Trotz Russland-Boykott: Uran wird weiter nach Deutschland geliefert
Frankreich ist auf Geschäfte mit dem russischen Staatskonzern Rosatom angewiesen. Russisches Uran kommt aber auch ins niedersächsische Lingen. Das Nachbarland mit seinem großen Atompark bereitet sich auf einen Winter mit Blackouts vor.
Das russische Frachtschiff Mikhail Dudin sollte aus Sankt Petersburg kommend am Sonntag eigentlich im niederländischen Rotterdam einlaufen. Doch plötzlich änderte das Schiff, mit einer Uran-Fracht für eine Anlage im niedersächsischen Lingen an Bord, das Fahrziel und drehte nach Dunkerque (Dünkirchen) in Frankreich ab, wie das "Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen" berichtet. Die Mikhail Dudin befördert eine Fracht der russischen Firma Rosatom. Das Schiff ist schließlich am Montag in Dünkirchen eingelaufen, wie Bilder belegen.
Dort wurde die radioaktive Fracht auf LKW verladen. Sie ist nun unter Polizeischutz auf der Straße unterwegs. Derzeit ist unklar, ob das Uran weiterhin in die Brennelementefabrik in Lingen gebracht wird oder ob es die französische Framatome es doch lieber in Frankreich weiterverarbeiten lassen will.
Gegenüber dem NDR erklärte der Sprecher des Aktionsbündnisses, Matthias Eickhoff, dass es immer noch möglich sei, dass das Uran auf Umwegen noch Lingen erreichen könnte. Deshalb werde die Mahnwache von Bürgerinitiativen aus Deutschland, den Niederlanden und Russland am Brennelementewerk auch fortgesetzt.
Nach jüngsten "verlässlichen Angaben" sollen sich zwei Transport-LKW aus Frankreich auf dem Weg von Dunkerque nach Lingen befinden. "Aktuell findet ein Katz- und Mausspiel hinter den LKW statt!", meldet das Aktionsbündnis. Es bittet alle, die im Süden und im Westen auf Autobahnen unterwegs sind, "die Augen aufzuhalten" und sich zu melden, falls der Transport gesichtet wird.
In Lingen soll das Uran von Rosatom von Advanced Nuclear Fuels (ANF) aufgearbeitet werden. Von dort werden Atomkraftwerke in aller Welt beliefert, allen voran die französischen.
ANF gehört zum französischen Framatome-Konzern und damit zum derzeit zweitgrößten Stromkonzern weltweit. Die EDF ist allerdings auf dem Abstiegskurs und muss wegen der hohen Verluste nun verstaatlich werden.
Unter den Demonstranten vor der Brennelementefabrik in Lingen befand sich zwischenzeitlich auch der russische Umweltschützer und Träger des Alternativen Nobelpreises, Vladimir Slivjak. Er hat vor dem ANF-Werk gefordert, die Kooperation mit dem russischen Regime zu stoppen und endlich auch den Konzern Rosatom zu sanktionieren.
"Rosatom hat eine aktive Aufgabe im Ukraine‑Krieg: die Koordination der russischen Truppen bei der Besetzung von Atomkraftwerken ‑ ganz konkret in Saporischschja", sagte Slivjak. Rosatom müsse als fossiler und militärischer russischer Atomkonzern ebenfalls sanktioniert werden.
Doch Frankreich, das über seine Atomkraftwerke doch so energieunabhängig sein will, macht wegen der großen Abhängigkeit von russischem Uran natürlich dabei eine Ausnahme. Erst kürzlich hat Telepolis über einen Transport russischer Uran-Fässer nach Frankreich berichtet. Präsident Emmanuel Macron machte dabei keine gute, sondern eine lächerliche Figur, da er noch 24 Stunden zuvor erklärt hatte, Frankreich werde "die gewaltsame Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 nicht anerkennen".
Er ging dabei so weit, für alle Europäer sprechen zu können, die "wir" angeblich seien bereit dazu seien, den "Kampf der Ukraine auf Dauer" zu unterstützen. Frankreich unterstützt aber tatsächlich Russland mit seinen Uran-Käufen.
Voreilig
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sieht bei den Uran-Lieferungen nach Lingen wieder schlecht aus. Habeck hatte bereits am ersten Kriegstag am 24. Februar verkündet, der Antrag auf den Einstieg von Rosatom in Lingen läge in seinem Hause nicht mehr vor. "Das war offenbar voreilig – das Verfahren lief noch bis vor zwei Wochen", berichtet Die Zeit.
Lingen bleibe ein Umschlagplatz für russisch-französische und russisch-europäische Materialien für Atomkraftwerke, resümiert die Zeitung. "Nach Angaben des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) wurde Rosatom im Jahr 2021 die Genehmigung für zehn Transporte nach Lingen erteilt." Diese könnten nicht widerrufen werden und gerade werde erst der zweite Transport vollzogen. Es sind also weitere acht russische Nukleartransporte möglich.
Blackout-Gefahr in Frankreich
Frankreich begibt sich derweil immer tiefer in die atomare Sackgasse und muss weiter ausgerechnet in Russland seinen Uranbedarf decken. Widersprüche gibt es aber zuhauf. Nun hat die Regierung sogar die EDF angewiesen, zum Winter wieder alle Reaktoren ans Netz zu bringen, auch die, die gefährliche Risse im primären Kühlkreislauf aufweisen.
Derzeit ist die Hälfte der Meiler aus verschiedenen Gründen nicht am Netz und sogar die Umweltauflagen mussten im Sommer immer wieder gelockert werden, um weitere Abschaltungen wegen fehlendem Kühlwasser zu verhindern.
Selbst wenn es die EDF schafft, alle Meiler ans Netz zu bringen, ist die Blackout-Gefahr nicht gebannt. Vielmehr bereitet das Land die Bevölkerung schon auf dunkle und kalte Wohnungen im Winter vor.
Gerade musste der französische Netzbetreiber RTE sogar einen Strom-Alarm an die Nachbarn aussenden. Gebeten wurden sie, so viel Strom wie möglich zu liefern. Nach Angaben der Financial Times soll es sich um einen großen Handelsfehler gehandelt haben. Ein regionaler französischer Energieversorgers soll zwei Tage lang versehentlich große Mengen Strom zu viel verkauft haben.
Dabei handelte es sich um Electricité de Strasbourg (ES) eine Filiale des Staatsbetriebs EDF. Die Kosten in Höhe von geschätzten 60 Millionen Euro fressen praktisch den gesamten Jahresgewinn aus dem vergangenen Jahr auf.
Ob es wirklich nur ein Handelsfehler war oder ob nicht, dass das französische Netz längst am Anschlag ist, ist offensichtlich. Vermutlich war es ein Fehler, der deshalb so heftige Wirkungen entfalten konnte, weil das Netz schon fast überlastet ist. Klar ist, dass die Strom-Importe steigen und steigen.
In der Spitze wurden am Dienstag wieder 11 Gigawatt preistreibend für die Nachbarn eingekauft, obwohl inzwischen sogar mit 26 Gigawatt wieder fast die Hälfte der theoretischen Atomkraftleistung am Netz sind.
Es zeichnet sich ab, dass es in Frankreich im Winter zu Blackouts kommt, da die Übertragungskapazitäten von Spanien schon jetzt ausgeschöpft sind. Spanien schickt seit Juni schon allen verfügbaren Strom ins Nachbarland, berichten spanische Medien.