Spanien: Abschaffung der universellen Gerichtsbarkeit durch die Hintertür

Eine Art Verfassungsreform wird von beiden großen spanischen Parteien in einer simplen Gesetzesreform versteckt

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In den letzten Jahren haben immer wieder spanische Richter für Furore gesorgt, wenn sie Massen- und Völkermörder, Diktatoren und Folterer angeklagt haben. Der Erfolg war zwar mehr als bescheiden, doch wurden immer mal wieder die Blitzlichter der Kameras auf Vorgänge gerichtet, die sonst kaum Beachtung finden. Ob unter der Volkspartei (PP) oder den Sozialisten (PSOE), stets wurden die Ermittlungen behindert oder verunmöglicht. Angesichts neuer Ermittlungen gegen hochrangige Politiker in den USA, Israel und China fand sich die PSOE mit der oppositionellen PP zusammen, um über eine Einwendung bei einer Strafrechtsreform ein verfassungsausführendes Gesetz im Eilverfahren zu beschneiden und damit die universelle Jurisdiktion auszuhebeln.

Die Berichte über die geplante Abschaffung der universellen Gerichtsbarkeit in Spanien, wonach das Land nicht länger "Weltpolizei" sein wolle oder die von einer "wilden Justiz" sprechen, blenden viele Probleme komplett aus. Zwar wird zu Recht ein Wildwuchs kritisiert, aber zum Beispiel von "weltverbessernden spanischen Staatsanwälten" gesprochen. Schon im Nachsatz kommt, wo für den Autor der Hase im Pfeffer liegt, dass "amerikanische Politiker und Berater vor Gericht" gezerrt werden sollten, weil sie "angeblich in Guantanamo die Menschenrechte verletzt haben".

An solchen Aussagen kommt eine geballte Ahnungslosigkeit zum Vorschein, wie sie kaum deutlicher zu manifestieren wäre. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass es keine Staatsanwälte, sondern Ermittlungsrichter sind, welche die Verfahren anstrengen, ist es doch schon bis ins Weiße Haus nach Washington vorgedrungen, dass in Guantanamo gefoltert wurde (Geht es den für Folter Verantwortlichen der Bush-Regierung an den Kragen?). Weil es zu massiven Menschenrechtsverstößen kam, will sich Präsident Obama dieser Altlast dringend entledigen. Die Staatsanwaltschaft ist in Spanien ein Ministerium und würde ohnehin keine Ermittlungen beginnen oder Anklagen erheben, die sich gegen die Interessen der Regierung wenden und zu diplomatischen Verwicklungen führen. Genau hier beginnt aber schon das erste Problem mit dem spanischen Justizsystem.

Tatsächlich doktert man erneut am Justizwesen herum und will nun die Kompetenzen von Ermittlungsrichtern über eine simple Strafrechtsreform - noch dazu versteckt - beschneiden und damit soll die universelle Gerichtsbarkeit durch die Hintertür gekippt werden. Das kritisiert sogar die regierungsnahe Zeitung El País in einem Artikel. Analysiert wird, wie die Reform eines verfassungsausführenden Gesetzes (ley organica) über eine simple Strafrechtsreform durchgezogen werden soll. Das ist etwas völlig anderes, als eine "nicht bindende Aufforderung an die Regierung", von der in Deutschland berichtet wurde. Ein derart gravierender Eingriff soll nicht einmal als eigenständiges Gesetz debattiert werden, sondern über eine simple Eingabe bei der Reform des Prozessrechts durchgezogen werden.

Der PSOE, deren improvisierte Politik in der spanischen Ökonomie schon tiefe Spuren hinterlassen hat, drängt es angesichts eines neuen Streiks der Richter zur Eile. Bis zum 25. Juni will die Regierung unter Jose Luis Rodriguez Zapatero die Strafrechtsreform festgezurrt haben, um den Forderungen der Mehrzahl der Richter nachzukommen und einen für sie peinlichen neuen Streik zu vermeiden. Der erste führte schon im Februar dazu, dass der Justizminister nach nicht einmal einem Jahr das Handtuch werfen musste. Nach der großen Regierungsumbildung im März hat die Minderheitsregierung kaum noch Spielraum, die Opposition hat schon mehrfach mit einem Misstrauensantrag gedroht und bei den Europaparlamentswahlen droht den Sozialisten der Absturz.

