USA: Versagen der Politik und Militäreinsatz in Zeiten der Pandemie

Seite 4: - Defizite im sozio-ökonomischen System

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Die US-Wirtschaft befindet sich im freien Fall, der Ölpreis liegt schon im Keller, die Landwirtschaft hat jetzt Probleme bei Aussaat und später bei der Ernte. Wie in Deutschland mussten tausende Geschäfte und Betriebe schließen. Gleichzeitig muss die betriebstechnische Funktionalität und Sicherheit der Anlagen kritischer Infrastruktur (Atomkraftwerke, Chemieanlagen, Klärwerke, etc.) dauerhaft garantiert sein.

Das Bankhaus "Goldman Sachs" rechnet für das zweite Quartal 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 34 Prozent. Hinzu kommt die Entwicklung der Börsenkurse, so die Kurseinbrüche am 24. Februar und am 9. März. Die Superreichen haben dadurch über 20 Prozent ihres gigantomanischen Vermögens verloren, die Zahl der Millionäre in den USA fiel um 500.000, besonders betroffen aber ist der Mittelstand. In einem Anfall von Selbstkritik beklagte sich Chamath Palihapitiya, CEO der Risikokapitalgesellschaft "Social Capital":

Die Mittelschicht wird heute ausgelöscht. Reiche CEOs werden nicht ausgelöscht, ebenso wenig wie Vorstände mit einer schrecklichen Unternehmensführung. Aber die Mittelschicht wird es. (…) Was wir getan haben, ist die unverhältnismäßige Unterstützung von leistungsschwachen CEOs und Vorständen und man muss diese Leute ihrem Schicksal übergeben.

Besonders betroffen sind die Arbeitnehmer. Der Mindestlohn liegt bei 7,25 Dollar, Afroamerikaner verdienen i. d. R. 25 Prozent weniger als "Weiße". Anders als in Deutschland gibt es in den USA keine "Lohnfortzahlung im Krankheitsfall" und kein "Kurzarbeitergeld". So wurden viele Amerikaner über Nacht arbeitslos. Seit Mitte März stieg die Zahl der Arbeitslosen innerhalb von vier Wochen um 22 Millionen Amerikaner. Selbst diejenigen, die gleich zwei oder drei Jobs nebenher gemacht hatten, um über die Runden zu kommen, mussten sich in die Reihe der Arbeitssuchenden einreihen.

Nach einer Studie der Federal Reserve Bank (Fed) könnten bis zum Juni 2020 47 Millionen Amerikaner ihren Job verlieren. Dabei haben ca. 40 Prozent der US-Haushalte noch nicht einmal genügend Rücklagen, um eine einfache Rechnung in Höhe von 400 Dollar mal außer der Reihe bezahlen zu können. Mit der Schließung der öffentlichen Schulen fällt schon jetzt für sechs Millionen Kinder aus sozialschwachen Verhältnissen das tägliche Mittagessen aus. Mittlerweile überleben immer mehr Amerikaner allein durch die öffentlichen "Tafeln", hier "food banks" genannt. Der Supermacht USA drohen Verhältnisse und Verteilungskämpfe wie in der "Dritten Welt".

Die Wohnviertel der Migranten drohen nun zu einem Infektionscluster zu verkommen und werden den ohnehin vorhandenen Rassismus noch verstärken. "Wir sind zwar alle zusammen in dieser Krise, aber wir erleben die Krise nicht auf dieselbe Art," meinte Lori Lightfoot, der Bürgermeister von Chicago.

