"Ultra montes"
- "Ultra montes"
- Der Egomane und Judenbekehrer Papst Pius IX.
- Die Förderung des "Opus Dei" durch Karol Woytila und Joseph Ratzinger
- Kein Ende in Sicht: Pius XII. als nächster Kandidat für den Heiligenschein?
- Die platonische Dogmatik des deutschen Papstes
- Der "Schwarze Karfreitag" für das II. Vatikanische Konzil: Unter Ratzinger darf wieder für die Erleuchtung der Juden gebetet werden
- Bischof Lefebvre und der klerikal-faschistoide Komplex
- "Wir sind Papst" war gestern
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Die Wiederaufnahme des Holocaust-Leugners Williamson ist nur die Spitze des antijüdischen Eisberges im rechtskatholischen Universum
Jenseits der Berge ("ultra montes") in Rom ist die feste Burg der Wahrheit für alle Welt zu finden. Als Antwort auf die Verunsicherungen der Moderne wurde dort 1870 eine neue Lehre verkündet: das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes. Mit den Mitteln der fortgeschrittenen Propaganda hatten die Vorreiter und Erfinder dieser Lehre schon Jahrzehnte zuvor eine Massenbewegung im katholischen Volk ins Leben gerufen. In diesem Gebilde des "Ultramontanismus" waren sozialer Sinn für die Anliegen der "Kleinen Leute" und populistischer Judenhass oft Seite an Seite zu finden.
Nur im größeren geschichtlichen Zusammenhang ist die aktuelle Auseinandersetzung um die Rehabilitation des Rechtsaußenkatholizismus durch den deutschen Papst zu verstehen (Papst rehabilitiert Holocaustleugner). Hierzulande verstehen gebildete Vertreter des bürgerlichen Katholizismus endlich, was auf dem Spiel steht. Deshalb werden selbst Oberhirten wie Bischof Gebhard Fürst in Rottenburg oder der Hamburger Erzbischof Werner Thissen in ihrem Widerspruch Richtung Rom ungewöhnlich deutlich.
Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich jetzt mit einer regelrechten Zurechweisung des Kirchenoberhauptes zu Wort gemeldet; Kardinal Lehmann verlangt nach FR-Angaben eine "Entschuldigung von hoher Stelle" und sieht in dem Vorgang eine Katastrophe für alle Holocaust-Überlebenden.
In diesem Beitrag sollen die historische Dimension und das ganze Ausmaß des Skandals beispielhaft erhellt werden.
Der "Bekennerbischof" und Judenfeind Konrad Martin von Paderborn
Die große Mehrheit des deutschen Episkopates, darunter besonders unbeugsam der Rottenburger Bischof Joseph Karl Hefele, stand im Vorfeld des I. Vatikanischen Konzils von 1870 einer Dogmatisierung "päpstlicher Unfehlbarkeit und Universalgewalt" ablehnend oder zumindest skeptisch gegenüber.1 Zu den wenigen ultramontanen Eiferern gehörte der Paderborner Bischof Konrad Martin (1812-1879), der allerdings selbst in einem frühen Werk die Haltbarkeit der dann neu definierten Lehren über das Papsttum in Frage gestellt hatte. Das einfache Volk in seinem Bistum, zu dem ab 1821 das stramm katholische Sauerland gehörte, wurde für die Sache Roms mobilisiert. Gebildete "Laien" und anders denkende Theologen stellte er – bis hin zur Begräbnisverweigerung – kalt.
Dieser Mann ist besonders geeignet, die Thesen Olaf Blaschkes2 über den Zusammenhang von ultramontanem Katholizismus und Antijudaismus zu illustrieren. Bischof Konrad Martin war nicht nur Eiferer für ein absolutistisches Papsttum, sondern auch ein glühender Judenhasser. Schon 1848 begann er unter dem Deckmantel der "Talmud-Übersetzung" seinen Feldzug gegen "Hochmut", "Gehässigkeiten", "Falscheide" und "Wucherei" der "Juden" (an sich). Diese hätten sich "von je her schuldig gemacht" im "Verhalten gegenüber allen Nichtjuden". Martins antijüdischen Kronzeugen reichten zurück bis ins 13. Jahrhundert. Die in Paderborn "wissenschaftlich" aufgefrischten Mythen über das so genannte "Talmudjudentum" machten selbst vor "Ritualmord"-Märchen keinen Halt. Sie werden viel später im Nazi-Organ "Der Stürmer" fortleben und kursieren noch heute – via Export aus dem Christentum – in Teilen der arabischen Medienwelt.