Das ist ein wesentlicher Grund, warum die PSOE dem Ansinnen der PP nachkommt, über die Hintertür die Reform von Artikel 23.4 des verfassungsausführenden Gesetzes voranzutreiben. Im Fall der postfaschistischen PP ist die Lage einfach zu erklären. Sie hatten wegen ihrer Altlasten nie ein Interesse an der universellen Gerichtsbarkeit, schließlich könnten sich andere Länder ein Beispiel nehmen und ihre Mitglieder anklagen. Ein Artikel in der Zeitung La nueva España bringt das auf den Punkt: "Sie müssen viele der eigenen Leute schützen", die in der Diktatur bis 1975 in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt waren, wie die Massengräber belegen, in denen noch heute Zehntausende verscharrt liegen. "Ihre Gründer waren Minister von Franco, einem der blutigsten Diktatoren", schreibt das Blatt auch mit deutlichem Bezug auf den PP-Gründer und Ehrenvorsitzenden Manuel Fraga Iribarne, der noch bis vor vier Jahren Regierungschef in Galicien war.

Die PSOE, die schon vor den Konservativen bei der Rehabilitierung der Franco-Opfer eingeknickt war (Katholische Kirche stellt sich hinter Franquisten), lässt sich erneut von der PP einspannen und nimmt eine höchst zweifelhafte Abkürzung für die Aushebelung der universellen Jurisdiktion. Denn ein Gesetz, noch dazu ein "Ley Organica", hätte zwei Mal im Kabinett behandelt werden müssen, es hätte dem Generalrat für Justizgewalt und dem Staatsrat zur Beurteilung zugeleitet werden müssen, bevor es auch nur im Parlament behandelt werden kann. Über die Hintertür, und zudem verdeckt von neuen Maßnahmen gegen die extreme Wirtschaftskrise im Land, hat man eine Diskussion in der Öffentlichkeit, die das Ansinnen womöglich gestoppt hätte, verhindert. In dem zwischen PSOE und PP vereinbarten Text heißt es nun, dass Verfahren nur noch dann von spanischen Richtern angestrengt werden dürfen, "wenn nachgewiesen ist, dass die mutmaßlichen Verantwortlichen sich in Spanien aufhalten oder Opfer mit spanischer Nationalität existieren". Schwammig wird noch angefügt, dass es auch möglich sein soll, wenn eine "relevante Verbindung mit Spanien festgestellt werden kann".

USA, Israel und China üben Druck auf spanische Regierung aus

Neben dem Streik will die Regierung auch dem internationalen Druck entgehen. Schließlich sorgen die Ermittlungen spanischer Richter immer wieder für diplomatische Verwicklungen. So hatte kürzlich China den Spaniern mit Maßnahmen gedroht, wenn das Verfahren gegen Regierungsmitglieder vorangetrieben werde. Der Ermittlungsrichter am Nationalen Gerichtshof Santiago Pedraz hatte Ermittlungen wegen der Proteste in Tibet im März 2008 eingeleitet. Er wollte in diesem Rahmen drei Minister, zwei Generäle und drei hochrangige Funktionäre der Volksrepublik wegen des Verdachts von Menschenrechtsverletzungen in Tibet als "Beschuldigte" vernehmen und hatte Anfang Mai ein offizielles Gesuch nach Peking geschickt.

Zudem hatte dessen um Aufmerksamkeit heischende Kollege gleich noch einen drauf gesetzt. Baltasar Garzón hat gerade ein strafrechtliches Verfahren gegen mögliche "Täter, Hintermänner und Komplizen" im Rahmen des "Kriegs gegen den Terror" in Guantánamo und in anderen US-Lagern eröffnet. Dass das auch der neuen Obama-Regierung nicht gefällt, ist kein Geheimnis. Der hat gerade entschieden, die Folterbilder nicht zu veröffentlichen, weil sie wohl auch Vergewaltigungen und Kindesmissbrauch zeigen sollen und eine Amnestie für die Folterer verfügt (Kontinuität der Gesetzlosigkeit: Obama-Regierung verteidigt Folterer).