Der Präsident und sein Volk

Trotz des offensichtlichen Versagens der US-Regierung stiegen die Popularitätswerte den US-Präsidenten in Meinungsumfragen Ende März von 43 auf 48 Prozent. Während sich unter den Sympathisanten der Demokratischen Partei 73 Prozent Sorgen wegen des Virus machten, waren es unter den Anhängern der Republikaner gerademal 42 Prozent. Allerdings wächst auch in rechten Kreisen die Kritik am "Krisenmanagement" des Präsidenten. Zeitweise verbreitete Trump obsessiv die "fake news", dass die Meldungen über die Gefährlichkeit von SARS CoV-2 "fake news" seien, die von den Demokraten verbreitet würden, um seine Wiederwahl zu verhindern. Stattdessen waren die "fake news" richtige "news" und gefährden nun ihrerseits seine Wiederwahl am 3. November 2020.

Der Journalist Peter Kümmel lästerte in der "Zeit" über die täglichen Pressekonferenzen des Präsidenten, der diese als sein Instrument der Krisenbewältigung einsetzen will:

Tatsächlich scheint Trump die Furcht zu genießen, die er seinem Volk einjagt. Er benützt öffentliche Auftritte dazu, die Panik, die mittlerweile wohl auch in ihm nistet, an seine Untertanen weiterzugeben. Seine Auftritte sind Veranstaltungen des Terrors. Er lügt, er beleidigt, er fantasiert, er stiftet Verwirrung, wo er kann, er straft politische Gegner mit dem Entzug von Zuwendung, Information und lebenswichtigem Material. Er erfasst die Katastrophe ausschließlich in ihrem anekdotischen Charakter - als eine Kette von Schreckensgeschichten, die ihm von "Freunden" zugetragen werden und die er im Innersten ungerührt, geradezu prahlend, zum Besten gibt. Ja, er nähert sich dem offenen Wahnsinn, wenn er, mit der hauchenden Stimme eines Schamanen, seinen Zuschauern ein ungeprüftes Medikament empfiehlt: "Probiert es aus! Was habt ihr schon zu verlieren?"

Das Wonneproppengesicht, das er sonst gern trägt, wenn er eigene Heldentaten erwähnt, er zeigt es jetzt noch, da er von den schweren Wochen spricht, die seinem Land bevorstehen: viele Tote! Der Mann ist so gestrickt, dass sein Gesicht leuchtet, sobald er hohe Zahlen ausspricht: Es ist, ob er will oder nicht, ein Rest von Jubel in seiner Stimme, wenn er das Wort "Million" in den Mund nimmt.

Vor einigen Tagen haben seine Gesundheitsberater Anthony Fauci und Deborah Birx ihm beigebracht, dass ein sorgloser Umgang mit der Seuche bis zu 2,2 Millionen Amerikaner das Leben kosten würde, während eine weitgehende Stilllegung des Landes die Opferzahl im besten Fall auf 100.000 drücken könnte. Die Differenz zwischen diesen beiden Zahlen hat Trump instinktiv als seinen persönlichen Gewinn erkannt. Er tritt nun auf wie ein Händler, der mit dem Virus direkt verhandelt, nachdem er es zunächst schlau ignoriert hat, und dem es gelungen ist, den Gegner von 2,2 Millionen auf 100.000 herunterzuhandeln. Im Klartext: Er persönlich erspart den Amerikanern zwei Millionen Tote - The Art of the Deal.

Aus der täglichen Pressekonferenz hat er eine Show gemacht im Stile jener Weihnachtsbenefizshows, in denen vor unseren Augen die Hilfsangebote im Studio eintreffen: wieder 100.000 Paar Handschuhe! Noch einmal 3 Millionen Schutzmasken! Schon wieder 10.000 neue Beatmungsgeräte! Alles von ihm organisiert!

Es ist die amtliche Aufgabe des U.S. Secret Service (USSS) das Leben des Herrn Präsidenten Trump (USSS-Codename "MOGUL") zu schützen. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird für den USSS zunehmend schwieriger. Neben der Bedrohung durch potentielle Attentäter kommt nun die Gefahr durch SARS CoV-2 hinzu. Ein Test verlief negativ. Mittlerweile werden alle Personen, die sich dem Präsidenten nähern, auf Covid-19 untersucht, um eine weitere Gefährdung auszuschließen. So befindet sich der Präsident quasi in einer nicht erklärten Quarantäne und ist zunehmend isoliert. Als aktuelles Negativbeispiel dient der britische Premier Boris Johnson, der durch seinen Leichtsinn nun am eigenen Leibe erfahren musste, was er mit seiner Dummheit dem britischen Volk angetan hat.

