"Ultra montes"

Seite 6: Der "Schwarze Karfreitag" für das II. Vatikanische Konzil: Unter Ratzinger darf wieder für die Erleuchtung der Juden gebetet werden

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Als ich Anfang September 2007 in Telepolis auf die fortdauernde Möglichkeit einer Wiedereinführung der antijüdischen Karfreitagsfürbitte hinwies ("pro perfidis Judaeis"), wollte ich selbst das Ungeheuerliche eigentlich gar nicht glauben. Wenn auch in einer abgemilderten Form, bei der den Juden keine direkte "Perfidie" mehr bescheinigt wird, kam es dann am Faschingsdienstag 2008 tatsächlich zum schwarzen Karfreitag für eine der zentralen Errungenschaften des II. Vatikanischen Konzils.

Nunmehr dürfen katholische Traditionalisten, die ja nicht nur in der bis vor kurzem exkommunizierten Pius-Bruderschaft organisiert sind, wieder für die "Erleuchtung der Juden" beten (die "Glaubensfinsternis" aus der alten Formel hört man unweigerlich mit). Dass dies ausgerechnet ein deutscher Papst ermöglicht und persönlich formuliert hat, fand in den Medien keinen Beifall. Doch die wirklich laute Empörung blieb aus.

Angesichts der gegenwärtigen Medienaufmerksamkeit bezüglich der bedingungslosen Wiederaufnahme erklärter Konzilsgegner in die röm.-kath. Kirche muss man allerdings sagen: Die Rehabilitation der Karfreitagsfürbitte ist – was den katholisch-jüdischen Dialog betrifft – die eigentliche "Ursünde" und in theologischer Sicht der größere Skandal. Sie hat das Herzensanliegen von Papst Johannes XXIII. – einen Neuanfang der Geschwisterlichkeit zwischen Christen und Juden – rücksichtslos missachtet. Sie hat die Konzilserklärung "Nostra aetate" faktisch für Schnee von gestern erklärt. Sie wurde, wie wir inzwischen sehen, von den Nachfolgern der ultramontanistischen Judenhasser auch sogleich als Einladung verstanden, sich immer dreister zu Wort zu melden und schließlich die Opfer der Shoa zu verhöhnen.

Nur vergleichsweise wenige Vertreter des Judentums wie der Rabbiner Walter Homolka, der Historiker Michael Wolffsohn oder der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik haben 2008 die ganze Tragweite dieses Skandals überschaut und sich dann – auch durch noch so freundliche Erklärungen und Einladungen – nicht besänftigen lassen. Nunmehr erweist sich ihre Kompromisslosigkeit leider noch deutlicher als zwingend notwendig.

An dieser Stelle seien aus linkskatholischer Perspektive aber zwei offene Anfragen an den Zentralrat der Juden erlaubt: Müsste nicht auch durch dieses "Laiengremium", das ja keine Rabbinerkonferenz ist, die religiöse Grundlage des jüdischen Selbstverständnisses öffentlich stärker in den Mittelpunkt gerückt werden? Die unter dem deutschen Papst eingeläutete Eiszeit ist ja nicht zuletzt auch ein theologischer Skandal. Wird außerdem wahrgenommen, dass sich gerade auch unter katholischen Kritikern der in Israel vorherrschenden Politik viele Christinnen und Christen befinden, die sich dem Judentum theologisch und mit dem Herzen eng verbunden fühlen?