Da sind auch die Ermittlungen von Fernando Andreu, die der Regierung ganz besonders unter den Nägeln brennen. Der ermittelt gegen den Ex-Verteidigungsminister Israels Benjamin Ben-Eliezer und weitere sechs hochrangige Militärs. Doch es geht ihm (noch) nicht um die Bombardements und möglichen Kriegsverbrechen des israelischen Militärs Anfang des Jahres im Gaza-Streifen, bei denen mehr als 1300 Palästinenser getötet wurden, sondern nur um einen einzigen Luftangriff auf den Gazastreifen im Juli 2002, womit Israel ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen habe. Die Luftwaffe hatte das Haus eines Hamas-Führers bombardiert und dabei auch 14 Zivilpersonen, darunter viele Kinder, getötet. Weitere 150 Menschen wurden verletzt. Andreu hatte der Klage einer betroffenen Familie sowie des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte stattgegeben.

Das Ministerium für Staatsanwaltschaft versuchte sofort, nach der empörten Reaktion der israelischen Regierung, den Fall abzuwürgen. Der spanische Außenminister Miguel Ángel Moratinos versprach der damaligen israelischen Außenministerin Zipi Livni auf deren Forderung sogleich, dass das Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit eingeschränkt werde, um die Ermittlungen und die mögliche Ausweitung des Verfahrens auszuhebeln.

Unter den 14 offenen Ermittlungen befinden sich aber auch Verfahren, mit denen sich Spanien in der Öffentlichkeit weiter als Verteidiger der Menschenrechte darstellen kann, weil sie von der Reform nicht betroffen wären. Das wären zum Beispiel die Ermittlungen des Richters Ismael Moreno gegen Naziverbrecher. Er prüft gerade, in diesem Fall auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft, ob internationale Haftbefehle gegen frühere KZ-Wächter Mauthausen, Sachsenhausen und Flössenburg ausgestellt werden. Es gäbe fundierte Anhaltspunkte dafür, dass Anton Tittjung, Johann Leprich und Josias Kumpf sich an Verbrechen beteiligt haben. Hier geht der Vorgang auf eine Klage von KZ-Überlebenden zurück. Von den drei Konzentrationslagern sollen etwa 7300 Menschen mit spanischer Nationalität inhaftiert gewesen sein, von denen mehr als 4.300 umgebracht wurden.

Betroffen von der Einschränkung wären auch nicht die Ermittlungen von Eloy Velasco gegen El Salvador, wegen des Massakers an sechs Jesuiten und zwei ihrer Angestellten im Bürgerkrieg. Ermittelt wird gegen 14 Regierungssoldaten, die für die Morde an den Befreiungstheologen verantwortlich sein sollen und darunter befindet sich auch der Baske Ignacio Ellacuría.

Kritisiert haben am Dienstag die wichtigsten Menschenrechtsorganisationen, dass "Druck" aus China, Israel und den USA dazu geführt habe, dass die PSOE und die PP zu einem Abkommen zur Abschaffung der universellen Gerichtsbarkeit erreicht haben. Amnesty International, Human Rights Watch und die spanische Vereinigung für die Menschrechte haben sich in einem Manifest gegen die Gesetzesänderungen ausgesprochen, das Verhalten der "politischen Verantwortlichen" als "bedenklich" bezeichnet und vor allem kritisiert, "dass die Mächtigen vor den Menschenrechten geschützt werden".

Ciao Ralf

Die Ermittlungsrichter waren bislang auch schon gebändigt

Doch aller juristischen Winkelzüge zum Trotz, müssen sich die Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverbrechen in den USA, China und Israel ohnehin keine Sorgen machen. Bisher ist es den Spaniern noch stets gelungen, die eifrigen Ermittlungsrichter des Sondergerichts auszubremsen, wenn die Ermittlungen nicht gewünscht waren. Das sei an zwei Beispielen kurz aufgezeigt.