Für die Funktionsfähigkeit der US-Regierung und das Vertrauen der Zivilbevölkerung in selbige ist es von existentieller Bedeutung, dass der Präsident oder sein autorisierter Amtsnachfolger jederzeit erreichbar und entscheidungsfähig ist. Dafür entwickelten die militärischen Planer ein eigenes Programm: Presidential Successor Support System (P3S).

Drohende Gewaltkonflikte

Die US-Gesellschaft ist mit all ihren sozialen Widersprüchen ohnehin ausgesprochen gewalttätig. Im ganzen Land hatten zum Jahreswechsel 330 Millionen Einwohner rund 400 Millionen Schusswaffen. Das Spektrum der Waffennarren reicht vom "Sportschützen" bis hin zu Mitgliedern des rechtsradikalen Militia Movement. Angesichts der Lageentwicklung in den letzten Wochen haben viele Amerikaner zusätzlich aufgerüstet. Alle interessierten Waffenkäufer müssen sich einer formalen Überprüfung durch das FBI unterziehen, dass dazu sein National Instand Criminal Background Check System (NICS) abfragt. Allein im März 2020 wurden 2,5 Millionen Waffen verkauft und 3,7 Millionen Waffeninteressenten überprüft.

Die Stadt New York wollte diesem Trend entgegenwirken und hat alle Waffenläden schließen lassen, dagegen klagt nun die National Rifle Association (NRA). Selbst diejenigen, die bisher auf den Besitz von Schusswaffen verzichtet hatten, haben sich nun ebenfalls bewaffnet, verfügen aber keine Schießausbildung oder Erfahrungen im Umgang mit Schusswaffen, so dass diese Leute eine Gefahr für sich und andere darstellen. Mehrere Kongressabgeordnete der Demokratischen Partei warnten in einem Offenen Brief, das FBI könne mit der Überprüfung der potentiellen Waffenkäufer bald überfordert sein.

Für Professor Timothy Lytton von der Georgia State University ist diese Entwicklung nicht überraschend: "Die Menschen sind nervös und fürchten zivile Unruhen, wenn eine große Anzahl von Menschen krank ist und eine große Anzahl von Einrichtungen nicht normal funktioniert. (…) Sie haben möglicherweise Angst, dass sie sich selbst schützen müssen, wenn die Staatsorgane zu erodieren beginnen."

Viele Supermärkte wurden quasi leergekauft. Dazu passt, dass viele Ladenbesitzer in New York oder Chicago etc. ihre Schaufenster vernagelt haben, weil sie Plünderungen befürchten. In New York City stieg die Zahl der Diebstähle bzw. Plünderungen gegenüber dem Vorjahr um 75 Prozent. Die meisten Bundesstaaten haben mittlerweile Ausgangsbeschränkungen verhängt. Aus dem ganzen Land werden zunehmend "hate crimes" gegen Mitbürger asiatischer Abstammung gemeldet. Zum niedrigschwelligen Alltagsrassismus gehört, dass viele Taxifahrer keine Asiaten mehr befördern.

Außerdem versuchen Rechtsextremisten die Krise für ihre "politischen Zwecke" auszunutzen und Unruhe zu sähen. Dazu berichtete der "Spiegel":

Auch das Southern Poverty Law Center (in Montgomery, Alabama, G. P.) warnte Ende März, dass Rassisten und Rechtsextremisten sich durch die Pandemie in ihrem Glauben gestärkt fühlten, die moderne Gesellschaft stehe kurz vor dem Kollaps. Sie hofften, dass die Regierung das Virus nicht unter Kontrolle bekomme, weitere Teile der Bevölkerung dadurch radikalisiert würden und sie selbst dieses Chaos ausnutzen könnten, heißt es in einer Mitteilung der Organisation, die sich dem Schutz von Bürgerrechten und dem Kampf gegen Rassismus verschrieben hat.

