Spanien demonstriert in Katalonien gegen Unabhängigkeit

Screenshot aus YouTube-Video über die Demonstration in Barcelona

Aus dem ganzen Staat wurden Menschen umsonst nach Barcelona gefahren, um eine Masse gegen die Unabhängigkeit zu zeigen

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Zehntausende Menschen haben an diesem warmen Herbstsonntag in der katalanischen Metropole, bewaffnet mit spanischen Fahnen, gegen eine Unabhängigkeit Kataloniens demonstriert. "Es reicht, die Vernunft zurückgewinnen", war das Motto der Demonstration in Barcelona. Aufgerufen hatten die spanischen Rechtsparteien und die "Katalanische Zivilgesellschaft" (SCC). Hinter der stehen vor allem die rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) und die rechtskonservative Volkspartei (PP), die die Beteiligung auf übertriebene 950.000 schätzt.

Spanische Medien wie Publico sprechen von "zehntausenden" und Eldiario untertrieben von "tausenden" Menschen. Die Lokalpolizei Barcelonas, die sich mit riesigen Demos auskennt, beziffert die Teilnehmerzahl auf 350.000.

"Ich bin Spanier, Spanier, Spanier" oder "Es lebe Spanien" wurde vor allem skandiert. Mit Bezug auf den katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont wurde gerufen: "Puigdemont in den Knast", der auch vom Chef der rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) Albert Rivera auf dem Marsch als "Putschist" bezeichnet wurde. "Lassen wir uns nicht veräppeln, Katalonien ist Spanien", war auch einer der Slogans. Mit großer Sorgfalt wurde darauf geachtet, dass nicht wieder Fahnen aus der Diktatur gezeigt wurden, auf denen, wie bei der Verabschiedung der Truppen vor dem Referendum nach Katalonien, sogar Hakenkreuze zu sehen waren.

Obwohl auch die katalanische Sektion (PSC) der spanischen Sozialdemokraten (PSOE) gegen die Unabhängigkeit nach dem Referendum am 1. Oktober sind, rief sie nicht auf. So blieben die "Unionisten" gespalten. Die spanische Linkspartei Podemos (Wir können es) verteidigt ohnehin das Selbstbestimmungsrecht, auch wenn sie dafür wirbt, in Spanien zu bleiben. So standen hinter dem Protest zwei spanische Parteien, deren Führungsriegen anwesend waren, die bei den Wahlen 2015 nur rund ein Viertel der Stimmen erhielten.

Es kommt Bewegung in die internationale Vermittlung

PSC-Chef Miquel Iceta war lieber auf einer Versammlung am Vortag. Wie in Barcelona zogen in vielen Städten Spaniens Tausende ganz in weiß gekleidet auf die Plätze, um vom spanischen Ministerpräsident Mariano Rajoy einen Dialog mit Puigdemont zu fordern. Dass Puigdemont die Parlamentssitzung von Montag auf Dienstag verschoben hat, ist für Iceta ein gutes Zeichen und ein "Zeitgewinn".

Denn ganz offensichtlich kommt nun Bewegung in eine internationale Vermittlung, auch wenn Rajoy dies offiziell ablehnt. Bestätigt sind schon Kontakte zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, die sich zunehmend Sorgen darüber machen, in welches Desaster Rajoy die EU führen will. Die Schweiz steht als Vermittler bereit und hat schon mit beiden Seiten gesprochen, auch wenn Spanien das dementiert.

Gibt es bis Dienstag aber keine Bewegung, die Katalonien einen Weg aufzeigt, in naher Zukunft wie Schottland und Quebec, mit dem Zentralstaat vereinbart, über die Unabhängigkeit abzustimmen, wird Puigdemont sie vermutlich erklären. Das Referendumsgesetz sieht das innerhalb von 48 Stunden nach Veröffentlichung der offiziellen Referendumsergebnisse am Freitag vor.

90,2% hatten für die Unabhängigkeit gestimmt, knapp 2,3 Millionen Stimmen konnten ausgezählt werden (43%), obwohl Spanien mit massiver Gewalt die Abstimmung verhindern wollte und in knapp 100 Wahllokalen die Urnen beschlagnahmen konnte. In Regionen, in denen es keine Angriffe gab, lag die Beteiligung deutlich über 50%, in Zentralkatalonien bei fast 60%. Viele Stimmen in geraubten Urnen konnten nicht gezählt werden, viele Wähler nicht wählen, weil die Abstimmung von anrückenden Zivilgarden abgebrochen und die Urnen in Sicherheit gebracht wurden. Eine internationale Delegation von Wahlrechtsexperten hat erklärt, dass die Ergebnisse "anerkannt werden müssten". Sie zeigten sich aber schockiert, dass mit einer "gut geplanten militärähnlichen Operation" und viel Gewalt versucht worden war, die Abstimmung zu verhindern.