Als Garzón 1998 den Wettlauf um die internationale Aufmerksamkeit mit der Anklage gegen den chilenischen Diktator Pinochet begann, herrschte in Spanien noch die Volkspartei (PP). Die tat erfolgreich alles, um die Auslieferung Pinochets aus Großbritannien zu verhindern, wo er wegen der Garzón-Anklage festgesetzt wurde (Spanien - gleichzeitig Ankläger und Verteidiger von Pinochet?). So fuhren gleich mehrere Minister nach London, um den unangenehmen Vorgang zu unterbinden.

Spanien werde in keinem Fall einer Rückführung des Ex-Diktators Augusto Pinochet nach Chile widersprechen, erklärte der damalige PP-Außenminister Abel Matutes dann. Er gestand ein, dass es sich dabei um eine politische Entscheidung handelt: “Wir haben uns Chile gegenüber verpflichtet, keine Haltung einzunehmen, die die Beziehungen von Spanien zu dem Land negativ beeinflussen würde.” Schon zuvor hatte die PP-Regierung immer wieder auf die wirtschaftlichen Interessen in Chile hingewiesen.

Interessant ist auch der Fall des spanischen Kameramanns José Couso (Beseitigung und Einschüchterung der Augen der Weltöffentlichlichkeit). Allerdings übernahmen hier die Sozialisten von den Konservativen die Aufgabe, eine Anklage zu verhindern. Das war umso erstaunlicher, da Zapatero die spanischen Truppen nach seinem Wahlsieg sofort aus dem Irak abgezogen hatte (Spanien zieht Truppen aus dem Irak ab), weil er in dem Angriff einen illegalen, von der UNO nicht gedeckten Angriffskrieg sah. Bei eben diesem war Couso bei der Einnahme von Bagdad am 8. April 2003 durch US-Soldaten getötet worden. Pedraz sah sich nach der Einleitung des Verfahrens sofort mit massiven Widerständen auch durch die neue PSOE-Regierung konfrontiert, die im März 2004 an die Macht kam (Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien). Der Druck auf den Richter wuchs, als er sich definitiv mit der Bush-Administration anlegte, weil er die Vernehmung von drei Soldaten beantragte. Die hatten aus ihrem Abraham-Panzer das Feuer auf das Hotel Palestine eröffnet, in dem sich bekanntlich die internationalen Journalisten aufhielten, die nicht in die US-Kampfverbände eingebettet waren.

Die USA verweigerten die Rechtshilfe und die spanische Regierung widersetzte sich dem Versuch des Richters, internationale Haftbefehle für die drei auszustellen (US-Regierung verweigert Rechtshilfe). Das Verfahren wurde zwar auf Anweisung des Obersten Gerichtshofs wieder aufgenommen, welches den Nationalen Gerichtshof angewiesen hat, den Fall erneut zu untersuchen (Journalismus - in Spanien ein schwieriges Geschäft), doch seither dümpelt der Fall vor sich hin, ohne das davon ausgegangen werden kann, dass jemals eine Anklage zustande kommt.

Man darf nun die Frage stellen, warum spanische Ermittlungsrichter des Sondergerichts einen derartigen Drang zum "Weltpolizisten" haben durften? So nennt Carlos Divar es, der Präsident des Obersten Gerichtshof und, ebenfalls eine spanische Besonderheit, auch noch Präsident des Generalrats für Justizgewalt (CGPJ) ist. Damit überwacht Divar sich und seinen Gerichtshof gleich selber als Chef des Kontrollrats. Der Spitzenkandidat der PSOE für die Europaparlamentswahlen, Juan Fernando López Aguilar, hat darauf eine Antwort. Der Ex-Justizminister erklärte: "Die internationale Gerichtsbarkeit hatte positive Effekte für das Bild Spaniens." Damit ist genau das Ansinnen beschrieben, warum man die Richter lange wirken ließ. Aguilar stürzte zum Beispiel darüber, dass er es mit effektiver Gerechtigkeit nicht so genau nimmt und die Linie der Regierung auch noch offen herausposaunt. So musste er sich auch von der konservativen Times den Satz vorhalten lassen, man werde "neue Anklagen zu konstruieren", um die Entlassung von Gefangenen der baskischen Untergrundorganisation ETA nach Verbüßung ihrer Haftstrafe zu verhindern.