Ende März 2020 versuchte der Rechtsextremist Timothy Wilson ein Krankenhaus im US-Bundesstaat Missouri in die Luft zu sprengen. Er wurde von FBI-Agenten erschossen.

Am 2. April versuchte der Zugingenieur Eduardo Moreno der "Pacific Harbor Line" seinen Zug zum Entgleisen zu bringen, um die USNS Mercy zu rammen. Der Sabotageversuch scheiterte. Der Attentäter vermutete hinter dem Einsatz der Mercy eine Art Staatsstreichversuch. "Moreno stated that he thought that the U.S.N.S. Mercy was suspicious and did not believe ‘the ship is what they say it’s for,’" erklärte ein Sprecher des FBI.

Mittlerweile gibt es auch Aufrufe zum "Bioterrorismus", so forderte Rechtsextremisten der White Supremacists-Bewegung ihre Mitglieder auf, sollten sie mit SARS CoV-2 infiziert sein, sollten sie sich nicht in Quarantäne begeben, sondern Veranstaltungsorte der Juden gezielt aufsuchen, um diese ebenfalls zu infizieren. Angriffsziele seinen "any place they may be congregated, to include markets, political offices, businesses and places of worship", hieß es in einer Warnmeldung des New Yorker Büros des FBI. Außerdem warnte der Sicherheitsdienst davor, Rechtsextremisten könnten kontaminierte Flüssigkeit in Sprayflaschen abfüllen, um damit Polizeibeamte zu infizieren.

Ein weiteres Problem geht von den Gefängnisinsassen aus. In den USA befinden sich rund 2,2 Millionen Personen z. Zt. in Haftanstalten. Die Behörden haben zwei Optionen: entweder sie entlassen viele Gang-Mitglieder, die dann möglicherweise erneut Straftaten begehen, oder sie riskieren die Weiterverbreitung des Virus in den Haftanstalten und mögliche Gefängnisaufstände. So verfügen die (privaten) Haftanstalten nicht über ausreichend Hygienematerial. Als Minimalschutz empfahlen die Schließer in einem Knast im US-Bundesstaat Washington den Häftlingen, sie sollten bei ihren Anrufen zu Hause einfach einen Socken über den Telefonhörer stülpen.

Die gesellschaftlichen bzw. politischen Auseinandersetzungen in den USA nehmen z. T. absurde Züge an: So demonstrierten am 15. April Trump-Anhänger von der Michigan Conservative Coalition in Lansing im US-Bundesstaat Michigan gegen die Gouverneurin von der Demokratischen Partei, weil sie sich durch die verordneten Beschränkungen der Landesregierung, die Trump selbst veranlasst hatte, in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt fühlten: "Liberty once lost is lost forever", hieß es auf einem Transparent. Dazu erklärte die Gouverneurin Gretchen Whitmer:

We know that this demonstration is going to come at a cost to people’s health.… When people gather that way without masks ... that’s how COVID-19 spreads. The sad irony here is that ... they don’t like being in this stay-at-home order and they may have just created the need to lengthen it, which is something we’re trying to avoid at all costs.

Mitte April verbreiteten rechtsgerichtete Medien angesichts der geplanten Rücknahme der ökonomischen Beschränkungen die Forderung, die Angehörigen der älteren Generation sollten dies kritiklos hinnehmen, indem sie sich zum Wohl des Landes selbst opfern.

Ende März 2020 forderte das deutsche Konsulat in New York City die Bundesbürger in der Stadt auf, möglichst umgehend das Land zu verlassen.