Die beschworene "stille Mehrheit" in Katalonien gegen die Unabhängigkeit zeigte sich nicht

Mit dem Kurs der PSC sind aber auch einige Mitglieder nicht einverstanden. Mit Josep Borrell fanden sich auch PSC-Mitglieder auf der Demonstration. Der ehemalige spanische Minister für Bauwesen gehörte auch zu den Aufrufern. Er machte "große Lust" zu demonstrieren aus, da sich "viele Bürger Kataloniens ausgeschlossen fühlen". Dass Rivera von Rajoy ständig die Aussetzung der katalanischen Autonomie fordert, wie auch sein ehemaliger Chef Felipe Gonzalez gestern in Berlin, wies sogar Borrell zurück. "Man darf nichts tun, was die Spannungen weiter erhöht." Er meint aber auch, dass die "Unabhängigkeitserklärung eine Katastrophe" wäre.

Worin nun die "Rückgewinnung der Vernunft" liegt, wie das Motto der Demonstration lautete, bleibt unklar. Es ließ sich keine Vorstellung herauslesen, da jede Partei eine andere Auffassung vertritt. Von totaler Zuspitzung per Aussetzung der Autonomie über den Paragraph 155 über Dialog- und Vermittlungsverweigerung bis zu Forderungen nach Dialog und Vermittlung.

Auf der Abschlusskundgebung bedankte sich jedenfalls der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa für die Veranstalter bei den Teilnehmern dafür, dass Menschen "aus ganz Spanien" herbeigeströmt sind, um für die Einheit einzutreten. Es hatte schon etwas Tragisch-Komisches, wenn er erklärte, dass die "spanische Demokratie gekommen ist, um zu bleiben". Man bedenke, dass Menschen verprügelt und mit verbotenen Gummigeschossen zusammengeschossen wurden, weil sie per Abstimmung ihre Meinung kundtun wollten, dass Webseiten in großer Zahl gesperrt wurden, den Medien ein Maulkorb angelegt wurde und nun sogar Sitzungen des Parlaments verboten werden, noch bevor sie angesetzt wurden. Das kommt einem schon etwas spanisch vor.

Klar ist jedenfalls, dass zahllose Menschen - gratis - mit Bussen von überallher nach Barcelona gefahren wurden, wie Plakate aus ganz Spanien beweisen. Die angebliche "stille Mehrheit", die es in Katalonien gegen die Unabhängigkeit nach spanischer Lesart geben soll, konnte am Sonntag jedenfalls nicht gezeigt werden. Dabei hatten das die Aufrufer versprochen. Trotz einer Mobilisierung in ganz Spanien kam der Marsch nicht im Ansatz an die großen Mobilisierungen der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter oder an die Generalstreikbeteiligung am vergangenen Dienstag gegen die Unterdrückung des Referendums heran. Einen Tag vor dem Referendum demonstrierten in Barcelona gerade einmal etwa 5000 Menschen gegen das Referendum und die Unabhängigkeit. In Barcelona ist deutlich geworden, dass Ciudadanos und PP die Masse nicht für ihre Politik instrumentalisieren können. Es war schwierig, katalanische Teilnehmer zu finden, die sich wie Rajoy gegen den Dialog zur Lösung der tiefen Krise stellen. Noch schwieriger war, Befürworter für die Aussetzung der Autonomie zu finden, wie sie Rivera und Gonzalez fordern. Viele forderten auch auf der Demonstration, wie auf den Versammlungen am Vortag, Dialog und Vermittlung und kritisierten damit Rajoy, Rivera und den Monarchen massiv, der ebenfalls keine Lösung aufzeigt, sondern weiter Öl ins Feuer gegossen hat.

Dass nicht nur die spanischen Sicherheitskräfte gegen die vorgehen, die für das Selbstbestimmungsrecht eintreten, sondern es auch zunehmend gewalttätige Übergriffe auf sie gibt, teilen viele der Demonstranten am Sonntag in Barcelona auch nicht. Sie zeigten sich bestürzt über Vorgänge wie am Samstag in Mallorca, wo spanische Rechtsradikale aus einer Demonstration gegen Katalonien heraus ein Info-Zelt zerstört. Dabei wurden nicht nur deren Meinungsfreiheit ausgehebelt, sondern sie auch durch Steinwürfe verletzt.