In Spanien gäbe es genug Arbeit für die Richter und für eine Justizreform

Folter ist in Spanien kein Ausnahmefall, wie gerade der UNO-Sonderbeauftragte für Menschenrechte rügte. Und auch Amnesty International beklagt im Jahresbericht zu Spanien wieder Folterfälle. Garzón und andere Richter am Nationalen Gerichtshof wissen das nur zu gut, denn vor ihnen müssen die Verhafteten nach der berüchtigten Kontaktsperre erscheinen. Die Anklagen basieren nicht selten auf den unter Folter erpressten Aussagen. Weshalb die UNO seit langem erfolglos die Abschaffung der Kontaktsperre nach dem Antiterrorgesetz fordert oder wenigstens die lückenlose Videoaufzeichnung während der Isolationshaft, um Folter durch die Guardia Civil oder andere Sicherheitskräfte zu unterbinden. Ermittlungen gegen die Folterer verlaufen meist im Nichts oder werden erst gar nicht aufgenommen.

Gäbe es in Spanien nicht auch genug anzuklagen, was die eigene Vergangenheit angeht? Kein Verbrecher aus der Diktatur wurde je zur Verantwortung gezogen. Der Versuch von Garzón kürzlich war eher peinlich und brachte ihm zudem nun noch selber ein Verfahren ein. Nach der medienwirksamen Ankündigung, die Verbrechen im Franquismus auch nur ein wenig zu untersuchen, zog er sich schon nach wenigen Tagen wieder zurück. Er gab, auf Druck der Regierung, die Ende 2008 die begonnenen Ermittlungen sofort an die Provinzgerichte ab und wollte plötzlich auch keine Massengräber mehr ausheben.

Er argumentierte plötzlich, die Größen der Diktatur könnten nicht mehr belangt werden, da sie längst gestorben seien. Das ging nur, weil er seine Ermittlungen sonderbarerweise auf die Zeit zwischen 1936 und 1952 begrenzt hatte, um nicht mit den PP-Gründern in Konflikt zu geraten. Erstaunlich auch hier das Verhalten der Staatsanwaltschaft, worüber die Regierung diesen zaghaften Ansatz unterbunden hat, wenigstens mit der Identifizierung von zehntausenden Antifaschisten voranzukommen. Nun hat sogar ein Regionalgericht in Granada die Zuständigkeit für derlei Fälle abgelehnt. Das Grab, in dem der berühmte Dichter Federico García Lorca liegt, der von den Faschisten 1936 ermordet wurde, wird weiterhin nicht exhumiert.

Spanien bräuchte dringend eine wirkliche Justizreform. Dazu gehört die Abschaffung der vielen Sondergerichte, wie dies auch der UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte Martin Scheinin fordert. Er sagte in einem Interview: "In Spanien gibt es Institutionen, die keinen Platz in einer Demokratie haben." Gemeint ist damit die Sonderkammer für Parteienverbote am Obersten Gerichtshof genauso wie der Nationale Gerichtshof. Wurde ersterer 2003 mit einem neuen Parteiengesetz geschaffen, gibt es den Nationalen Gerichtshof schon seit 1976. Er wurde nach dem Tod Francos und noch vor der Einführung der Demokratie eingerichtet und ersetzte das frühere Sondergericht mit dem Namen "Gericht für Öffentliche Ordnung“ (TOP). Er sollte nur eine begrenzte Zeit bestehen, doch wurden seine Befugnisse bislang ständig ausgeweitet.

Mit der längst fälligen Abschaffung des Sondergerichts hätte man sich des "Problems" der Anklagen auf Basis der universellen Gerichtsbarkeit durch deren Ermittlungsrichter entledigt. Damit einher müsste eine Staatsanwaltschaft geschaffen werden, die nicht mehr als Ministerium direkt der Regierung untersteht, um etwas Unabhängigkeit von ihr zu schaffen. Letztlich müsste Spanien vor allem erst einmal beginnen, vor der eigenen Haustür zu kehren, anstatt sich den Verbrechen in anderen Ländern zu widmen.