürzt. Auch hier bemüht man sich, die User als Beta-Tester einzusetzen, doch die machen nicht mit: Es findet sich nur ein kleines Häuflein von Dateien im Netzwerk.
Filetopia
Filetopia ist vielleicht das interessanteste, aber auch das am wenigsten bekannte Produkt im Bunde. Es existiert bereits seit 1997, entstanden ist es ursprünglich als eine Katalogverwaltung für Dateien. Später bemühte sich der Entwickler des Programms darum, es mit Dateitransfer-Funktionen auszustatten. FTP kam in Frage - doch Filetopia sollte alle Transfers verschlüsseln. Deshalb wurde ein kompletter Server entwickelt, der es Benutzern ermöglichte, ihre Dateien gegeneinander abzugleichen: "Du hast das MP3 von Limp Bizkit, ich habe das von The Offspring, lass uns tauschen." Beides sind übrigens Bands, die mit der nichtkommerziellen Verteilung ihrer Musik im Netz einverstanden sind.
Das Projekt ist kontinuierlich gewachsen. Mittlerweile funktioniert es ähnlich wie IRC, mit zusätzlichen Dateitausch-Funktionen und Instant Messaging. Man kann Benutzer in seinen Freundeskreis aufnehmen und wird per Ton alarmiert, wenn sie online sind. Man kann Chat-Kanäle anlegen und betreten. Man kann Zugriff auf die Dateien anderer User anfordern und Zugriff auf die eigenen Files manuell oder automatisch gewähren.
Alle Transfers sind verschlüsselt, so dass das Belauschen des Datenverkehrs sinnlos ist. (Es stehen 10 verschiedene Verschlüsselungsalgorithmen zur Auswahl.) Auch legt Filetopia bei der Anmeldung explizit keinen Wert auf Realdaten: So anonym wie möglich soll es sein. Um zu verhindern, dass beim Dateitransfer die IP-Adresse offenbart wird, kann man einen sogenannten Bouncer einrichten, eine Art Proxy-Server, der für alle Transfers als Zwischenstation dient. Da der Bouncer den Datenverkehr nicht lesen kann, ist damit ziemlich sicher Anonymität gewährleistet.
Die Katalogfunktionen von Filetopia sind denen von Napster, Scour & Co. weit überlegen. Nirgendwo sieht man so übersichtlich, welche Dateien andere Nutzer anbieten und welche man selbst hat. Mit einem Kirschen-Icon lassen sich "Hot Files", besonders interessante Dateien, markieren. Das verschafft Übersicht, wenn man keine Ahnung hat, was man downloaden soll.
Das Programm wartet mit unzähligen solchen kleinen Funktionen auf und lässt nur wenige Wünsche offen. Einzig die Übersichtlichkeit leidet unter dem Funktionsumfang ein bisschen - Neubenutzer werden eine gewisse Einarbeitungszeit benötigen. Leider ist auch die Serververfügbarkeit nicht immer gegeben. Dafür lässt einen Filetopia in diesem Fall nicht wie viele anderen Programme mit einer nichtssagenden Fehlermeldung im Regen stehen, sondern klärt über mögliche Ursachen auf.
Was Filetopia im Gegensatz zu Napster & Co. jedoch noch fehlt, ist eine Meta-Suche über die Dateien aller Benutzer. Damit fällt das Programm aus dem Rahmen des bisher Vorgestellten. Die Implementierung einer entsprechenden Funktion ist jedoch in Arbeit.
Das Programm ist ausgesprochen stabil und ließ sich durch stundenlange Benutzung nicht zum Absturz bringen (was im Vergleich zu den anderen File-Sharing-Programmen eine echte Besonderheit darstellt). Die schon mehrere Jahre währende Entwicklungszeit zahlt sich eben aus. Leider finden sich kaum User im Filetopia-Netz, doch diejenigen, die dort sind, sind oft echte Fans des Programms und haben schon ihre eigene kleine Community geschaffen.
Der Standort der Ein-Mann-Firma Filetopia ist übrigens Spanien, was bei eventuellen Rechtsstreitigkeiten interessante Konsequenzen haben könnte.
NetBrilliant
Ebenfalls aus der Reihe fällt NetBrilliant, das eine Meta-Suche sowohl über verschiedene gewöhnliche Suchmaschinen als auch über populäre Datei-Tauschbörsen ermöglicht. Das Programm ist sogar in der Lage, Dateien zum Tauschen freizugeben. Neben AltaVista, HotBot & Co. durchsucht NetBrilliant auch Napster (sowie dessen noch nicht vom Netz genommene kompatible Variante OpenNap) und Scour. Die Programmoberfläche ist erfreulich logisch, sie ermöglicht gleichzeitig eine leichte Bedienung für Anfänger und eine große Funktionalität für Power-User. Auch die Funktionalität bei normalen Web-Suchen ist groß, Duplikate werden gefiltert und Treffer werden übersichtlich dargestellt. Ein höchst empfehlenswertes Programm.
Fazit
Im zentralisierten Lager gibt es nur wenige gute Alternativen zu Napster. CuteMX, derzeit im Release Candidate 4 (also kurz vor der Endversion), ist schlicht zu instabil, um nützlich zu sein. iMesh muss unbedingt die Verfügbarkeit der eigenen Server optimieren und kleine Bugs korrigieren, dann wird das Programm interessant. AudioGalaxy und vor allem Scour sind interessant, aber beide Programme kommen nur mit Mediendateien zurecht (AudioGalaxy nur mit MP3). Filetopia ist sehr vielversprechend und bereits nutzbar, spielt aber momentan noch in einer anderen Liga.
Die wirklich interessanten Alternativen zu Napster kommen derzeit aus dem Lager der verteilten, offenen Systeme, die im nächsten Teil der Serie vorgestellt werden.
Erster Teil: Napster und seine Freunde
Dritter Teil: Führerlos: Gnutella, FreeNet, Jungle Monkey & Co.
Vierter Teil: Die Klassiker: Usenet, IRC, FTP, WWW, Hotline