"Ultra montes"

Seite 4: Kein Ende in Sicht: Pius XII. als nächster Kandidat für den Heiligenschein?

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Zu befürchten steht leider, dass auch eine Seligsprechung von Papst Pius XII. (1876-1958) beim Apostolischen Stuhl noch immer erwogen wird. Dieser Papst hatte vor seiner Wahl – zur Zeit der Münchener Räterepublik – gegen eine "sehr harte russisch-jüdisch-revolutionäre Tyrannei" polemisiert und dann 1933 das Konkordat mit den Nazis möglich gemacht (die Gefahr lauerte für ihn eher im linken Zentrumsflügel). Ebenfalls schon 1933 hatte die jüdische Konvertitin Edith Stein ihn (und Pius XI.) über die Judenverfolgung informiert (sie wurde 1942 von den Nazis ermordet und 1998 heilig gesprochen). Später als Oberhaupt der Kirche während des Hitler-Faschismus ließ Pius XII. kein einziges unverschlüsseltes Klartextwort zum Massenmord an den europäischen Juden verlauten. Ein unter seinem (zuletzt sehr entschiedenen) Vorgänger Pius XI. entworfenes Dokument, welches die Sünde des Antisemitismus beim Namen nennen sollte, ließ er bei Amtsantritt 1939 einfach ins Archiv stellen. Hitler blieb bis zu seinem Selbstmord Katholik. Hätte der Vatikan ihn exkommuniziert, wäre es mit dem faulen "Frieden" endgültig vorbei gewesen.

Zur Verteidigung von Pius XII. wird gebetsmühlenartig angeführt, er habe persönlich doch viele Juden gerettet und nur Schlimmeres verhindern wollen. Die Nazis hätten ja in Holland auf ein mutiges Wort der dortigen Bischöfe hin noch blutiger die Juden verfolgt. Schließlich habe der "Stellvertreter" Pius XII. mit Pinchas Lapide auch einen prominenten jüdischen Fürsprecher gefunden.

Indessen verdichten sich in der Geschichtsforschung die Belege dafür, dass dieser Papst unter dem zu verhütenden "Schlimmeren" wohl keine "noch schlimmere" Judenverfolgung verstanden hat (die es ja auch gar nicht mehr hätte geben können). Vielmehr trieb ihn die brennende Sorge um eine weitere Beschneidung kirchlicher Rechte, um eine Gefährdung katholischer Besitzstände und um eine offene Kirchenverfolgung in Deutschland (oder sogar in Rom). Hier aber haben wir es genau mit jenem ultramontan-katholischen Kollektiv zu tun, das den Selbsterhalt über den "Dienst an der ganzen menschlichen Familie" stellte und durch seine antijüdische Prägung ohnehin korrumpiert war.

In der Folge dieser Grundmentalität kam es zum schrecklichsten Versagen in der Geschichte des ganzen Christentums. Dessen Wahrheitsanspruch hätte man 1945, von denkbar wenigen Ausnahmen abgesehen, in Deutschland eigentlich als widerlegt betrachten müssen. Sechs Millionen Juden waren "industriell" ermordet worden, und die amtliche Kirche hatte – mehr oder weniger – stillschweigend zugesehen.

Die verdrängte Geschichte kehrt heute zurück. Der Katholizismus sollte fortan keine Ausflüchte und Selbstrechtfertigungsversuche mehr dulden, wie sie bei neuen Erkenntnissen der Historiker regelmäßig zum Besten gegeben werden. Proklamiert man nicht, vor dem "Angesicht Gottes" zu stehen? Welchen Sinn soll dann aber ekklesiale Geschichtskosmetik für die Frommen haben? Gerade die deutsche Kirche müsste zeitig klarstellen: Pius XII. mag im Himmel selig sein, aber auf Erden wandelte dieser scheinheilige Kirchenpolitiker gewiss nicht als ein Mustervorbild für christlichen Mut und Nächstenliebe.