Schwierigkeiten beim Hochkommen
Das von der Bush-Regierung favorisierte Raketenabwehrsystem erweist sich technisch erneut als Flop, politisch fördert es, wie Russland zeigt, ein erneutes Wettrüsten
Bei dem Raktenabwehrsystem NMD, dem teuersten militärischen Prestigeprojekt, mit dem die Bush-Regierung und US-Verteidigungsminister Rumsfeld 2000 angetreten sind (Abschreckung im Zeitalter nach dem Kalten Krieg), um die USA und ihre Alliierten vor Langstreckenraketen zu schützen, jagt eine Katastrophe die andere. Schon wieder ist ein Test gescheitert. Und die russische Regierung kündigt wieder einmal neue nukleare Langstreckenraketen an, gegen die das Raketenabwehrsystem womöglich keine Chance hat.
Der gestern gescheiterte Test scheint wieder auf demselben Fehler zu beruhen wie beim letzten Mal Ende 2004. "Erfolgreich" wurde die Zielrakete von Alaska mit einer Sprengkopfattrappe abgeschossen, doch die Abfangrakete mit dem "kill vehicle" hob nicht von der Ronald Reagan Test Site auf den Marshall Islands ab. Ein geplanter Testflug, so heißt es in der Mitteilung der Missile Defense Agency, konnte nicht "abgeschlossen" werden. Die Gründe würden untersucht, man vermutet irgendwelche Probleme beim "ground support equipment", was immer das näher sein mag.
Das ist allerdings schon ein wenig peinlich, schließlich hieß es beim letzten Mal, als die Abfangrakete ebenfalls nicht startete, dass es sich nur um einen kleinen, unbedeutenden Fehler gehandelt habe, der eigentlich den Schutz, den das Raketenabwehrsystem darstelle, nicht beeinträchtigen soll (Nur ein kleiner, unbedeutender Fehler). Um noch vor den Wahlen vollendete Tatsachen zu schaffen, hatte US-Präsident in einer Direktive angeordnet (Die große Mauer), dass mit der Einrichtung des Abwehsystems Ende 2004 begonnen werden müsse, was auch geschehen ist ("Sie starten eine Rakete, wir schießen sie ab").
Rumsfeld hatte immer betont, dass man nun nicht mehr abwarte, bis ein System vollendet und einsatzfähig ist, sondern man es Schritt für Schritt jeweils nach dem neuesten Stand umsetzt. Doch irgendwann lässt sich dieser sogenannte "evolutionäre" Prozess nicht mehr rechtfertigen, wenn schon die wenig wirklichkeitsnahen Testbedingungen nicht erfüllt werden können. Sicherheitshalber hat man also schon verkündet, dass man das Raketenabwehrsystem, in das man jährlich 10 Milliarden Dollar steckte, möglicherweise nie als vollständig einsatzfähig bezeichnen werde. Und offenbar will man, da das System auch den Alliierten wegen seiner technischen Mängel, seiner strategischen Fragwürdigkeit und seiner Nutzlosigkeit für den Krieg gegen den Terrorismus nicht so gut anzudrehen ist, möglichst still vielleicht allmählich aus dem teuren Projekt aussteigen. Zumindest wurde im Antrag des Pentagon für das Budget 2006 schon einmal eine Milliarde weniger veranschlagt (US-Rüstungshaushalt erneut in Rekordhöhe)
Die letzte Erklärung Nordkoreas, man sei im Besitz einer Atombombe (Nordkorea erklärt, Atomwaffen zu besitzen), scheint zumindest ein wenig für das Raketenabwehrsystem zu sprechen, zumal die Bush-Regierung nur auf die Diktatur als aktuelle Bedrohung verweisen kann. Aber es ist schon fraglich, ob nicht auch die Diktatur nur mit der Existenz der Bombe blufft, um politisch zu punkten, ebenso wie die US-Regierung mit einem nicht-funktionierenden Raketenabwehrsystem vermeintliche Sicherheit zumindest gegen einzelne Raketen beschwört. Nicht nur kann das vergleichsweise milde Verhalten der US-Regierung gegenüber Nordkorea im Unterschied zum Irak die Wünsche von einigen Ländern schüren, lieber schnell nuklear aus Sicherheitsgründen aufzurüsten, sondern der Raketenabwehrschild selbst ist eine Gefahr für die globale Sicherheit.
Kritiker haben dem Vorhaben schon lange attestiert, dass es zu einem neuen Wettrüsten führen wird. Und genau diese Anfänge lassen sich nun beobachten. Die Bush-Regierung selbst will neue Atombomben entwickeln (Politischer Sprengstoff), die Russen haben offenbar schon mit der veränderten SS-25 (Topol) eine Langstreckenrakete, gegen die das Rakatenabwehrsystem in seiner jetzigen wenig ausrichten könnte, weil sie im Flug noch lenkbar ist, drei Sprengköpfe und vier Attrappen mit sich führen kann. Die Tests basierten immer darauf, dass die Flugbahn bekannt ist, es sich nur um eine einzelne Rakete handelt, die bei Tage nur einen Sprengkopf mit einer Attrappe besitzt.
Auf der Sicherheitskonferenz in München hat nun der russische Verteidigungsminister Sergei Ivanov wieder einmal davon gesprochen, dass in Russland neuartige Atomwaffen entwickelt werden, die weltweit einzigartig seien. Zuvor hatte man solche Ankündigungen eher ironisch beiseite gestellt und darauf verwiesen, dass Russland nicht einmal das Geld habe, seine Truppen zu unterhalten, geschweige denn, sie technisch aufzurüsten. Im Augenblick aber boomt die russische Wirtschaft und Ivanov erklärte denn auch, dass die veränderte wirtschaftliche Lage nun eine Modernisierung ermögliche. Dazu gehörten auch die Raketensysteme mitsamt den Atombomben. Man werde weiter eine Atommacht bleiben.
Die neuen Atomwaffen, so Ivanov sollen in naher Zukunft verfügbar, aber gegen keinen bestimmten Staat gerichtet sein und Russland vor jeder Bedrohung auch in der Zukunft sichern. Über Einzelheiten wollte er sich nicht auslassen, verwies aber auf das, was Putin im November zuvor im Plesetsk-Kosmodrom gesagt hatte. Dort hatte er wiederholt, was er bereits Anfang des Jahres angekündigt hatte, nämlich dass die neuen Langstreckenraketen mit Überschallgeschwindigkeit fliegen und in Höhe und Richtung manövrierbar sein werden. Sie könnten beispielsweise auch, wie Waffenexperten meinen, im Unterschied zu allen bisherigen Typen auch im Sinkflug mit einem Antrieb ausgestattet sein, so dass sie bis zuletzt steuerbar und damit schwer zu treffen sein würden. Schon mit der Ankündigung von Reagans Star Wars-Programm hatten die russischen Militärs nach Mitteln gesucht, ein Raketenabwehrsystem unterlaufen zu können und beispielsweise an Raketen gearbeitet, die in einer Art Zick-Zack-Bahn fliegen.
Ob freilich Russland - oder auch China bzw. andere Staaten - solche Langstreckenraketen tatsächlich bald oder auch erst in der Zukunft herstellen können, ist ebenso ungewiss wie die Entwicklung eines auch in der Realität funktionierenden Raketenabwehrsystems. Aber Bluffen gehört zum Wettrüsten und Ungewissheit macht die Situation nicht sicherer, wie man auch am Beispiel Nordkorea sehen kann.