Türsteher gegen Terror

Die irakische Regierung beginnt mit der Ausstellung von Ausweisen für "Gated Communities" in Bagdad

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die US-Armee plant im Irak den Einsatz eines Rezepts, mit dem in den 1990er Jahren amerikanische Städte sicherer gemacht wurden – zumindest für einen Teil der Bevölkerung: "Gated Communities", abgeriegelte Viertel mit streng kontrollierten Zugängen, sollen auch die irakische Hauptstadt befrieden. Nun stehen die ersten Mauern und es soll mit der Verteilung der Ausweise begonnen werden.

Ein irakischer Regierungssprecher kündigte gegenüber der Nachrichtenagentur Voices of Iraq (VOI) gestern an, dass mit der Ausstellung besonderer Ausweise begonnen werde. Die Dokumente sollen auch biometrische Merkmale erhalten. Nur mit solchen Identitätsnachweisen sollen Iraker zukünftig Zugang zu bestimmten Vierteln der irakischen Hauptstadt erhalten. Nach Angaben des Regierungssprechers ist geplant, die betroffenen Areale erst einzeln von Terroristen zu säubern, dann abzuriegeln und schließlich mit Eingangstoren zu versehen.

Schiitische und sunnitische Viertel in Bagdad

Vorrangig soll das System in besonders gefährlichen Vierteln wie Daura, Amirija und Ghasalija zum Einsatz kommen. Ein Zentrum des neuen Sicherheitskonzepts ist auch Adhamija. Dort wurde eine 3,5 Meter hohe und 5 km lange Mauer aus Beton errichtet, die den Stadtteil von schiitischem Gebiet trennt. Die Mehrheit in diesem Stadtteil ist sunnitisch, obwohl er am überwiegend schiitisch besiedelten Ostufer des Tigris liegt. Dagegen liegt das auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses gelegene schiitische Viertel Kadhimya in der vorwiegend sunnitischen Hälfte der Stadt.

Weil die Amerikaner die Entscheidung für den Bau dieser Mauer über die Köpfe der Bevölkerung hinweg getroffen hatten, war es zwischendurch zu Protesten von Bewohnern und zu einem Baustopp gekommen.

Flucht und Vertreibung

Dem System aus Mauern und Ausweisen kommt entgegen, dass die relativ rein schiitischen Viertel im Osten und die sunnitischen Viertel im Westen zunehmen, weil immer mehr Bewohner durch Terror und Einschüchterung Stadtviertel mit einer anderen religiösen Mehrheit verlassen und sich in verlassenen Wohnungen in den Vierteln ansiedeln, in denen ihre eigene Konfession die Kontrolle über die Straßen hat.

In Stadtteilen wie Sadr City leben fast nur mehr Angehörige eines Bekentnisses. Und auch in vormals gemischten Gegenden wie Hayy Al-Dschihad bildete sich mittlerweile durch Zuzüge von Vertriebenen einerseits und Druck auf die jeweilige religiöse Minderheit andererseits eine relativ deutliche Mehrheit heraus. Allerdings gibt es auch noch Viertel wie Jadriya, Mansour und Zayouna, in denen sich bis jetzt keine herrschende Konfession herauskristallisiert hat.

Am ärgsten litt die christliche Minderheit: Sie wurde nicht nur fast vollständig aus Vierteln wie Daura, vertrieben, sondern fand auch kaum innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten. Viele der chaldäischen Christen flüchteten deshalb ins benachbarte Syrien.

Bevölkerungsgruppen im Irak

In der nordirakischen Stadt Kirkuk finden die Vertreibungen in etwas anderer Weise statt, als in Bagdad: 1957 lebten dort 178.000 Kurden, 48.000 Turkmenen, 43.000 Araber und 10.000 Chaldäer. Dieses Verhältnis veränderte sich in den folgenden Jahrzehnten durch den Zuzug von arabisch sprechenden Arbeitskräften aus dem Süden stark.

Im März 2007 beschloss das irakische Parlament die Umsiedlung aller arabischen Familien, die sich nach dem 14. Juli 1968 in Kirkuk niedergelassen hatten. Die meisten der Betroffenen sind Schiiten. Obwohl ihnen eine Entschädigung versprochen wurde, zeigten sich viele von einer "Rückkehr" in den Süden wenig begeistert. Einige reagierten auf die angekündigten Vertreibungen offenbar mit Selbstmordattentaten, eines davon vor dem Hauptquartier der herrschenden Kurdenpartei PUK, bei dem am Montag bis zu 80 Menschen ums Leben gekommen sein sollen. Am 15. November soll in der Stadt ein Referendum über den Anschluss an das Kurdengebiet abgehalten werden.