"Ultra montes"

Seite 5: Die platonische Dogmatik des deutschen Papstes

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Schon als oberster Glaubenshüter hat Kardinal Ratzinger mit Vehemenz gegen Schwule und Lesben gehetzt und angesichts "gleichgeschlechtlicher Partnerschaften" gar einen Untergang des Abendlandes beschworen. Als Papst ist er dieser Linie treu geblieben.4 Diesbezügliches wurde in der Medienberichterstattung (neben der obligaten Papst-Euphorie) häufig nur als rückständig belächelt, während es sich doch im Zusammenhang der europäischen Menschenrechtskonvention und einer langen Verfolgungsgeschichte in Wirklichkeit um die Verächtlichmachung einer Minderheit handelt.

Zu begrüßen ist, dass die Medien im Fall der rechtskatholischen Holocaust-Leugner jetzt weniger nachsichtig sind. Allerdings müssten nunmehr von ihnen kritische Theologen zu Rate gezogen werden, um zu erhellen, vor welchem theologischen Hintergrund traditionell antijüdische Kreise wieder Einzug in die Weltkirche halten.

Ratzingers Theologie, von manchen so genannten Intellektuellen über den Klee gelobt, ist ausgesprochen platonisch und stellt die "reine Glaubenslehre" über die christliche Praxis. Wegen seiner "idealen" Sicht der Dinge war es ihm gar nicht recht, wenn sein Vorgänger allzu zu offen und reumütig über dunkle Seiten der Kirchengeschichte sprach. Nimmt man ein Fernsehinterview aus seiner Zeit als Glaubenspräfekt beim Wort, dann rechnet er sogar mit der Möglichkeit, dass ein folternder Inquisitor trotz seiner "falschen" Handlungen im Besitz des wahren Glaubens oder einer "echten Frömmigkeit" gewesen sein könne (dagegen hatte Jesus gelehrt: "An ihren Früchten werdet Ihr sie erkennen!").

Die eigentlich erst unter staatskirchlichen Bedingungen ausformulierte "griechische" Dogmatik der alten Kirche hat in Ratzingers Augen eine "heilsgeschichtliche" Würde und Wucht sondergleichen. Dieses dogmatische Lehrgebäude steht jedoch dem Hellenismus und der antiken philosophischen Begrifflichkeit oft viel näher als der Bibel. Ratzinger wehrt sich vehement dagegen, es als etwas Zeitbedingtes und sehr Interpretationsbedürftiges zu betrachten.

Bisweilen erscheint in seinen Werken die jüdische Glaubensüberlieferung, in der Jesus als Jude ja fest verwurzelt war, lediglich wie eine Stichwortgeberin für eine ganz andersartige, höhere Ebene "ewiger Wahrheit". Anders als die Ansätze vieler katholischer Theologen bietet die extrem platonische Dogmatik Ratzingers schon in sich keine guten Voraussetzungen für einen wirklich geschwisterlichen und gleichberechtigten Dialog mit dem Judentum. Doch was soll man erwarten, wenn er schon der Gemeinschaft der evangelischen Christen ein ernstzunehmendes "Kirchesein" abspricht?

Platoniker sind übrigens selten gute Historiker. Der Oberrabbiner von Rom, Riccardo Di Segni, hat seinerzeit die vom deutschen Papst am 28. Mai 2006 in Auschwitz-Birkenau vorgetragene "Verführungsthese" zur Deutung der deutschen Täterschaft mit großem Recht als "problematisch" bezeichnet. Haben katholische Kleinbauern, linke Zentrumsleute, Mitglieder des Friedensbundes deutscher Katholiken und nicht wenige Priester unter den Nazis gelitten oder gar das Leben lassen müssen, damit die Nachwelt das Treiben der Mehrheit so bequem erklären kann?