Konrad Martin gilt wegen der bitteren Verfolgung durch den preußischen Staat als "Bekennerbischof". Er wird – nachzulesen z.B. auf der Website des Eichsfelder CDU-Bundestagsabgeordneten Manfred Grund – bis heute verehrt, wobei Kathpedia Martins Ausführungen zum Judentum geflissentlich übergeht.
Mehr noch: Es läuft in Rom ein Seligsprechungsverfahren für diesen Judenfeind. Niemand kann mehr ausschließen, dass dieser Prozess unter dem Pontifikat des deutschen Papstes einen – in den Augen des Rechtsaußen-Katholizismus – "positiven Ausgang" nimmt. Wer gegenwärtig seitens der Deutschen Bischofskonferenz Schlimmeres verhüten will, kann mit Prävention hier ansetzen.
Exkurs: Die Wirkungsgeschichte des ultramontanen Judenhasses im Kleinraum
In Paderborn sorgte der im sauerländischen Winterberg geborene Priester Joseph Rebbert (1837-1897), Gründer der Bonifacius-Druckerei, für eine publizistische Verbreitung der "Judenforschungen" seines Bischofs. Spätestens bei diesem – von der Zentrumspresse gelobten – Papsteiferer und glühenden Judenhasser erweist sich die katholische Abgrenzung vom rassistisch motivierten "Antisemitismus" als reine Farce. Rebbert schreibt:
Der einzelne kann wohl seine Confession, nicht aber die Eigenthümlichkeiten seiner Rasse aufgeben; auch der humanistische Reformjude ist und bleibt "Jude".
Zitiert nach: O Blaschke: Katholizismus und Antisemitismus. 1997, S. 79
Ich bin heimatverbundener Sauerländer und – gewissermaßen auf "unheilbare" Weise – katholisch. Deshalb gefallen mir solche Befunde überhaupt nicht. Ich finde jedoch bei meinen Forschungen zur regionalen Mundartliteratur des katholischen Sauerlandes und zur populären Kultur des Kleinraumes viel Bestätigung für Blaschkes Thesen zum ultramontan-antijüdischen Komplex.
Der sauerländische Dichter Friedrich Wilhelm Grimme (1827-1898) duldet z.B. in seinen plattdeutschen Büchern nur gutmütige Fopperei als Merkmal der katholischen Kleineleute-Landschaft.3 Dann zieht er nach Paderborn und ist sogar Gast an der Tafel von Bischof Konrad Martin. Auf einmal enthält die Neuauflage eines seiner Werke gehässige und aggressive Ausfälle gegen einzelne Menschen in seiner Heimat. Es handelt sich aber nicht um Mitglieder des katholischen Kollektivs. Diese stehen ja unter allgemeinem und klassenlosem Wohlwollen. Die Opfer der Verächtlichmachung sind vielmehr jüdische Kleinhändler des Sauerlandes.
Wenige Jahrzehnte später lässt der sauerländische Schuster und Küster Jost Hennecke (1873-1940) einen der plattdeutschen "Helden" seines Schwankbuches "Heididdeldei" (1908) zwei Juden mittels Holzwaffe grün und blau schlagen. Die von den Nazis übernommene Heimatbewegung druckt 1940 im Jahreskalender einen Nachruf auf den denkbar treuen Katholiken und wählt als Beispiel für dessen Dichtung genau dieses Schwankstück aus.
Die Tendenz des größeren Befundes: aus einem eher "banalen" Antijudaismus als Zug der katholischen Mentalität entwickelt sich zunehmend die Bereitschaft, auch die körperliche Unversehrtheit jüdischer Mitmenschen mit Füßen zu treten. Als die Nazis dann Priester und Ordensleute abholten, stellten sich ihnen "ultramontan" geprägte Sauerländer mutig entgegen. Wurde jedoch ein Jude durchs Dorf getrieben, fehlte der spontane Impuls, dem langjährigen Nachbarn beizustehen.
Noch 1937 druckte das fürs Sauerland zuständige Erzbistum Paderborn in einem massenhaft verbreiteten Kurzkatechismus die Sätze:
Welches ist die größte Sünde des jüdischen Volkes? Die größte Sünde des jüdischen Volkes war, daß es den Erlöser und seine Lehre verwarf. Das Christentum ist also niemals die dem jüdischen Volke eigene Religion gewesen.